Ökonomischer Druck und Personalmangel in der Klinik beeinträchtigen nicht nur die Gesundheit des medizinischen Personals, sondern sind auch eine potenzielle Gefahr für die Patienten. Diesen Schluss legen die Antworten von rund 1.500 Assistenzärzten nahe, die sich an einer aktuellen Umfrage des Hartmannbundes beteiligt haben.
Begünstigt und in Teilen überhaupt erst möglich wird diese Entwicklung offensichtlich durch noch immer weit verbreitete Defizite bei der Erfassung und Dokumentation von Arbeitszeiten. Auch Effizienzbemühungen durch Digitalisierung und ein damit einhergehender möglicher Bürokratieabbau stecken vielerorts noch immer in den Kinderschuhen. Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt, sieht erheblichen Handlungsbedarf.
Exakt 1.437 Assistenzärzte nahmen von Dezember 2018 bis Januar 2019 an der Umfrage teil und nicht nur ihre Antworten, sondern auch Hunderte von Kommentaren legen einen interessanten und in Teilen erschreckenden Blick auf die Arbeitswelt der in Weiterbildung befindlichen Ärzte frei – von den Themen Arbeitszeit und Digitalisierung bis hin zu Weiterbildung und Fehlermanagement. Für den Ausschuss der Assistenzärzte im Hartmannbund – Initiatoren der Erhebung – sind deren Resultate durchaus ein Spiegelbild dessen, was ihnen von jungen Kollegen in der Ausschussarbeit geschildert wird.
Gemeinsam in der Pflicht, Abhilfe zu schaffen
Dr. Wenke Wichmann, Mitglied des Leitungsgremiums des Ausschusses sieht alle beteiligten Player gemeinsam in der Pflicht, Abhilfe zu schaffen – Politik, Krankenhausträger und Verantwortliche in den Kliniken selbst. „Wir sehen uns in erster Linie da nicht in der Rolle des Anklägers, sondern wollen – soweit es geht konstruktiv – daran mitwirken, notwendige Veränderungen zu gestalten“, macht Wichmann klar. Für grundsätzlich inakzeptabel hält sie es allerdings, wenn gesetzlich klar definierte Regelungen vom Arbeitgeber nicht eingehalten werden. „In dieser Grauzone sind die Weiterbildungsassistenten meistens das schwächste Glied in der Kette und gezwungen, Regelverstöße mehr oder weniger hinzunehmen. Das darf nicht sein“, kritisiert Wichmann.
So sieht es auch Hartmannbund-Vorsitzender Dr. Klaus Reinhardt: „Das Arbeitszeitgesetz darf auch in Zeiten von Personalmangel nicht zur Makulatur verkommen. Da braucht es Verlässlichkeit. Es nützen im Zweifelsfall am Ende die von uns geforderten Personalschlüssel nichts, wenn es keine effektiven Möglichkeiten der Durchsetzung und Kontrolle gibt.“ Hier seien vor allem die Aufsichtsbehörden gefordert, ihre Kontrollfunktion konsequenter wahrzunehmen.
Zu hoher Anteil von Bereitschaftszeiten
So geben rund 50 Prozent der Befragten an, ihre Arbeitszeit werde nicht konsequent erfasst und (häufig auch ungeplante) Überstunden würden somit nicht entsprechend dokumentiert. Fast jeder Zweite arbeitet – regelwidrig – im Bereitschaftsdienst länger als 50 Prozent seiner regulären Arbeitszeit. Dass Personalmangel Ursache vieler dieser Missstände sei – rund 50 Prozent der Teilnehmer geben an, Personalausfälle auf ihren Stationen könnten nicht kompensiert werden – ist für Wichmann zwar „objektiv nachvollziehbar“, deshalb aber trotzdem weder für Ärztinnen und Ärzte noch für die Patienten hinnehmbar.
„Patientengefährdende Fehler“
Wenn – nicht zuletzt offenbar auch vor diesem Hintergrund – 75 Prozent der befragten Berufseinsteiger angeben, sie seien regelmäßig (im Nachtdienst/allein auf der Station) mit Situationen konfrontiert, auf die sie sich „nicht vorbereitet“ sähen, so sei dies mehr als besorgniserregend. „Dies umso mehr, als ein Großteil dieser Gruppe durch diesen Umstand bereits ‚patientengefährdende Fehler‘ wahrgenommen hat“, warnt Wichmann, die dabei gleichzeitig eine Lanze für die erfahrenen Kolleginnen und Kollegen bricht. Denn für deren Unterstützung im Hintergrunddienst gibt es von den jungen Kolleginnen und Kollegen grundsätzlich überwiegend gute bis sehr gute Noten.
Wenig Flexibilität, hohe private Belastung
Zur partiellen Arbeitsunzufriedenheit der Assistenzärzte (knapp ein Drittel äußert sich unzufrieden bis sehr unzufrieden) tragen neben der Arbeitsbelastung und „Frust“ über zu wenig Zeit für den Patienten (nur jeder Vierte sieht diese als ausreichend an) offensichtlich nach wie vor auch Defizite bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei. Rund 40 Prozent sehen Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Wunsches nach Teilzeit, mangelnde Angebote an flexiblen Arbeitszeitmodellen oder fehlende Betreuungsangebote noch immer als größte Hindernisse einer ausgewogenen Work-Life-Balance. Zwei Drittel der Befragten sehen negative Auswirkungen ihrer Arbeit auf Privatleben und soziale Kontakte, jeder Fünfte befürchtet zudem gesundheitliche Beeinträchtigungen.
Rudimentäre Digitalisierung mit unzureichenden Mitteln
Wo die jungen Ärzte noch ungehobene Entlastungs- und Effizienzpotenziale in der Klinik sehen, wird im Kapitel „Digitalisierung“ der Umfrage deutlich. Rund 60 Prozent der Befragten kritisieren „ineffiziente Formen“ der Digitalisierung an ihrer Klinik: Radiologie-Befunde, die von Patienten auf CD gebrannt mitgebracht werden, da es keinen Austausch-Server mit den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen gibt. Externe schriftliche Befunde, die „digitalisiert“ werden, indem sie eingescannt werden und damit als Bilddatei in der Krankenakte verfügbar sind – mit der allerdings nicht weitergearbeitet werden kann, weil die Befunde nicht kopierbar sind. Medikamentenpläne, die trotz QR-Code abgeschrieben werden müssen, weil es an Software fehlt, die den QR Code-Datensatz ins Krankenhausinformationssystem überspielen kann. Dass vier von fünf Assistenzärzten den Anteil von Bürokratie an ihrer Arbeitszeit mit über 50 Prozent beziffern, dürfte auch maßgeblich diesem Umstand geschuldet sein – nicht nur für Reinhardt eine „dramatische Verschwendung ärztlicher Ressourcen“.
Fehlanzeige in Sachen Digitalisierung im Wesentlichen offenbar weitgehend auch in der Weiterbildung. Dort spielt sie bei 85 Prozent der Befragten „keine Rolle“. Apropos Qualität der Weiterbildung: Mehr als die Hälfte der Befragten benotet die Qualität und den Umfang ihrer Einarbeitung zum Berufsstart mit den Noten „4“ und „5“. Und gerade einmal jeder vierte Assistenzarzt beschreibt seine Weiterbildung als „strukturiert“ – zum Beispiel durch einen verlässlichen Rotationsplan, der alle relevanten Inhalte abdeckt.
Stellvertretend für gesamte schwierige Situation
Für Dr. Klaus Reinhardt ist klar: Die Probleme der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung stehen – jenseits ihrer spezifischen Problematik – stellvertretend für die schwierige Situation des gesamten ärztlichen Personals und auch der Pflege an den Kliniken. „Es leiden alle Beteiligten gleichermaßen unter dem Korsett der Ökonomie. Diese Fessel gilt es zu sprengen, statt sich ihr immer stärker anzupassen!“ Reinhardt kritisierte in diesem Zusammenhang erneut das fehlende Verantwortungsbewusstsein der Länder für die Investitionsförderung der Kliniken und die „Verantwortungsdiffusion“ auf Seiten der verschiedenen Krankenhausträger, die eine rationale Handlungsfähigkeit bei der Krankenhausplanung unmöglich mache.
Niederlassung bleibt für Fachärzte attraktiv
Eine interessante „Randnotiz“ übrigens noch zum Schluss für alle, die der Niederlassung das absehbare „Aus“ prognostizieren: Bei den Angaben der Befragten zu ihren Karrierezielen (Mehrfachnennungen waren möglich) liegt die Niederlassung in der Gemeinschaftspraxis ganz weit vorn. Und auch der angestellte Facharzt in ambulanten Bereich hat die Nase gegenüber dem Facharzt in der Klinik vorn.