Ich gebe zu, ich bin zwiegespalten. Auf der eine Seite verwalten selbst Seniorinnen und Senioren jenseits der 80 heute ihre Kontakte, ihr Banking und ihre Bestellungen locker per App auf dem Smartphone oder über ihren PC. In vielen anderen europäischen Ländern ist eine elektronische Patientenakte auf dem Handy längst selbstverständlich und wird als vorteilhaft, sinnvoll und praktisch empfunden. Deutschland hinkt hier Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinterher („dieses neumodische Internet“).
Auf der anderen Seite gibt es sehr viele Menschen, die eben nicht (mehr) so fit sind, die kein Smartphone besitzen oder anderweitig nicht in der Lage sind, eine ePA selbst, ohne Hilfe und bewusst zu benutzen. Und – und das ist der Hauptpunkt für mein ungutes Bauchgefühl – es gibt in Deutschland einen für viele intransparenten Ansatz, wie ihre Gesundheitsdaten für Forschungszwecke vor allem der Industrie genutzt werden können. Dass der Bundesgesundheitsminister erst einen Stopp der ePA verordnet hat, um sie für die Mediziner und die Versicherten besser zu machen, und dann in seiner Digitalisierungsstrategie die Datennutzung für die Forschung (der Industrie) ganz oben auf die Agenda gesetzt und gegen Kritik durchgedrückt hat, trug nicht gerade zur Transparenz bei. Hier hat Ulrich Kelber, der Bundesdatenschutzbeauftragte a.D., in seiner Kritik auf der Podiumsdiskussion in Münster recht.
Es fehlt an Transparenz
Transparenz ist überhaupt das Stichwort bei der ePA. Gut 15 Wochen vor dem Start dieses Mega-Projekts wurde auf einer Pressekonferenz vom Minister viel versprochen, aber es ist noch sehr wenig zu sehen, festgelegt oder könnte gar ausprobiert werden. Der Minister und die Krankenkassen kündigen den Menschen gegenüber viel an, was die ePA können, leisten und einfacher machen wird. Aber schaut man auf das, was die Informationsseite des BMG tatsächlich als Inhalte bis Mitte 2026 angibt, wird das zu vielen von den Ärzten und Zahnärzten nicht zu erfüllenden Forderungen und Enttäuschungen führen. Und das wiederum wird die Akzeptanz der ePA auf allen Seiten nicht gerade befördern.
Die ePA ist grundsätzlich sinnvoll
Dennoch wäre es nicht klug, die ePA überhaupt abzulehnen und gar den Versicherten aktiv davon abzuraten, die ePA zu nutzen, und ihnen ein Opt-out nahezulegen. Eine elektronische Patientenakte ist sinnvoll und wichtig, aus ganz vielen Gründen. Die Digitalisierung hält in den Praxen und Kliniken immer schneller Einzug, die technische Entwicklung schreitet auf allen Ebenen rasch voran – von Diagnostik und Therapie bis zu Verwaltung und Kommunikation. Und die ePA wird sich damit weiterentwickeln, verändern und verbessern und so zu der ePA werden können, die für Mediziner und Patienten Nutzen bringt.
Mitgestalten und besser machen, wo immer es geht
Das gilt auch für den Datenschutz und die Datensicherheit. Hier liegt es auch bei denjenigen, die die ePA nutzen oder mit ihr arbeiten, entsprechend Druck zu machen. Auf den Bundesgesundheitsminister, die Politik in Bund und Ländern, auf die Gematik. Schauen, was wie in anderen Ländern geht, davon lernen, besser machen. Mitgestalten, wo immer es geht. Das Elektronische Beantragungs- und Genehmigungsverfahren hat gezeigt, wie es laufen kann.
Finale Superlösung ist unrealistisch
Eine ePA komplett abzulehnen, ist anachronistisch. Aktiv dagegen zu arbeiten, für Vertrags(zahn)ärzte unter Umständen ein Verstoß gegen ihre Pflichten. Auf die finale Superlösung warten, in der alles bis ins Detail geregelt ist, ist unrealistisch. Es wird nie die im ersten Anlauf perfekte digitale Anwendung geben. Und es gibt in der analogen wie in der digitalen Welt keine uneingeschränkte Sicherheit.
Man sollte der ePA bei allen Bedenken eine Chance geben und ihre Einführung kritisch und konstruktiv begleiten.
Dr. Marion Marschall, Berlin
Lesen Sie dazu auch den Beitrag: „ePA: Produkt mit vielen Unbekannten“