40 Prozent der Mädchen sind trotz entsprechender Impfempfehlung mit 14 Jahren nicht oder unzureichend gegen das humane Papillomavirus (HPV) geimpft. Das entspricht jährlich rund 150.000 Betroffenen in Deutschland. Zudem ist die Rate der jährlich Geimpften zum Ende der Corona-Pandemie hin massiv eingebrochen. Das geht aus dem Ende August in Berlin vorgestellten Barmer-Arzneimittelreport hervor, in dem Versichertendaten der Kasse analysiert werden.
Gebärmutterhalskrebs wird fast immer durch HPV-Infektion verursacht
Demnach ist vom Jahr 2021 auf 2022 die Impfrate um 23,5 Prozent von 98 auf 75 Impfungen je 1.000 Mädchen zurückgegangen. Im Vergleich zum Rekordjahr 2015 beträgt der Rückgang sogar 37 Prozent. „Das humane Papillomavirus ist für die Hälfte aller virusbedingten bösartigen Tumore und für fast 100 Prozent der Fälle von Gebärmutterhalskrebs verantwortlich. Eine HPV-Impfung kann diese Krebserkrankung verhindern und damit Todesfälle vermeiden. Nicht ohne Grund empfiehlt die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut die HPV-Impfung bei Mädchen zwischen neun und 14 Jahren“, sagt Prof. Dr. med. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer.
Nachhaltiges Erinnerungssystem nötig
Den Daten im Arzneimittelreport zufolge wurde bei 175 von einer Million Frauen zwischen 40 und 49 Jahren ein Zervixkarzinom neu diagnostiziert, so Straub weiter. Fast immer werde Gebärmutterhalskrebs durch eine HPV-Infektion verursacht und sei daher durch Impfung vermeidbar. Auch Jungen profitierten durch die Senkung des Risikos für HPV-assoziierte Tumore von dieser Impfung. Daher brauche es unter anderem ein nachhaltiges Erinnerungssystem für Versicherte mit Impflücken. Idealerweise könne die Überprüfung des Impfstatus bei der Untersuchung U10 erfolgen, deren Einführung als Regelleistung der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) derzeit prüfe.
Junge Frauen erkranken dank HPV-Impfung deutlich seltener
Analysen von Dr. Veronika Lappe von der PMV-Forschungsgruppe der Universität Köln zeigen bei 20- bis 29-jährigen Frauen bereits jetzt die schützende Wirkung der HPV-Impfung. Sie erkranken deutlich seltener an Gebärmutterhalskrebs. Im Jahr 2011 hat die Häufigkeit bei dieser Altersgruppe noch bei 23 Neuerkrankten je eine Million Frauen gelegen. 2022 ist die Rate auf sieben je eine Million gesunken. „Wir sehen in der Altersgruppe 20 bis 29 Jahre die niedrigste Rate an Neuerkrankungen für Gebärmutterhalskrebs seit dem Jahr 2011. Dieser Effekt ist bei den Frauen zwischen 30 und 39 Jahren, die noch nicht von der Impfung im Kindesalter profitieren konnten, nicht zu beobachten“, sagt Studienautor Prof. Dr. med. Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken. Im Jahr 2011 habe die Anzahl der Neuerkrankten hier bei 95 und im Jahr 2022 bei 120 je eine Million Frauen gelegen.
Impfung auch für Jungen empfohlen
Die HPV-Impfung schütze auch Jungen vor HPV-bedingten Tumorerkrankungen und zusätzlich indirekt die Mädchen, so Grandt weiter. Deshalb werde sie seit dem Jahr 2018 auch für Jungen empfohlen. Der Anteil der vollständig gegen HPV geimpften Jungen liege mit 25 Prozent im Alter von 13 Jahren deutlich niedriger als bei den Mädchen. Hier bestehe hoher Handlungsbedarf, zumal von 2021 auf 2022 die Rate der jährlich Geimpften um 31,8 Prozent von 85 auf 58 je 1.000 Jungen zurückgegangen sei. Ein selektivvertragliches Angebot der Barmer habe gezeigt, dass sich die HPV-Impfquote bei Jungen deutlich steigern lasse.
Höhere HPV-Impfquoten vor allem im Osten
Bei den HPV-Impfquoten gibt es laut Barmer-Report deutliche regionale Unterschiede. In Sachsen-Anhalt sind 75,7 Prozent der 17-jährigen Mädchen vollständig geimpft, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg mit 71,8 beziehungsweise 71,5 Prozent. Die niedrigsten Quoten gibt es in Bayern, Bremen und Baden-Württemberg mit 51,3 beziehungsweise 54,2 und 55,2 Prozent. Deutliche regionale Unterschiede gibt es auch bei den Anteilen gegen HPV komplett ungeimpfter Mädchen. Die Spanne reicht hier von 12,5 Prozent in Sachsen-Anhalt bis hin zu 32,5 Prozent in Bayern.
Kinderärzte führen immer häufiger HPV-Impfung durch
Das Impfverhalten der beteiligten Ärztinnen und Ärzte hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Bei den Mädchen haben im Jahr 2015 Kinderärztinnen und -ärzte 50,6 Prozent der Erstimpfungen durchgeführt. Im Jahr 2022 waren es bereits 68,1 Prozent. Bei den Hausärztinnen und Hausärzten blieb der Wert mit etwa jeder sechsten Erstimpfung konstant. Bei Gynäkologinnen und Gynäkologen hat der Wert deutlich von 32,7 Prozent im Jahr 2015 auf 18,2 Prozent im Jahr 2022 abgenommen. „Die im Jahr 2014 vom Robert Koch-Institut geänderte Empfehlung, die HPV-Impfung bereits im Alter ab neun Jahren durchzuführen, hat die Bedeutung der Kinderärzte noch einmal deutlich erhöht. Sie sind inzwischen bei Jungen und Mädchen die ersten Ansprechpartner für die HPV-Impfung“, so Grandt.
Strukturiertes Impferinnerungssystem erforderlich
„Die Akzeptanz und Sensibilität für die HPV-Impfung muss weiter steigen, um die Impfrate deutlich zu verbessern“, fordert Straub. Hilfreich wäre hier die bereits genannte zusätzliche Kindervorsorgeuntersuchung im Alter von neun bis zehn Jahren, in der unter anderem der Impfstatus überprüft und über den Nutzen und die Risiken fehlender Impfungen aufgeklärt würde. „Ein Erinnerungssystem für nicht und unvollständig HPV-Geimpfte kann zusätzlich helfen, die Impfquote zu erhöhen“, so Straub. Genauso wichtig wie bei den Mädchen sei die HPV-Impfung der Jungen, da sie von dieser nicht nur selbst profitierten. Denn als Ungeimpfte seien sie später beim Geschlechtsverkehr wesentliche Überträger, die Frauen mit HP-Viren infizierten. Krankenkassen könnten mit Blick auf die Impfung eine wichtige Erinnerungsfunktion übernehmen. In den Routinedaten ließen sich die bis zum zwölften Lebensjahr noch ungeimpften Kinder identifizieren und rechtzeitig über diese Impfung informieren. Dies sei eine wichtige Ressource vor dem Hintergrund sinkender Impfquoten.