Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) macht es, der Freie Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ) und manche Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) auch – alle publizieren mehr oder minder interessante Zahlen des Monats, zumeist aus der zahnärztlichen Welt. Die Knallerzahl des Monats September kommt meiner bescheidenen Meinung nach diesmal von den KZVen und insbesondere der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns (KZVB) und lautet: 15.000.
Denn diese Anzahl zahnärztlicher „Protestnoten“ gegen Lauterbachs GKV Finanzstabilisierungsgesetz wurden gen Berlin gesandt. Wo die sich stapeln, weiß kein Mensch. Vielleicht in der Poststelle oder bereits im Altpapiercontainer des BMG? Wie die KZVB in ihrer Pressemeldung vermeldet, war die freistaatliche Beteiligung von Zahnärztinnen und Zahnärzten mit einem guten Drittel besonders hoch.
15.000 – oder ein knappes Viertel
Zahlen reizen ja bekanntlich zum Vergleich. Sind also rund 15.000 an das Bundesgesundheitsministerium versandte – wohlgemerkt vorgefertigte – Briefe viel oder viel zu wenig? Nimmt man die Anzahl der in der ambulanten Versorgung tätigen Zahnärztinnen und Zahnärzte als Maßstab, hätten sich nach jetzigem Stand lediglich ein knappes Viertel an dieser Aktion beteiligt. Ein Grund, mit der Aktion zufrieden oder gar stolz zu sein? Oder anders gefragt: Kann eine solche Aktion, an der sich nicht einmal ein knappes Viertel der Zahnheilkundigen beteiligt, überhaupt politische Wirkung entfalten?
Wer schreibt, bleibt oder wirkt
Es stimmt schon – angesichts der derzeitigen Bedrohungslage, die das GKV-Finanzstärkungsgesetz (GKV-FinStG) für fast alle Zahnarztpraxen schafft, hätten sehr viele Postsäcke mehr in das Ministerium geschleppt werden müssen. Was nur zum Schluss führen kann, dass entweder die Konsequenzen aus dem GKV-FinStG seitens der Zahnärzteschaft höchst unterschiedlich bewertet oder Briefe als untaugliches Mittel des Protests angesehen werden. Dr. Wolfgang Eßer sieht die Maßnahme jedenfalls positiv. Er hält die 15.000 Briefe für ein eindeutiges Signal aus der zahnärztlichen Praxis, welches der Minister nicht ignorieren könne, sowie – Achtung – für Rückenwind und Stärkung bei den beginnenden Verhandlungen.
Wattebäuschchenaktion oder echter Protest?
Doch leider hat diese Briefaktion zwei weiche Stellen. Erstens: Mehr Zahnärztinnen und Zahnärzte bedeutet mehr Wirkung. Und zweitens hätte ein selbst verfasstes Schreiben im Vergleich zu einem vorformulierten Brief im öffentlichen Diskurs nicht nur eine höhere Glaubwürdigkeit gehabt, sondern hätte auch im BMG richtig für Arbeit gesorgt. Und das wäre alles andere als eine Wattebäuschchenaktion gewesen.
Briefe sind mehr als nur Anscheinsprotest
Mit anderen Worten: Schreiben ist öffentlich wahrnehmbares Farbe bekennen und damit mehr als nur ein Anscheinsprotest. Es hat nämlich vier Wirkungsebenen: Aus der Berufsgruppe hinaus in die Politik, dann in die eigene Berufsgruppe hinein – und zwar nicht nur zur Unterstützung der verfassten Führungsriegen, sondern auch als Anreiz für die Kolleginnen und Kollegen, mitzumachen. Zudem ist es ein Signal an die eigenen Mitarbeiter. Und es gibt sogar noch einen vierten Wirkungskreis: Dann nämlich, wenn man den Brief ausdruckt und unterschrieben in das Wartezimmer hängt.
Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass diese Einschätzung eines „popeligen“ Briefes von sehr vielen Lesern kritisch gesehen wird. Allzumal Ursache und Wirkung kaum messbar sind, geschweige denn in einen konkreten zeitlichen Zusammenhang mit politischer Reaktion gebracht werden können. Also doch nur Wattebausch und das Porto nicht wert?
Welche Protestinstrumente bleiben
Deshalb die Gegenfrage: Welches „wirkungsvolle“ Protestinstrument, um in der derzeitigen Situation das Wort Kanone zu vermeiden, haben Vertragsärztinnen und -ärzte im engen Regelungsrahmen des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) und in dem existenten Versorgungsgeschehen mit seinem dichtgewebten, gar überbordenden Regelungswerk denn überhaupt? Also machen wir uns ehrlich: In diesem System definitiv keine Kanone!
Selbst der berühmte Sand im Getriebe schadet nicht den Verursachern der Probleme, sondern den Leistungsanbietern wie auch den Patienten. Oder wie ist es sonst zu erklären, dass trotz Unterfinanzierung des Systems (an dieser Stelle sei nur an den Honorarverteilungsmaßstab und seine Funktion erinnert) die Versorgung auf einem hohen – im Vergleich zum Beispiel zu Großbritannien sogar extrem hohen – Niveau funktioniert?
„Aber Monti hat es doch vorgemacht“
Alles schön und gut – aber wären nicht schärfere Geschütze notwendig, zum Beispiel ein Streik? Das sei doch ein Grundrecht, so die landläufige Meinung … Der Marburger Bund unter der damaligen Führung von Prof. Dr. Frank Ulrich „Monty“ Montgomery habe es ja vorgemacht, ist häufig als Argument an Stammtischen zu vernehmen. Aber diese Aktion der Ärzte, genauer Krankenhausärzte, für einen eigenen Tarifvertrag ist auch schon seit rund 15 Jahre Vergangenheit. Das Zauberwort heißt leider Krankenhausärzte und ist zu übersetzen mit Angestellten, wohlgemerkt tarifvertraglichen Angestellten. Und das ist das genaue Gegenteil eines Selbstständigen.
Vertragszahnärzte haben kein Streikrecht
Womit wir bei grundlegenden Unterschieden sind. Ein Selbstständiger kann nicht gegen sich selbst streiken, ohne sich in das berühmte eigene Knie zu schießen. Als Arbeitgeber schädigt er sich im Vergleich zu Angestellten selbst, denn die Kosten für das Unternehmen – von Miete bis Mitarbeiter und auch die eigenen Lebenshaltungskosten – laufen ja weiter. Zudem hat ein niedergelassener Vertragszahnarzt als Mitglied einer KZV und damit einer Körperschaft öffentlichen Rechtes nicht nur „klare“ Vorgaben im Hinblick auf die Generierung von Honorarumsatz zu beachten, sondern eben auch kein Streikrecht. Dieses schließt der Sicherstellungsauftrag aus. So schön der immer wieder gerne genommene Vergleich mit den Piloten der Lufthansa und Ihrer Vereinigung Cockpit auch ist – in diesem Beispiel sind die Leistungserbringenden(!) die Lufthansa und eben nicht die Piloten.
Relative finanzielle Sicherheit
Was den kurzen Schmerz ob dieser Tatsache etwas lindert, ist die andere Seite der Medaille, nämlich die finanzielle Sicherheit als Vertragszahnärztin/-zahnarzt. Einverstanden, auch diese ist relativ, in den heutigen Zeiten allzumal, aber die üblichen Marktausschläge wie in der sogenannten freien Marktwirtschaft gibt es in der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht. Die Potenziale der eigenen Praxis sind weitgehend nach den eigenen Vorstellungen und Möglichkeiten gestaltbar, die finanzielle Seite sogar langfristig kalkulierbar. Was bekanntermaßen Banken erfreut. Das ist in einer immer volatiler werdenden Wirtschaftswelt ein echter Vorteil.
Gute Gründe, sich Gehör zu verschaffen
Dennoch steigen im Hier und Heute die Kosten rapide an, bei gleichzeitig stagnierenden oder gar rückläufigen Umsätzen. Zudem wird Lauterbachs GKV-FinStG mühsam erarbeitete und lang erkämpfte sowie notwendige(!) Verbesserungen in der Versorgung wie die PAR-Richtlinie schneller verdorren lassen, als einem angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse lieb sein kann. Es gibt also angesichts der politischen Kurzsichtigkeit mehr als genug Gründe, sich öffentlich Gehör zu verschaffen.
Briefe schreiben ist ein Anfang
Dass die verfasste Zahnärzteschaft gestalten und eigene Wege erfolgreich gehen kann, hat sie nicht nur mit der Mehrkostenregelung bewiesen. Der Beweis, dass sie sich auch kollektiv wehren will, steht jedoch noch aus. Angesichts so simpler Aktionen wie einen vorgefertigten Brief zu unterschreiben und abzuschicken, hat die Solidarität noch deutlich Luft nach oben. Noch ist es so: Nur gemeinsames und konsequentes Agieren erhöht das politische Gewicht. Briefe schreiben ist ein Anfang.
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.