Der Bundesrat verlangt Änderungen am Regierungsentwurf für das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG). Er folgte damit in seiner Sitzung am 16. September 2022 den Empfehlungen des federführenden Gesundheitsausschusses. Neben grundsätzlichen Änderungswünschen, so einem höheren als den geplanten Bundeszuschuss, spricht sich der Bundesrat auch gegen Kürzungspläne bei den Leistungen aus.
„Der Bundesrat spricht sich insbesondere dafür aus, den in Entwurf vorgesehenen Entfall außerbudgetärer Vergütungen von Leistungen für Neupatienten zu streichen, ebenso die geplante Erhöhung des Apothekenabschlags von 1,77 Euro auf 2 Euro. Verzichtet werden solle ebenso auf Regelungen, die zu einem Abschöpfen von Vermögenswerten der gesetzlichen Krankenkassen führen, sowie auf die Absenkung der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds“, heißt es in der Meldung der Länderkammer zum Beschluss.
Mundgesundheit von 30 Millionen Menschen weiter garantieren
Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) begrüßte besonders, dass der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf des GKV-FinStG auch fordert, die neue, präventionsorientierte Parodontitis-Behandlungsstrecke aus der zahnärztlichen Budgetierung herauszunehmen. Für den Erhalt dieser wichtigen Behandlung hätten sich auch die Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte in den vergangenen Monaten vehement eingesetzt, um die Mund- und Allgemeingesundheit von 30 Millionen betroffenen Patientinnen und Patienten weiterhin zu garantieren, so die KZBV.
Dr. Wolfgang Eßer, Vorstandsvorsitzender der KZBV, sagte zum Beschluss: „Gemeinsam mit den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen haben wir unsere Vorschläge zur Verbesserung des Gesetzes an die Länder adressiert, um eine präventionsorientierte Parodontitis-Therapie weiterhin zu ermöglichen und im Sinne des Patientenwohls Leistungskürzungen zu vermeiden. Dass der Bundesrat heute Änderungen am GKV-FinStG empfiehlt, ist ein richtiges und wichtiges Signal für das weitere Gesetzgebungsverfahren.“
Eßer verdeutlichte nochmal, dass das Gesetz in seiner jetzigen Form tiefgreifende negative Folgen für die Mund- und Allgemeingesundheit in Deutschland hätte. „Insbesondere die neue Versorgungsstrecke für die wissenschaftlich abgesicherte Behandlung der Volkskrankheit Parodontitis wäre von den geplanten Regelungen betroffen und stünde faktisch vor dem Aus. Und das, obwohl die mit Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses und unter Zustimmung des Bundesgesundheitsministeriums erst im Juli 2021 eingeführte präventionsorientierte neue Parodontitistherapie von allen Beteiligten als ‚Quantensprung‘ für die Prävention begrüßt worden war.“
Nicht abgeschlossene Behandlungen bei Deckelung der Ausgaben
Die im GKV-FinStG vorgesehene Budgetierung und Deckelung der Ausgaben hätte laut KZBV in der vorliegenden Fassung zur Folge, dass begonnene Parodontitisbehandlungen zu Teilen nicht zu Ende geführt und neue Behandlungen nicht begonnen werden könnten. Dies beträfe fast jeden zweiten Erwachsenen in Deutschland. Unbehandelt ist Parodontitis die häufigste Ursache für vermeidbaren Zahnverlust. Daneben seien Wechselwirkungen mit Herzkreislauferkrankungen, Diabetes, demenziellen Erkrankungen, Frühgeburten sowie schweren Covid-Verläufen wissenschaftlich nachgewiesen.
KZBV will sich mit Expertise konstruktiv einbringen
Der Gesetzentwurf soll nach noch nicht abgestimmter Tagesordnung am Freitag, 23. September 2022, gleich um 9 Uhr in den Bundestag eingebracht und erstmals beraten werden. „Das GKV-FinStG droht den neuen Versorgungsansatz bei der Parodontitis-Therapie im Keim zu ersticken. Als Vorreiter im Bereich Prophylaxe und Prävention, wird sich die Zahnärzteschaft nun konstruktiv in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren mit ihrem Know-how und ihrer Expertise einbringen“, kündigte Eßer an. „Noch können die weitreichenden Auswirkungen des GKV-FinStG auf die Parodontitisbehandlung von Millionen von gesetzlich Versicherten vermieden werden, die so sicher bei der Entwurfserstellung nicht gesehen wurden. Dadurch können spätere Belastungen für das Gesundheitssystem insgesamt reduziert werden, denn die Kosten einer einmaligen Behandlungsstrecke sind am Ende gar nicht mehr mit den Belastungen für das GKV-System durch Kosten möglicher Behandlungen für Langzeiterkrankungen in Relation zu setzen“.
Budgetierung bedeutet Leistungskürzungen
Eßer betonte: „Das im Gesetz vorgesehene Mittel der Budgetierung und Deckelung ist grundsätzlich nicht zielführend, Kosteneinsparungen ohne Leistungskürzungen werden damit nicht realisiert. Der Berufsstand hat in der Vergangenheit unter Beweis gestellt, dass es auch ohne Deckelung nicht zu einer Explosion der Behandlungskosten kommt – im Gegenteil: Der Anteil zahnärztlicher Leistungen an den Gesamtkosten der GKV ist kontinuierlich gesunken. Gleichzeitig sind wir Vorreiter bei Prävention und Prophylaxe, mit diesem Know-how wollen wir uns auch künftig konstruktiv an den Diskussionen zur Stabilisierung der GKV-Finanzen beteiligen. Der Gesetzgeber erkennt die Bedeutung von Prävention an, die Bundesregierung hat sich dies sogar im Koalitionsvertrag als Leitgedanke auf die Fahnen geschrieben. Das stimmt allerdings überhaupt nicht mit dem überein, was das GKV-FinStG in seiner jetzigen Form zur Folge hätte. Deshalb muss die Parodontitisbehandlung extrabudgetäre Leistung werden.“
Länder sehen Verschlechterung des Leistungsangebots
Der Freie Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ) und der Deutsche Zahnärzte Verband (DZV) äußerten sich ebenfalls positiv zur Positionierung des Bundesrats. „Es ist ein erster und wichtiger Schritt in die richtige Richtung“, sagte der Bundesvorsitzende des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte (FVDZ), Harald Schrader, zu der Entscheidung. „Wir begrüßen dies sehr.“ Der Hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) habe die Folgen der Sparpläne im Bundesratsplenum am Freitag konkretisiert: „Was das BMG da plant, führt zu einer massiven Verschlechterung des Leistungsangebots und damit zur Verschlechterung der Versorgung der Patienten“, zitiert der FVDZ aus Rheins Rede in der Länderkammer.
„Setzen auf Signalwirkung“
Das Votum des Bundesrats könne nun richtungsweisend für die Beratungen im Bundestag sein, das GKV-FinStG selbst ist nicht zustimmungspflichtig. „Wir setzen auf die Signalwirkung des Bundesratsbeschlusses für den Gesundheitsausschuss im Bundestag“, machte der FVDZ-Bundesvorsitzende deutlich. „Es muss inzwischen allen politisch Verantwortlichen klar sein, dass sich mit den von Herrn Lauterbach aufgeklebten Sparpflastern die Versorgung der Patienten verschlechtern wird – mit Folgewirkungen, die dann richtig ins Geld gehen.“
Der Deutsche Zahnärzte Verband (DZV e.V.) spricht sich mit Blick auf die weitgehenden Folgen für die Parodontitistherapie vehement gegen den Regierungsentwurf zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz aus. „Wir gehen davon aus, dass diese weitreichenden Konsequenzen des Gesetzesentwurfs schlichtweg nicht gesehen wurden. Wir fordern den Gesetzgeber auf, Änderungen vorzunehmen, damit es auch in Zukunft möglich bleibt, die präventionsorientierte Parodontitistherapie zu erbringen. Der Gesundheitsausschuss des Bundesrats hat das Problem bei der Parodontitis-Therapie erkannt und ebenfalls Änderungen angemahnt“, so Dr. Angelika Brandl-Riedel, Vorstandsvorsitzende des DZV.
Kassenärzte erfreut über Beschluss des Bundesrats
Auch die Ärzteschaft begrüßt die Änderungswünsche der Länderkammer. Die Vertragsärztinnen und -ärzte hatten vor allem den Wegfall der Neupatientenvergütung bei gleichzeitigem Beibehalten der erweiterten Sprechzeiten kritisiert. „Das heutige Votum des Bundesrats für eine Beibehaltung der Neupatientenregelung zeigt, dass das große und gemeinsame Engagement der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, der Berufsverbände und der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) erste Früchte getragen hat. Wir danken den politischen Vertretern in den Ländern, die uns zugehört und unsere Sorgen ernst genommen haben“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen.
„Es ist gelungen, zumindest den politischen Vertretern der Länder deutlich zu machen, dass der Wegfall der Neupatientenregelung negative Auswirkungen für die Versorgung der Patienten mit sich bringen wird und unvermeidlich mit Leistungskürzungen verbunden ist“, sagte Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV.
Mehr als 50.000 Praxen unterzeichnen Protestbrief
Beide Vorstände erinnerten daran, dass sich mehr als 50.000 Praxen an einer Unterschriftenaktion im Rahmen eines offenen Briefes an den Bundesgesundheitsminister beteiligt hatten. Zudem hätten KVen und Berufsverbände im gesamten Bundesgebiet Protest- und Informationsveranstaltungen gestartet. „Wir haben die Hoffnung, dass das klare Meinungsbild des Bundesrates den Bundesgesundheitsminister dazu bringen wird, die von ihm geplante Streichung zurückzunehmen“, so Gassen und Hofmeister abschließend.
Klares Signal an die Bundestagsabgeordneten
Auch der Hartmannbund begrüßt das klare Votum des Bundesrats: „Dort, wo man näher an den Menschen ist, wird erkannt, welche dramatischen Folgen für die Versorgung ein solcher Schritt hätte“, sagte der Vorsitzende des Hartmannbunds, Dr. Klaus Reinhardt (zugleich Präsident der Bundesärztekammer). Er zeigte sich zuversichtlich, dass die Bundestagsabgeordneten bei ihrer Entscheidung Ende Oktober dieses klare Signal aus ihren „Heimatländern“ nicht ignorieren werden.
Protest und Aufklärung in der Fläche weiter wichtig
In jedem Fall sei es wichtig, Aufklärung und Protest gegen die Regierungspläne auch weiterhin in die Fläche zu tragen. „Dabei geht es vor allem darum, den Patientinnen und Patienten deutlich zu machen, dass sie die Verlierer der Lauterbach-Pläne sind“, sagte Reinhardt. Er appellierte an die Kolleginnen und Kollegen in der Niederlassung, sich so weit wie möglich an den – auch vom Hartmannbund – initiierten und unterstützen Maßnahmen zu beteiligen.