Mehr als sieben Jahre ist es her, dass die Novellierung der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) politisch abgesegnet wurde und in Kraft getreten ist. Eine wirklich moderne und zukunftsorientierte Gebührenordnung, die eine moderne Zahnheilkunde abbildet und eine faire und angemessene Vergütung zahnärztlicher Leistungen ermöglicht, ist damals nicht erreicht worden.
Das liegt nicht zuletzt am nun seit mehr als 30 Jahren unveränderten Punktwert der GOZ. Und so bleiben GOZ und Punktwert Dauerbrenner auch der politischne Diskussion und der Forderungen der Zahnärzteschaft. Dr. Peter Engel, Präsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), nimmt im Vorfeld der Bundesversammlung der BZÄK am 15. und 16. November 2019 in Berlin im Interview mit Quintessence News dazu Stellung.
Herr Dr. Engel, die Bundeszahnärztekammer rückt derzeit in ihrer öffentlichen und politischen Kommunikation den seit 1988, eigentlich aber seit Ende der 1960er-Jahre unveränderten Punktwert der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) in den Fokus. „11 Pfennig“ sind das Stichwort. Mit welchen Hauptargumenten gehen Sie an die Öffentlichkeit?
Dr. Peter Engel: Seit 1988 hat sich bei der zahnärztlichen Arbeit in Deutschland viel getan: Intensive Forschung, technologischer Fortschritt und die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden sorgen dafür, dass es um die Mundgesundheit in diesem Land so gut steht wie noch nie. Dieser Entwicklung steht ein GOZ-Grundwert von 11 Pfennig gegenüber, der seit mehr als 30 Jahren nicht angepasst wurde. Neben dieser wachsenden Kluft zwischen Leistung und Vergütung sind auch die ständig steigenden Kosten der Zahnarztpraxen ein Motiv für unsere Forderungen.
Denn eine Reaktion auf die genannten Entwicklungen und unsere Forderungen der letzten Jahre, die auch den GOZ-Grundwert miteinbezieht, hat es bislang nicht gegeben. Unter Gezerre wurde 2011/12 lediglich der Leistungskatalog punktuell aktualisiert. Mit der #11Pfennig-Kampagne möchten wir auf diesen Missstand hinweisen und unser Anliegen darlegen.
„Das kann nicht die Lösung sein“
Das Bundesverfassungsgericht hat 2001 eine Verfassungsbeschwerde gegen die Stagnation beim Punktwert unter anderem mit der Begründung abgelehnt, dass zunächst die gegebenen Spielräume über Steigerungsfaktoren und Analogberechnungen ausgeschöpft werden sollten. Wenn man auf den rasanten allein technischen Wandel in der Zahnmedizin schaut, der sich in der GOZ-Novelle von 2012 noch kaum widerspiegelt – sind diese Spielräume nicht längst ausgereizt?
Engel: Die Begründung des Bundesverfassungsgerichts täuscht darüber hinweg, dass die GOZ gar keine Spielräume für die Berücksichtigung der Kostenentwicklung eröffnet. Namentlich Steigerungsfaktoren und Analogberechnung stehen für betriebswirtschaftliche Überlegungen nicht zur Verfügung. Einzig die Honorarvereinbarung – also die Vereinbarung einer abweichenden Gebührenhöhe – ist möglich. Diese verlagert aber die Folgen der Untätigkeit des Verordnungsgebers auf die Schultern der Patienten. Das kann nicht die Lösung sein.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gab den politisch Verantwortlichen die Möglichkeit, das Thema vorübergehend in den Schubladen verschwinden zu lassen. Da der qualitative Fortschritt der Zahnmedizin und auch die Inflation nicht Halt machen, muss so bald wie möglich eine Anpassung erfolgen. Diese Dynamik macht einmal mehr deutlich, dass die verantwortlichen Gesundheitspolitiker raus aus ihrer Passivität müssen, um den Punktwert so anzupassen, damit er der wirtschaftlichen Entwicklung entspricht. Die GOZ hat den Anspruch, Zahnärzte als Freiberufler in die Lage zu versetzen, einem besonderen Qualitätsanspruch gerecht zu werden. In ihrer aktuellen Form hinkt sie diesem Anspruch weit hinterher.
Die Bundeszahnärztekammer hat im Zusammenhang mit der GOZ-Novellierung ja begonnen, auch die wirtschaftlichen Rahmendaten einer Zahnarztpraxis zu erfassen und zu beobachten. Die Anforderungen an die Praxen bei Ausstattung und auch bei der fairen Bezahlung des Personals sind ja nicht nur gefühlt deutlich gestiegen. Wie stellt sich die Kostenentwicklung hier in den vergangenen Jahren dar?
Engel: Die medizinische Behandlung der Patienten in Deutschland hat an Qualität gewonnen, aber natürlich sind auch die Kosten der Praxisführung deutlich gestiegen. Das Personal soll und muss für die gute Arbeit angemessen bezahlt werden, entsprechend steigen die Personalausgaben kontinuierlich. Auch Praxismieten und die Kosten der Ausstattung sind in den vergangenen Jahren gestiegen – vor allem in den größeren Städten.
Auswertungen der BZÄK untermauern diese Beobachtungen. So musste 2017 durchschnittlich mehr als eine halbe Million Euro für eine Praxisneugründung aufgewendet werden. Um dieser finanziellen Herausforderung angemessen begegnen zu können, muss auch der GOZ-Grundwert angepasst werden.
Mit Blick auf die medizinisch-technische Entwicklung und den heute aus fachlichen und forensischen Gründen nötigen Aufwand in Diagnostik und Therapie und die Rahmenfaktoren – wie hoch müsste der Punktwert heute eigentlich sein, um zahnärztliche Leistungen angemessen zu vergüten?
Engel: Es geht hier nicht um eine Zahl, sondern um den zugrundeliegenden Ansatz des Verordnungsgebers. Und dieser Ansatz ist leider falsch. Deshalb fordern wir eine Gebührenordnung für Zahnärzte auf Basis der Honorarordnung für Zahnärzte (HOZ), die zeitgemäß und fachlich wie betriebswirtschaftlich stimmig ist. Dazu gehört vor allem ein Mechanismus, der es ermöglicht, den Grundwert kontinuierlich an die wirtschaftliche Entwicklung anzupassen. Es wäre ein großer Gewinn für die gesamte Zahnmedizin, wenn der politische Stillstand um die Novellierung der Gebührenordnung beendet würde und Voraussetzungen für die Zukunft geschaffen werden, diese Werte flexibler, zeitgemäßer und gerechter anzupassen.
„Es klafft eine wachsende Lücke zwischen Bema und GOZ“
Schon bei Inkrafttreten der GOZ-Novelle am 1. Januar 2012 waren Leistungen im Bewertungsmaßstab für die Gesetzliche Krankenversicherung zum Teil besser bewertet als GOZ-Leistungen. Hat sich diese Schere zwischen Leistungen und Honorar im Bema und vergleichbaren Leistungen in der GOZ noch weiter geöffnet?
Engel: Es klafft eine wachsende Lücke zwischen vertragszahnärztlicher Vergütung und den Leistungen in der GOZ. Mittlerweile liegt die vertragszahnärztliche Vergütung im Schnitt beim 2,3-fachen GOZ-Satz, in Einzelfällen sogar darüber.
Das ist in der Tat traurige Realität. Die durch den Verordnungsgeber unterlassene Punktwertanpassung der GOZ führt dazu, dass jährlich weitere GOZ-Honorare unter die Sätze der Kassenbehandlung fallen. Tatsächlich sind derzeit mindestens 76 Leistungen in der Gebührenordnung für Zahnärzte schlechter bewertet, als im Bema. Und es werden noch mehr werden, da die Budgets und Punktwerte für die vertragszahnärztliche Versorgung jedes Jahr neu verhandelt werden und in der Regel leicht steigen.
Schaut man auf die Hängepartie bei der Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte und die dort bei Umsetzung der Vorschläge drohenden Ab- und Umbewertungen, könnten die Zahnärzte insgesamt noch ganz froh sein, ihre Novelle durch zu haben? Die politischen Überlegungen zum Beispiel für eine Einheitsgebührenordnung sind ja nicht ganz verschwunden. Wäre eine einzelne Verordnung, die den Punktwert anhebt und idealerweise dynamisiert, denkbar, ohne dass andere, für die Zahnärzte negative Änderungen an der GOZ vorgenommen werden?
Engel: Aus Angst vor politischen Nebenwirkungen zurückzuschrecken, ist der falsche Ansatz. Natürlich verfolgen wir die Begleitumstände der Novellierungen für die gesamtärztliche Wirtschaft aufmerksam. Unsere Forderung nach einem dynamischen GOZ-Grundwert auf Basis der Honorarordnung für Zahnärzte ließe sich jedoch unabhängig umsetzen.
Die Kampagne zum Punktwert wird ja von der BundeszZahnärztekammer in die Länder getragen. Wie ist die Resonanz?
Engel: Aus den unterschiedlichsten Regionen Deutschlands haben uns Unterstützungsbekundungen für die Kampagne erreicht. Über dieses Miteinander und das eigene Engagement in den Regionen freuen wir uns sehr. Denn eine politische Forderung kann nur dann glaubhaft vorgetragen werden, wenn die Zahnärzteschaft geschlossen dahintersteht. Eine Sensibilisierung von Entscheidungsträgern und der politischen Öffentlichkeit für unser Anliegen ist das erste Etappenziel. Darauf aufbauend werden wir unsere Forderung für eine Novellierung weiterhin glaubhaft und hartnäckig vortragen, um die Vergütung privatzahnärztlicher Leistungen an das 21. Jahrhundert anzupassen.
„Gesundheitspolitiker aus dem Tiefschlaf zu wecken ist kein einfaches Unterfangen“
Die GOZ und der Punktwert sind Dauerbrennerthemen der Bundesversammlung der Bundeszahnärztekammer. Was wird der Vorstand den Delegierten Mitte November in Berlin dazu vortragen und empfehlen können?
Engel: Der Weg zu einer wirksamen Novellierung des GOZ-Grundwertes war und ist steinig. Gesundheitspolitiker aus dem Tiefschlaf zu wecken, ist kein einfaches Unterfangen. Mit der in diesem Jahr gestarteten #11Pfennig-Kampagne heben wir das Thema kommunikativ jedoch auf eine neue Ebene und werden lauter. Wir sind überzeugt, dem Reformbedarf damit seine verdiente Aufmerksamkeit zu verschaffen. Auf der Bundesversammlung werden wir den Delegierten einen Zwischenstand geben und die strategische Marschroute ausgeben, mit der wir unser politisches Ziel weiterverfolgen möchten. Wie bereits erwähnt: Ohne die breite Unterstützung aus der eigenen Basis verliert jede Forderung ihre Wucht. Deshalb werden wir die Bundesversammlung auch nutzen, um unsere Mitglieder auf einen gemeinsamen Stand zu bringen.
Sie haben immer auch auf die Bedrohung der Gebührenordnungen aus Richtung Brüssel hingewiesen. Wie stellt sich die Situation hier jetzt dar?
Engel: Durch unser Büro in Brüssel befinden wir uns in engem Austausch mit der europäischen Dachorganisation, dem ‚Council of European Dentists‘ (CED). Alles, was politisch auf nationaler Ebene passiert, muss heute auch europäisch gedacht werden.