Bekanntermaßen geht der Krug so lange zum Brunnen, bis er bricht. Das Sprichwort ist Warnung und Drohung zugleich für alle, die besonders forsch oder rücksichtslos agieren. Wenn dem so ist, muss man für wesentliche Bereiche des Gesundheitswesens feststellen, dass die Risse im Krug so bedrohlich geworden sind, dass dieser kurz vor dem Bersten ist.
Es bestehen also gute Chancen, dass der Krug zumindest bei den Heilberuflern nicht mehr lange formschlüssig bleiben wird. Schließlich ist die Ampelkoalition erst bei der Hälfte der Legislatur angekommen.
Dieses wurde in der vergangenen Woche anlässlich der 3. Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) überdeutlich. So stellte Martin Hendges, Vorstandsvorsitzender der KZBV, fast schon resignierend fest, dass „es noch kein Gesundheitsminister vor Lauterbach geschafft habe, die gesamten Heilberufe im ambulanten Bereich und sogar den stationären Bereich gegen sich aufzubringen“. Und das will wirklich was heißen, wären doch die Vorschläge des Ministers – zum Beispiel die Gesundheitschecks in der Apotheke – geeignet, die gesamte verfasste Ärzteschaft nicht nur auf die Palme, sondern (nach dem Impfen in der Apotheke) erneut in die Schützengräben zu bringen. Doch das Gegenteil passiert: Zahnärzte, Ärzte und Apotheker stellen sich gemeinsam gegen Lauterbachs Gesundheitspolitik. Diese Woche wieder in Nordrhein-Westfalen.
Ein Minister, der zwar redet – aber nicht mit den Heilberufen
Ein von allen Heilberufen genannter Kritikpunkt: Die Nicht-Kommunikation des Ministers mit denen, die die Versorgung Tag für Tag stemmen. Diesbezügliche sollte man sich die Einlassungen von Karl-Josef Laumann, CDU, Gesundheits- und Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen, anlässlich der Vertreterversammlung nochmals vor Augen führen. Laumann beschrieb die Situation mit deutlichen Worten so: Das Fehlen eines ehrlichen Dialoges sei das größte Problem, „das wir aktuell in der Bundes-Gesundheitspolitik haben“.
Es fehlt die Ehrlichkeit
Es fehlt also nicht nur am Dialog an sich, sondern sogar an einem ehrlichen Dialog. Das ist nicht die Beschreibung einer politischen Fehlleistung, sondern eines Desasters. Diese Situation wieder ins positive zu drehen, wird schwierig für den Bundesgesundheitsminister: Setzt sie doch die Erkenntnis voraus, dass seine Kommunikation mit den Leistungserbringern sich stante pede verbessern muss. Das würde jedoch einen Neuanfang auf der Beziehungsebene bedeuten.
Talkshow statt Parlament – und keine Gegner für Lauterbach
Daran muss man jedoch begründete Zweifel haben. Denn die von Lauterbach bereits in Oppositionszeiten gepflegte Unart, von Geschichtsklitterung (nach dem Motto „Ich habe es immer schon gewusst und sofort reagiert“) bis Ankündigungen zukünftiger Gesetze à la „Alles wird besser, denn Karl wirft wieder die Gesetzesmaschine an“, statt im Parlament lieber im ZDF auf dem Sesselchen bei Markus Lanz Politik zu machen, wird mit einem unterstellten Erkenntnisgewinn aus zwei Jahren Ministeramt nicht besser. Sondern schlimmer. Dazu schaue man zum Beispiel die Sendung von Markus Lanz vom 2. November 2023 an, um deutlich vor Augen geführt zu bekommen, wie der Kommunikationshase des Ministers läuft.
Reagieren statt agieren
Auch hier ist die Reaktivität des Ministers mit Händen zu greifen. Genauso handeln Populisten. Lauterbach agiert nicht, er reagiert, dann meist mit Aussagen, die das Bild des alles im Griff habenden Ministers nähren. Allerdings muss man ihm lassen, dass solcherart Plattitüden in den meist nicht sachkundigen Ohren der Zuhörer gut klingen. Ein Beispiel aus besagter Sendung, bei der es primär um die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln, vor allem für Kinder, ging: „Wir haben mit Abstand das teuerste System, sind aber nur mittelmäßig. […] Das heißt: Unser System ist super teuer, aber extrem ineffizient.“ Und nun zu seiner Begründung: In der Alterserwartung würde Deutschland hinter Ländern wie Spanien, Italien oder Schweden liegen.
Dabei bezog er sich auf die Eurostat-Statistik der Europäischen Union: Lebenserwartung bei der Geburt in den Mitgliedstaaten im Jahr 2021. In dieser Statistik liegen mehr Länder vor Deutschland als dahinter. Aber wir können beruhigt sein, der Minister wird dieses mit großem Ehrgeiz und – wortwörtlich - auch gegen Widerstände angehen. Was er genau damit meint oder welchen Ansatz er für erfolgversprechendsten hält, um diese von ihm erkannte Misere zu verbessern, sagte er nicht.
Nichts davon ist kausal
Als nicht gerade unbegabter Demagoge (altgriechisch: Volksführung) hätte er doch die Chance nutzen können, um eine klare Ansage hinsichtlich seiner Pläne für die zukünftige ambulanten Versorgung in Deutschland zu machen. Dazu hätte er lediglich ausführen müssen, dass die Länder Spanien, Schweden und Italien nicht über eine vergleichbare ambulante Versorgung verfügen. Oder dass ein Land wie Frankreich, welches in der Eurostat-Statistik bezüglich der Lebenserwartung ebenfalls vor Deutschland liegt, sich bestenfalls nur eine ambulante Barfußmedizin leistet. Nichts davon ist kausal, aber wer von den Perzipienten, vulgo spätabendlich noch Zuschauenden, weiß das schon?
Effizienz – das Mantra des Ministers
Des Ministers Antwort, mal wieder: Es liegt an der Effizienz des Systems. Um diese zu verbessern, setzt Lauterbach erneut alles auf die Karte Digitalisierung. „Mehr Digitalisierung“ ist im deutschen Gesundheitswesen immer die politische Lösung, mit der man eben nicht an den Ursachen ansetzen muss. Seine neuen Digitalgesetze sprechen dazu Bände. Insbesondere das geplante Gesundheitsdatennutzungsgesetz ist nicht nur im Hinblick auf den zurechtgestutzten Datenschutz umstritten, sondern auch im Hinblick auf die den Kassen zugedachte Rolle, „[…] zum Gesundheitsschutz eines Versicherten datengestützte Auswertungen vornehmen und den Versicherten auf die Ergebnisse hinzuweisen […]“.
Künstliche Intelligenz als Retter in der Not
Wenn das so kommen sollte, wie im Gesetzesentwurf geschrieben, war es das mit einer vertrauensvollen Zahnarzt/Arzt-Patientenbeziehung. Aber die ist vielleicht auch nicht mehr so wichtig, denn Lauterbachs Zuversicht für die zukünftig bessere Effizienz im System ruht auf dem Versprechen, dass Künstliche Intelligenz (KI) es schon richten wird. Auch in der Betreuung der Patienten. Und schwupp wird aus dem Lösungsversprechen ein Heilsversprechen. Dass die KI den Zahnarzt und Arzt wird ersetzen können, vor allem in der Fläche, ist halt nur ein Versprechen. Man darf davon ausgehen, dass der Minister, der ja von sich sagt, zu allem hochwissenschaftliche Studien zu lesen, weiß, dass die KI das auf absehbare Zeit nicht – und vielleicht auch nie – wird leisten können. Sagen die, die sich damit wirklich auskennen.
Bedingungen müssen für Praxisärzte besser werden
Zum Schluss noch ein wenig Spekulation: Warum hat Lauterbach den von ihm aufgelegten Elfmeter bei der Schuldzuweisung hinsichtlich der Alterserwartung in Deutschland nicht ins Tor, sprich auf die Ärzte, geschossen? Vielleicht, weil er sich noch rechtzeitig daran erinnerte, dass er sich am Tag zuvor mit der Spitze der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zu einer Aussprache getroffen hatte. Danach versprach er öffentlich: „Bedingungen müssen für Praxisärzte besser werden“.
Vertrauen wächst nicht auf Bäumen
Wie sagte es Karl-Josef Laumann: Das Fehlen eines ehrlichen Dialoges sei das größte Problem, dass wir aktuell haben. Und er fügte auf der Vertreterversammlung der KZBV hinzu: Man wisse alles besser, wolle nicht mit anderen reden müssen und alles ohne Beratung (gemeint war vor allem die Selbstverwaltung) durchsetzen. Wo, wie und wann kann unter solchen Bedingungen Vertrauen wachsen?
Nicht erfüllte Versprechen
Apropos Lösungsversprechen. Dasjenige, welches Lauterbach bereits vor mehr als 20 Jahren für Telematikinfrastruktur und ePA (damals noch als Chip auf der elektronischen Gesundheitskarte eGK) gegeben hat, wurde bis dato weder für die Versorgenden noch für die Patienten eingelöst. Nur die Rumpf-eGK und das damit verbundene Versichertenstammdatenmanagement (VSDM) funktionierte – aber nur im Sinne der Krankenkassen. Und für die IT-Industrie. Die aber ist angesichts der vielen untauglichen gesetzlichen Vorgaben ebenfalls nicht glücklich.
Woran das wohl liegt? An Lauterbachs Lieblingsattitüde: Details spielen keine Rolle! Dann aber sollte man wenigstens wissen, wovon man spricht.
Und täglich grüßt das Murmeltier.
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.