Die Reaktionen auf meine erste Kolumne nach längerer Zeit und nun bei Quintessenz News („Jens Spahn – Revoluzzer oder Puzzler?“) haben mich wirklich gefreut. Darunter war auch eine E-Mail zum Thema E-Rezept und Wettbewerb, Arzneimittelversand und Versorgungssicherheit. Motto: „Der Markt wird es richten“. Gegenfrage: „Welcher Markt?“
Deshalb folgt diesmal eine eher untypische Kolumne, die sich, daran sei erinnert, neben der Analyse und Bewertung des zahnmedizinischen berufs- und standespolitischen Geschehens den Blick über den Vorgarten hinaus zum Ziel gesetzt hat.
Hier nun die Frage: „[…] Den letzten Absatz verstehe ich nicht ganz. Warum sollte das (der Versandhandel aus dem EU-Ausland, die Red.) nicht zur Versorgungssicherheit beitragen? Meines Erachtens helfen Mehranbieter zu Preisvergleichen und das wiederum zu fallenden Preisen und Innovationsdruck. So wird doch eher eine Versorgung sichergestellt, anstatt den bestehenden ‚Cash Cows‘ den Markt zu sichern und so deren Innovationsdruck abzuriegeln […].“
In einer idealtypischen ökonomischen (Lehrbuch-)Welt soll und wird es vielleicht auch so sein. Wenige Regeln, die für alle gelten, das Bessere ist des Guten Feind, samt einem sinnhaften(!) Preiswettbewerb. Funktioniert jedoch so unser Gesundheitswesen? Freundlich formuliert: Eher nicht.
Blick in den Vorgarten der Pharmazie
Schauen wir deshalb nochmals in den Vorgarten der Pharmazie und auf die Situation bei den Arzneimittelpreisen, die für die Zahnmedizin wie aus einer fremden Welt wirken. In 2016 kippte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel in Deutschland. Dass es diese in dem sensiblen Versorgungsbereich aus gutem Grund gab – geschenkt. Dennoch lässt der Preiswettbewerb nach wie vor auf sich warten. Denn Politik und Kassen haben über die vergangenen zwei Jahrzehnte ein immer dichteres Netz für die Preisbildung – oder besser die Kassenerstattung(!) – bei Rx-Arzneien gewebt, die ob Generikum oder patentgeschütztes Originalpräparat greifen. Und dann gibt es ja noch die Zuzahlungen, die die Patienten leisten müssen. Zwar gibt die Politik den Herstellern keine Preise vor – das funktioniert anders –, sehr wohl aber einheitliche Abgabepreise für Großhandel und Apotheken.
Das Apothekengesetz legt in Paragraf 1.1 fest: „Den Apotheken obliegt die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung.“
Was für ein Satz! In den wenigen Worten sind alle Ingredienzien versammelt, die das Gesundheitssystem so komplex machen und bis ins kleinste Detail regeln – samt permanenter Kontrolle natürlich.
Daumenschrauben zur Preiskontrolle
Ein kurzer Blick auf die Daumenschrauben zur Preiskontrolle: Bei den Originalpräparaten, zum größten Teil patentgeschützte Arzneimittel, lautet die Gretchenfrage Zusatznutzen. Dieser wird im Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegt und ist die Basis für den Erstattungsbeitrag, der ab dem 13. Monat der Markteinführung gilt.
Schaut man nun auf die Generika, dem verschreibungsmäßig weitaus größten Teil des Markts (> 80 Prozent), aber nicht beim Wert (rund 30 Prozent), werden die Instrumente noch schmerzhafter: (Erstattungs-)Festbetrag und Rabattverträge, zu verstehen als kassenindividuelle Preise mit einem Hersteller für einen Wirkstoff. Hinzu kommen die sogenannten Herstellerabschläge für Arzneimittel ohne Festbetrag: patentgeschützt sind 7 Prozent und patentfrei 6 Prozent fällig, für letztere plus 16 Prozent sowie ein bis Ende 2022 gültiges Preismoratorium. Ach ja, sollte ein Medikament teurer sein als der Festbetrag, zahlt der Patient die Differenz. Auch eine sehr effektive Bremse.
Aber jeder Hersteller kann in Deutschland seinen Preis frei bestimmen. Das ist so ähnlich wie die Wahl, bei einem schweren Gewitter in einer Schutzhütte zu sein oder aber auf dem Feld zu stehen.
Den Apothekenpreis legt der Staat fest
Und wie kommt nun der Apothekenpreis für ein Arzneimittel zustande? Auch hier ist der Staat ursächlich beteiligt, denn er schreibt die Aufschläge für den pharmazeutischen Großhandel und die Apotheken vor. Der Großhandel erhält einen maximalen Zuschlag von 3,15 Prozent auf den Abgabepreis des Herstellers, die Apotheken darauf einen dreiprozentigen Zuschlag, einen Fixbetrag von 8,35 Euro je Packung plus 21 Cent Notdienstförderung. War da nicht noch was? Richtig, denn auch Apotheker haben Abschläge zu zahlen, 1,77 Euro je Arzneimittel und zusätzlich gestaffelt nach Festbetrag oder Preis unter Festbetrag des Arzneimittels.
Kein Markt für Preiswettbewerb
Komplex? Ja, und ohne ein Heer an Spezialisten samt umfassender Digitalisierung der gesamten Versorgungskette bereits beim Arzt beginnend nicht mehr beherrschbar. Und ob das ein Markt für einen Preiswettbewerb im ökonomischen Lehrbuchsinne ist?
Hohe Anforderungen an Lieferketten
Abschließend noch ein Blick auf die angesprochene Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln. Diese besteht nicht nur in der Verfügbarkeit, dem zur Verfügung stellen (ob nun vor Ort oder per Versand), sondern eben auch in der korrekten Behandlung bis zum Empfänger. Und auch hier gibt es wieder ein dichtes Netz aus Regeln und Vorgaben. Denn viele Rx-Arzneimittel sind ein temperatursensibles Gut. Nicht umsonst gibt es die gesetzliche Verpflichtung für Großhandel und Apotheken zur Einhaltung der Temperaturanforderungen und deren Dokumentation, wohlgemerkt bis zur Abgabe an den Empfänger. Amtsapotheker und Pharmazieräte kontrollieren dieses penibel, Verstöße ziehen empfindliche Strafen für Großhandel und Apotheken nach sich.
Versorgungssicherheit ist mehr als Lieferung
Aber überprüft irgendjemand das aus Holland versandte Paket (hatten wir nicht die vergangenen Jahre Sommer mit an die 40 Grad Celsius?) auf Temperaturanforderungen beim Transport, der Lagerung und der Verteilung? Natürlich nicht. Gemäß der vor Kurzem gestellten kleinen Anfrage der Abgeordneten Sylvia Gabelmann (Die Linke) sieht die Bundesregierung die niederländischen Behörden in der Pflicht (für den Transport in Deutschland?) und vertraut ansonsten den Versendern, dass die sich schon an die Regeln halten werden. Wie soll aber eine Versorgung vor Ort erhalten werden, wenn kostenintensive Regelungen nur für eine Seite, nämlich Großhandel und Apotheker gelten?
Nicht dieselben Regeln für alle
In derart kompliziert geregelten Versorgungszenarien gleicht jede politisch gewünschte Änderung dem Geschicklichkeitsspiel, aus einem Holzturm so viele Bausteine wie möglich zu entfernen, ohne dass der Turm zusammenbricht. Aber wie soll dieser stehen bleiben, wenn sich nicht alle Spielteilnehmer an dieselben Regeln halten müssen?
Erinnert irgendwie auch an die Berliner Coronaregelungen …
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.