Sylt bleibt ein Magnet für die fortbildungsinteressierte Zahnärzteschaft und das Fachpersonal – und ein Ort für klare politische Ansagen. Die Redner der Eröffnungsveranstaltung der „Sylter Woche“ am 23. Mai 2023, allen voran der schleswig-holsteinische Kammerpräsident Dr. Michael Brandt, machten deutlich, welche negativen Folgen die jüngsten gesundheitspolitischen Entscheidungen wie das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) für die zahnmedizinische Betreuung der Menschen und für die Arbeit in den Praxen zeitigt.
„Ganz in Weiß“ – das diesjährige Leitthema der Fortbildungstagung der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein ist keine Hommage an den bekannten Schlager von Roy Black, vielmehr geht es um restaurative Zahnmedizin mit modernen Materialien von Kunststoff bis Keramik. Die neusten Erkenntnisse vermitteln insgesamt 21 Referentinnen und Referenten. Einmal mehr erweist sich die – nunmehr bereits 65. – „Sylter Woche“ vom 23. bis 26. Mai 2023 als ein (Fach-)Besuchermagnet: Mehr als 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind auf Sylt. Zahnärztinnen und Zahnärzte mit ihren Zahnmedizinischen Fachangestellten aus dem gesamten Bundesgebiet, aber auch aus Österreich, der Schweiz, Italien und weiteren Staaten waren angereist, weitere 142 Teilnehmerinnen und Teilnehmer verfolgen die Tagung im Congress Centrum Sylt online, so die Zahlen der veranstaltenden Zahnärztekammer Schleswig-Holstein.
Stillstand bei GOZ und Punktwert
Für Dr. Michael Brandt, Präsident der Kammer, war es bei der Tagungseröffnung eine besondere Freude, im Auditorium gleich eine ganze Reihe hochrangiger Gäste namentlich zu begrüßen. Dazu zählten unter anderen der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Prof. Dr. Christoph Benz, Konstantin von Laffert (Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer und Präsident der Zahnärztekammer Hamburg), Harald Schrader (Bundesvorsitzender des Freien Verbands Deutscher Zahnärzte), Peter Oleownik (Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein) sowie gleichsam als Gastgeber der Bürgermeister der Gemeinde Sylt, Nikolas Häckel.
Traditionell sparte Brandts Eröffnungsvortrag Kritik nicht aus. Unmissverständlich erklärte der Kammerpräsident: „Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz trägt die ambulante Versorgung zu Grabe. Und dies wird sich gerade in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein deutlich bemerkbar machen.“ Angesichts der aktuellen Gesundheitspolitik des zuständigen Bundesministers Prof. Dr. Karl Lauterbach werde es immer schwieriger, eine Zahnarztpraxis wirtschaftlich erfolgreich zu führen. Völlig inakzeptabel sei die fehlende Punktwertanpassung in der privaten Gebührenordnung, verdeutlichte Dr. Brandt: „Gibt es eine Berufsgruppe, die seit 35 Jahren zu den gleichen Honoraren arbeitet? In Zeiten, in denen die Gewerkschaften deutliche Gehaltszuwächse einfordern, ist es auch für uns an der Zeit, unseren Protest öffentlich zu machen.“
Kritik an Fremdkapital
Auch diesmal im Fokus: Der Aufkauf von Zahnarztpraxen durch Fremdkapitalgeber. „Mittlerweile sind in Deutschland bereits 29 Prozent aller zahnärztlichen Medizinischen Versorgungszentren in den Händen von Investoren – davon 80 Prozent in Großstädten. Somit wird nur ein kleiner Beitrag zur Versorgung der Bevölkerung in ländlichen Regionen geleistet.“ Mehr noch: Dass die Medizinischen Versorgungszentren „pro Patient bei den gesetzlichen Krankenkassen bis zu 50 Prozent mehr Leistungen als klassische Zahnarztpraxen abrechnen“, sei sehr fragwürdig, so Brandt.
Doch der Kammerpräsident hatte auch Erfreuliches zu vermelden: Er lobte das Engagement von Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Prof. Dr. Kerstin von der Decken bezüglich einer politischen Initiative: „Wie wir fordert die Ministerin die Schaffung eines MVZ-Regulierungsgesetzes mit der Einführung einer Kennzeichnungspflicht auf dem Praxisschild, die Einführung eines gesonderten MVZ-Registers sowie die räumliche Beschränkung der Gründungsbefugnis von Krankenhäusern für ärztliche und zahnärztliche Medizinische Versorgungszentren.“
„Wir müssen lauter werden“
Auch Prof. Dr. Christoph Benz sparte die Medizinischen Versorgungszentren in seinem Grußwort nicht aus: „Versprechungen der Investoren – etwa die Stärkung des ländlichen Raums – wurden nicht eingehalten. Stattdessen wird etwa die Prävention für Lockangebote genutzt“, konstatierte der Präsident der Bundeszahnärztekammer. Er appellierte an das Auditorium, an den kommenden Protestaktionen gegen das „Kostendämpfungsgesetz“ GKV-FinStG in der Gesetzlichen Krankenversicherung teilzunehmen: „Wir müssen lauter werden!“
Für die Freiberuflichkeit kämpfen
Klare Worte fand auch Harald Schrader. Der Bundesvorsitzende des Freien Verbands Deutscher Zahnärzte stellte drei zentrale Forderungen auf: „Anerkennung und Wertschätzung unserer Arbeit durch die Politik. Die Erhaltung der freien Arzt- und Therapiewahl. Und: Adäquate Honorare in der gesetzlichen wie in der privaten Krankenversicherung.“ Sein Appell an die Anwesenden: „Kämpfen Sie mit uns! Kämpfen Sie für unsere Freiberuflichkeit!“
Fortbildung ist „Liebe zum Beruf“
„Die Wertschätzung seitens der Politik fehlt“, sekundierte Peter Oleownik und unterstrich: „Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist ein Schlag ins Gesicht der Patienten und deren Versorgung.“ Deutlich freundlichere Worte fand der 1. stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KZV Schleswig-Holstein für die Tagung selbst: „Wie immer wurde sie perfekt vorbereitet und mit handverlesenen Referentinnen und Referenten bestückt. Die ‚Sylter Woche‘ ist wirklich ein Juwel und verdeutlicht zugleich, dass Fortbildung auch die Liebe zum Beruf ausdrückt.“
Hilfsfonds für Sylter Familien
Herzlich begrüßte Nikolas Häckel die Gäste. Der Bürgermeister der Gemeinde Sylt berichtete von einigen Neuerungen in der Inselmetropole Westerland und sprach einmal mehr seinen Dank für die regelmäßig Unterstützung der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein aus: Bei jeder „Sylter Woche“ werde der Hilfsfonds „Sylter Familien in Not“ bedacht. „Dadurch konnten und können wir in den unterschiedlichsten dringlichen Situationen unbürokratische Hilfe leisten“, dankte Nikolas Häckel.
Traditionell rundete ein fachfremder Vortrag den Eröffnungstag der Fortbildung ab: Diesmal gewährte Anja Hell von der Meissen Porzellan-Stiftung interessante Einblicke in den „Mythos Meissen“. So erfuhr das Auditorium etwa, dass die berühmte, im Jahre 1710 gegründete Manufaktur „die Wiege des europäischen Porzellans“ war. Zahlen zum Staunen: Im Archiv der Stiftung befinden sich mehr als 700.000 Formen aus drei Jahrhunderten. Die Sammlung umfasst rund 34.000 historische Porzellanstücke, die für eigene Ausstellungen sowie weltweit als Leihgaben zur Verfügung gestellt werden.