Anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März 2022 hat der Runde Tisch „Frauen im Gesundheitswesen“, zu dem auch der Dentista – Verband der ZahnÄrztinnen e.V. und der VZA+ Verband der Zahnärztinnen gehören, ein Forderungspapier zur stärkeren Beteiligung von Frauen in allen Bereichen des Gesundheitswesens veröffentlicht. „Wer die Weichen stellt für mehr Frauen in Entscheidungsfunktionen des Gesundheitswesens, stellt gleichzeitig die Weichen für eine nachhaltige Weiterentwicklung des Systems“, heißt es.
Der Anteil der Zahnärztinnen an den zahnärztlich Tätigen beträgt aktuell laut Statistik der Bundeszahnärztekammer für 2020/2021 46,8 Prozent. Betrachtet man nur die Vertragszahnärzte inklusive der Angestellten, waren 44,5 Prozent Frauen (KZBV-Jahrbuch 2021). Bei den angestellten Zahnärzten, deren Zahl seit 2007 stark gestiegen ist, waren 2020 laut Statistik der BZÄK allerdings 63,8 Prozent weiblich. In den Altersgruppen bis 45 Jahre sind die Frauen bereits in der Mehrheit.
Der Anteil der Zahnärztinnen an den zahnärztlich tätigen Zahnärzten wird in den kommenden Jahren auch angesichts der überwiegend weiblichen jüngeren Berufsjahrgänge weiter steigen, wenn die überwiegend männlichen Altersgruppen 45+ aus dem Berufsleben ausscheiden.
Die Präsidentin des Verbands VZÄplus e.V., Dr. Anke Klas (Bonn), die am Positionspapier mitgearbeitet hat, ist auch Mitglied der Task force, dem Kontrollorgan, dass die Umsetzung der Forderungen kontrollieren wird, wie der Verband mitteilt.
Wir dokumentieren hier das Papier des Runden Tischs:
Frauen in Führungspositionen führen zu einer stärkeren Performance des Gesundheitswesens und besseren Arbeitsbedingungen. Der Runde Tisch „Frauen im Gesundheitswesen“ fordert, dieses Potenzial jetzt für die Weiterentwicklung des Systems zu nutzen. Neben einer paritätischen Besetzung auf der Führungsebene braucht es neue Arbeitsmodelle und Aufstiegschancen. Politik, Unternehmen und Organisationen der Gesundheitsbranche müssen entsprechende Voraussetzungen dafür schaffen.
Mit einem konstanten Frauenanteil von über 75 Prozent ist das Gesicht des Gesundheitswesens weiblich. Auf Ebene der Entscheidungstragenden spiegelt sich dieses Bild jedoch nicht wider: Lediglich 17 Prozent1 der Positionen im Topmanagement des Gesundheitssystems sind mit Frauen besetzt. Nach einem Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)2 zeigen Unternehmen beziehungsweise Organisationen, die in ihren Strukturen geschlechtliche Vielfalt berücksichtigen, eine bessere ökonomische Performance. Allerdings setzen diese Effekte erst ein, wenn mindestens 30 Prozent aller Führungsrollen und strategischen Positionen von Frauen besetzt sind.
Leitbild im deutschen Gesundheitswesen muss eine neue Unternehmens- beziehungsweise Organisationskultur sein, die sich daran ausrichtet, welche Vorteile Frauen in Führungspositionen und gemischte Teams generieren. Eine konsequente Förderung junger Frauen und stärkere Repräsentation weiblicher Führungskräfte in Entscheidungs- und Führungsgremien bietet die Chance, die Versorgung und den Arbeitsmarkt Gesundheitswesen grundlegend durch diverse, zeitgemäße Impulse positiv zu verändern. Es ist jetzt Zeit zu handeln!
Unterzeichnerinnen der gemeinsamen Erklärung
Dr. Vanessa Conin-Ohnsorge, Healthcare Frauen e. V.
Marie-Alix Freifrau Ebner von Eschenbach, Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR) e. V.
Dr. Kerstin Finger, Dentista e. V.
Prof. Dr. Gabriele Kaczmarczyk, Deutscher Ärztinnenbund e. V. und Pro Quote in der Medizin Antje Kapinsky, Spitzenfrauen Gesundheit e. V.
Karin Kaufmann, Denkfabrik Apotheke
Dr. Bernadette Klapper, Healthcare Frauen e. V.
Dr. Anke Klas, Verband der ZahnÄrztinnen plus e. V.
Dr. Martina Kloepfer, Institut für Gender-Gesundheit e. V.
Jutta Kristen, Healthcare Frauen e. V.
Prof. Dr. Clarissa Kurscheid, Healthcare Frauen e. V.
Dr. Ina Lucas, Denkfabrik Apotheke
Johanna Nüsken, Bundesverband Managed Care e. V.
Gabriele Regina Overwiening, Denkfabrik Apotheke
Antonia Rollwage, Bundesverband Managed Care e. V.
Bernadette Rümmelin, Katholischer Krankenhausverband Deutschlands e. V.
Prof. Dr. Sylvia Thun, #SheHealth
Cornelia Wanke, Healthcare Frauen e. V.
Aufforderung zum Handeln für Politik, Unternehmen und Organisationen der Gesundheitsbranche in fünf Bereichen:
1. Paritätische Besetzung auf der Führungsebene innerhalb der nächsten fünf Jahre durchsetzen
Die Vorteile von gemischten Management-Teams sind bekannt und dennoch sind sie in Deutschland keine Selbstverständlichkeit. Damit sie Realität werden, kann in Deutschland offensichtlich nicht allein auf Eigeninitiative gesetzt werden. Daher braucht es verbindliche Vorgaben. Selbstverständlich sind Quoten immer nur eine second-best Option, folglich sind sie als Übergangslösung bis zur Normalisierung der Geschlechterverhältnisse zu sehen.
2. Job-Sharing fördern
Dass nur wenige Top-Positionen mit Frauen besetzt sind, scheitert vor allem an mangelnden strukturellen Voraussetzungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Job- Sharing und insbesondere Top-Sharing müssen von Unternehmen und der Politik gefördert werden. Auch für Männer, insbesondere in Führungspositionen, muss es normal werden, familiäre Verantwortung zu übernehmen. Job-Sharing Modelle fördern das.
3. Flexiblere und verlässlichere Arbeitsbedingungen schaffen
Viel Potenzial liegt in kleinen Maßnahmen zur Änderung der Arbeitskultur, die eine große Hebelwirkung entfalten können. Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf müssen Jobs gleichzeitig planbar und flexibel sein. Flexibel mit Blick auf Arbeitsort und -zeiten. Planbar in Bezug auf die Einhaltung von familienfreundlichen Terminregeln, wie keine Ad-Hoc- oder Abendtermine. Wenn Dienstreisen, Nacht- oder Wochenendschichten nicht für Personal mit Kindern möglich sind, müssen andere Lösungen gesucht werden.
4. Aufstiegschancen bauen
Maßnahmen zur Fort- und Weiterbildung schaffen Aufstiegschancen. Sie führen zu einer Aufwertung der traditionell weiblich besetzten Gesundheitsberufe, die häufig als Assistenztätigkeit wahrgenommen werden. In der Pflege schafft Akademisierung Karrieremöglichkeiten, die darüber hinaus die Attraktivität des Berufsfeldes erhöhen. Aufstiegschancen für Frauen müssen aber auch in anderen Gesundheitsbereichen geschaffen werden.
5. Zielorientierte Anreize kreieren
Nachhaltiges Personalmanagement im Gesundheitswesen gelingt nur, wenn neben strukturellen auch finanzielle Rahmenbedingungen attraktiv ausgestaltet werden. Eine Angleichung von Verdiensten, Gehältern und Renten hat deshalb Priorität. Ganz abgesehen von der berechtigten Forderung nach Gerechtigkeit, können finanzielle Anreize einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die weibliche Workforce im Gesundheitswesen zu halten. Hierfür müssen auch unser Sozialsystem und das Steuersystem auf den Prüfstand gestellt werden. Beide fußen weiterhin auf tradierten Rollenbildern, die Geschlechtergerechtigkeit geradezu konterkarieren und alte Denkmuster aufrechterhalten.
In der Fokussierung auf sog. weiche Faktoren wie Zusammenarbeit im Team, Kooperation zwischen den Gesundheitsberufen, flache Hierarchien, aber auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der Aufwertung von Pflege und Care-Arbeit etc. liegt das Potenzial, Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen auf der einen Seite und die Versorgungsabläufe auf der anderen Seite substanziell zu verbessern. Dazu gehört das Aufbrechen von Versorgungssilos, mehr Patientinnen-Zentrierung sowie eine stärkere interprofessionelle und interdisziplinäre Zusammenarbeit aller an der Versorgung und Pflege Beteiligten. Durch Weiterqualifizierung gelingt zugleich eine Anpassung an die großen Herausforderungen von immer komplexeren Versorgungsbedarfen. Qualifiziertes Personal bleibt dem Gesundheitswesen erhalten. Wer die Weichen stellt für mehr Frauen in Entscheidungsfunktionen des Gesundheitswesens, stellt gleichzeitig die Weichen für eine nachhaltige Weiterentwicklung des Systems.
Literatur
[1] PricewaterhouseCoopers, Oktober 2020, Frauen in der Gesundheitswirtschaft 2020, S. 4, https://www.pwc.de/de/gesundheitswesen-und-pharma/pwc-frauen-in-der-gesundheitswirtschaft-2020.pdf, letzter Zugriff: 8.2.2022
[2] International Labour Organization, Mai 2019, 2. Global Report Women in Business and Management: The business case for change, S xii. https://www.ilo.org/global/publications/books/WCMS_700953/lang--en/index.htm, letzter Zugriff 7.2.2022