In die Vergütungsverhandlungen der Kassenärzte und des GKV-Spitzenverbands und die angekündigten Proteste der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte gegen das „Kaputtsparen“ des ambulanten Bereichs hat sich jetzt das Bundesgesundheitsministerium mit einer Stellungnahme indirekt eingeschaltet.
Das Ministerium reagierte damit parallel zu den Positionen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in den am 9. August gestarteten Honorarverhandlungen, den für den 18. August angekündigten Krisengipfel der KBV und den vom Virchowbund für den Herbst angekündigten Protestkampagne. Es widersprach den „Behauptungen“ mehrerer Ärzteverbände, dass die ambulante Versorgung von Politik und Kassen „kaputtgespart“ werde, und übermittelte an Journalisten ein „Faktenblatt“ unter anderem zur Honorarentwicklung in der vertragszahnärztlichen Versorgung. Das Faktenblatt basiert ganz überwiegend auf ausgewählten Zahlen der Gesetzlichen Krankenversicherung und des Statistischen Bundesamts, die zum Beispiel nicht in Relation zu den gestiegenen Fallzahlen stünden oder sich auf 2019 bezögen, heißt es vonseiten der Ärzte. Dieses Vorgehen sorgt für scharfe Kritik unter anderem vom Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (Spifa), der dem Ministerium vorwarf, sich damit auf die Seite der Kassen zu schlagen.
Scharfe Kritik und Lobbyismus-Vorwurf an das BMG
Dies sei ein schwerwiegender Eingriff in die „Tarifautonomie“ der gemeinsamen Selbstverwaltung. Das Bundesgesundheitsministerium habe hier allenfalls eine Rechts-, aber keinesfalls die Fachaufsicht. „Es verstößt zudem mit diesem Vorgehen gegen seine staatliche Neutralitätspflicht“, so der Spifa. „An dieser Stelle offenbart sich, was Viele bereits seit der Neubesetzung des Personaltableaus im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mit ehemaligen Mitarbeitern des GKV- Spitzenverbandes ahnen: Bundesgesundheitsminister Lauterbach betont zwar immer wieder, dass er sich von sogenannten ‚Lobbyisten‘ nicht beeinflussen lassen will, das muss er aber auch nicht, denn die ‚genehmen Lobbyisten‘ sitzen ja bereits im eigenen Haus“. so der Spifa.
Ärzteverbände beschweren sich beim Kanzler über das BMG
Die Allianz Deutscher Ärzteverbände – Hartmannbund, Medi Geno, Virchowbund, Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten und die Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände – hat sich am 14. August 2023 in einem Schreiben an Bundeskanzler Olaf Scholz über das Vorgehen des Bundesgesundheitsministeriums von Minister Prof. Dr. Karl Lauterbach beschwert. Kritisiert wird, dass das BMG mit einem „Faktenblatt“, das an Journalisten übermittelt wurde und das aus Sicht der Ärzte unvollständige und einseitige Informationen zur Honorar- und Einkommenssituation enthält, in der Verhandlungsphase zwischen Kassenärzten und Krankenkassen einseitig Position bezieht. Neben diesem Eingriff in die „Tarifautonomie“ der Selbstverwaltung wird auch die einseitige Darstellung der Umsätze der Arztpraxen in der Corona-Pandemie kritisiert, bei denen die gleichzeitig gestiegenen hohen Aufwendungen und Kosten ausgeblendet worden sei. Die Unterzeichnenden fordern den Bundeskanzler auf, Bundesgesundheitsminister Lauterbach auf seine Pflichten hinzuweisen, „insbesondere darauf, dass er in der aktuellen Verhandlungssituation strikte Neutralität zu wahren hat“, zitiert das Deutsche Ärzteblatt aus dem Schreiben.
(aktualisiert am 15. August 2023, 9.15 Uhr. -Red.)
BMG arbeitet an Endbudgetierung für Hausärzte
Zugleich hieß es aus dem BMG, dass an der Entbudgetierung gearbeitet werde – allerdings wohl nur für die Hausärztinnen und Hausärzte. Für die Kinder- und Jugendärzte wurde eine solche Vergütung aller Leistungen zu festen Preisen bereits umgesetzt – gefordert wird sie von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aber für alle haus- und fachärztlichen Leistungen. Die Ärzte Zeitung (11. August 2023) schreibt dazu: „Der Sprecher von Karl Lauterbach verwies nun darauf, dass eine vollständige Entbudgetierung aller ärztlichen Leistungen nicht Gegenstand des Koalitionsvertrags sei. Vereinbart sei dort die Entbudgetierung der Honorare im hausärztlichen Bereich. ‚Die Umsetzung wird derzeit vorbereitet“, ließ der Ministeriumssprecher wissen.“
KBV will 10,2 Prozent – Kassen bietet 2,1 Prozent
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) fordert in den aktuellen Verhandlungen mit den Kassen eine Anhebung des Orientierungswertes und damit der Mittel für die ambulante Versorgung um 10,2 Prozent. „Die Praxen brauchen schnellstens mehr Mittel, um ihre Patientinnen und Patienten auch perspektivisch weiter versorgen zu können“, sagte KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen nach der ersten Verhandlungsrunde mit dem GKV-Spitzenverband am 9. August in Berlin. Die zweite Verhandlungsrunde ist für den 24. August geplant – nach dem Krisengipfel der KBV am 18. August.
Der GKV-Spitzenverband habe die Forderungen der KBV abgelehnt und eine Anhebung des Orientierungswertes (OW) um 2,1 Prozent angeboten, so die KBV. „Die Krankenkassen verkennen völlig die aktuelle wirtschaftliche Situation der Arzt- und Psychotherapeutenpraxen, da sie sich ausschließlich mit veralteten Daten auseinandersetzen", betonte Gassen gegenüber den PraxisNachrichten der KBV. Der KBV-Chef appellierte an sie, ihrer Pflicht zur ausreichenden Finanzierung der ambulanten Versorgung nachzukommen.
Mehr Geld für das nicht ärztliche Personal
In der von der KBV geforderten OW-Steigerung sind neben den üblicherweise zu berücksichtigenden Kostensteigerungen des Vorjahres (2022 zu 2021) auch Gelder für eine Erhöhung der Gehälter des nicht ärztlichen Personals sowie eine Inflationsausgleichsprämie für das laufende Jahr enthalten. Außerdem fordert die KBV eine Anhebung der Kostenpauschalen sowie eine Vergütung des erheblichen Mehraufwands infolge von Arzneimittelengpässen.
Die KBV begründete ihre Forderungen mit den explodierenden Kosten und dem akuten Mangel an qualifiziertem Personal. „Wir brauchen eine deutliche Aufstockung der Finanzmittel, damit die Praxen noch arbeitsfähig sind“, betonte Gassen. Ansonsten würden mehr und mehr Ärzte ihren Leistungsumfang reduzieren müssen.
300 Euro mehr für jede MFA
In der geforderten OW-Anhebung ab 1. Januar 2024 ist die Finanzierungsgrundlage für eine Gehaltserhöhung der nicht ärztlichen Praxismitarbeiterinnen und -mitarbeiter einkalkuliert. So fließt eine Erhöhung in Höhe von monatlich 300 Euro (brutto) in die Berechnung der Veränderungsrate des Orientierungswertes ein.
Inflationsausgleichsprämie für das laufende Jahr
Die KBV verlangt außerdem einen Ausgleich für die inflationsbedingten Mehrbelastungen der Praxen im laufenden Jahr, die in der OW-Anpassung für 2023 nicht berücksichtigt wurden. „Zur Korrektur fordern wir eine Inflationsausgleichsprämie für die Ärzte und Psychotherapeuten“, sagte Gassen. Der Orientierungswert war zu Jahresbeginn nur um 2 Prozent angehoben worden; die Inflationsrate im ersten Quartal lag bei 8,3 Prozent.
Die Gelder für die geforderte Inflationsausgleichsprämie sind ebenfalls in der Anhebung der Vergütung von 10,2 Prozent enthalten. Zur Ermittlung der Prämie als Aufschlag auf den OW 2024 rechnet die KBV mit einer Einmalzahlung in Höhe von 3.000 Euro je Arzt und Psychotherapeut.
Die Forderungen der KBV im Überblick
- Anhebung der für den Orientierungswert (OW) relevanten Vergütung um 10,2 Prozent. Darin sind neben den üblicherweise zu berücksichtigenden Kostensteigerungen im Vorjahr (Kostenentwicklung in 2022 zu 2021) zusätzlich einkalkuliert:
- Inflationsausgleichsprämie für jeden Arzt und Psychotherapeuten für das Jahr 2023
- Finanzierung einer monatlichen Gehaltserhöhung von 300 Euro (brutto) für nicht ärztliche Praxismitarbeiterinnen und -mitarbeiter
- Aufwandspauschale für Mehraufwand bei Arzneimittelengpässen
- Erhöhung der Kostenpauschalen, unter anderem für die Dialyse und Laboruntersuchungen, entsprechend der OW-Steigerung
Orientierung an Tarifabschluss des Öffentlichen Diensts
Dieser Wert lehnt sich an den Tarifabschluss an, der zwischen den Tarifpartnern des Öffentlichen Dienstes angesichts der hohen Inflation für das Jahr 2023 vereinbart wurde. Der Gesetzgeber hat bei der Anpassung der Gehälter für Minister und Bundesbeamte diese Vereinbarung ebenfalls genutzt. Nach dem Gesetz zur Anpassung der Bundesbesoldung gilt diese Einmalzahlung im Jahr 2023 auch für Empfänger von Dienstbezügen.
Dynamisierung der Kostenpauschale
Die KBV verlangt außerdem eine Dynamisierung sämtlicher Kostenpauschalen, unter anderem für die Dialyse und Laboruntersuchungen. Diese sollen künftig automatisch um die jährliche OW-Steigerung angehoben werden. Dies passiert bislang nicht, sodass die Kosten vielfach nicht gedeckt sind.
Aufwandspauschale bei Arzneimittelengpässen
Die vierte Forderung zur Anhebung der Vergütung betrifft das aktuelle Problem der Arzneimittelengpässe. Durch den Austausch von Medikamenten sowie durch zahlreiche Rückfragen in den Praxen entsteht ein erheblicher Arbeitsaufwand in den Praxen. Hierfür fordert die KBV eine pauschale Vergütung.
Hintergrund
Bei den jährlichen Finanzierungsverhandlungen zwischen der KBV und dem GKV-Spitzenverband geht es vornehmlich um die Festlegung des bundeseinheitlichen Orientierungswerts und damit um die Finanzierung der ärztlichen und psychotherapeutischen Untersuchungen und Behandlungen bei gesetzlich versicherten Patienten. Anders als bei Tarifverhandlungen gibt es dafür gesetzliche Vorgaben, wie die Höhe der Anpassung zu ermitteln ist.
Die regionalen Veränderungsraten der Morbidität und Demografie, die ebenfalls festzulegen sind, hat der Bewertungsausschuss bereits im Juli beschlossen. Sie bilden neben dem Orientierungswert die Grundlage für die regionalen Vergütungsverhandlungen, die im Herbst beginnen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen verhandeln dann mit den Krankenkassen vor Ort, wie viel Geld diese im neuen Jahr für die ambulante Versorgung ihrer Versicherten in der Region bereitstellen.
Beitrag aktualisiert am 15. August 2023, 9.15 Uhr, um das Schreiben der Ärzteverbände an Bundeskanzler Olaf Scholz. -Red.