Seit Monaten protestieren die zahnärztliche Standespolitik und die Vertragszahnärzte gegen die Sparpläne von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach im GKV- Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG). Er will die Finanzlöcher in der Gesetzlichen Krankenversicherung unter anderem mit Kürzungen bei Volumen und Punktwert der Vergütungen für zahnärztliche Leistungen in den Jahren 2023 und 2024 stopfen. Das geht zulasten der Gesundheit der Patientinnen und Patienten, die jetzt endlich eine moderne PAR-Therapie von ihrer Krankenkasse erstattet bekommen können, und die oft mit mehreren Risikofaktoren belastet sind. Zu diesem Fazit kommen auch die Experten einer Panel-Diskussion, die kürzlich in Nordrhein stattfand.
Der Sprecher der Patientenvertretung im G-BA-Unterausschuss Zahnärztliche Behandlung im G-BA, Gregor Bornes, Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, Direktor der Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde des Universitätsklinikums Bonn, Dr. Ralf Wagner, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Nordrhein, Dr. Holger Seib, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, und Dr. Ralf Hausweiler, Präsident der Zahnärztekammer Nordrhein sprechen in dieser als Videoaufzeichnung verfügbaren Diskussion über die Bedeutung der Parodontitis-Behandlung für die Mund- und Allgemeingesundheit und die negativen Auswirkungen des geplanten GKV-FinStG auf die zahnärztliche Versorgung in Deutschland.
Parodontitis ist eine weit verbreitete chronische Entzündung des Zahnhalteapparats. Neben der Karies ist die Parodontitis eine weitverbreitete Volkskrankheit und betrifft in Deutschland fast jeden zweiten Erwachsenen. Unbehandelt ist Parodontitis die häufigste Ursache für vermeidbaren Zahnverlust. Die Krankheit steht im Zusammenhang mit schweren Allgemeinerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Diabetes und stellt ein Risiko für Schwangere, demenziell Erkrankte und schwere Verläufe bei Infektionen mit dem Coronavirus dar.
PAR-Richtlinie „Quantensprung“ für die Patientenversorgung
Erst im vergangenen Jahr wurde die Richtlinie zur Behandlung von Parodontitis und anderer Parodontal-Erkrankungen (kurz: PAR-Richtlinie) durch einen konsentierten Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und im Einvernehmen mit dem Bundesgesundheitsministerium in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen. Für die Mund- und Allgemeingesundheit ist die neue, präventionsorientierte, dreijährige Behandlungsstrecke ein „Quantensprung“ für die Versorgung von Patientinnen und Patienten. Der Weg dorthin war lang, angestoßen wurde er vor vielen Jahren von den Vertretern der Patienten im Gemeinsamen Bundesausschuss.
Streichung durch die Hintertür
Durch das geplante GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) würde diese bessere Parodontitis-Behandlung für gesetzlich Versicherte de facto durch die Hintertür wieder gestrichen werden, so die Experten. „Das Gesetz hätte zur Folge, dass begonnene Behandlungen nicht zu Ende geführt und neue Behandlungen nicht begonnen werden könnten. Die Mund- und Allgemeingesundheit von etwa 30 Millionen Patienten, die in Deutschland an einer Parodontitis leiden, wäre davon negativ betroffen. Leistungskürzungen bei der Parodontitis-Versorgung wären zudem mit erheblichen Folgekosten für das GKV-System sowohl im ärztlichen als auch im zahnärztlichen Bereich verbunden. Die KZBV geht davon aus, dass die gravierenden Auswirkungen einer strikten Budgetierung, wie sie im GKV-FinStG vorgesehen ist, nicht gesehen wurden“, so die Position der Zahnärzteschaft.
Behandlungsbedarf ist da
Die KZV-Vorstandsvorsitzenden Ralf Wagner (Nordrhein) und Dr. Holger Seib (Westfalen-Lippe) diskutierten im Panel einmal durch, was die laut Gesetzentwurf gedeckelten Honorarvolumina und Punktwerte für die Zahnärzte und Patienten bedeuten könnten. Der Behandlungsbedarf sei da, und auch wenn einige Leistungen in Kons/Chir und bei Zahnersatz seit Jahren rückläufig seien, verschiebe sich der Bedarf hin zum Beispiel eben zu Parodontalerkrankungen. Auch das Gewicht der präventiven Maßnahmen sei gewachsen. Könnten die Parodontalbehandlungen nicht wie geplant vorgenommen werden, würden auch eigentlich erhaltungswürdige Zähne verloren gehen können, so Seib. Er wies darauf hin, dass aus dem Topf der GKV trotzdem viele Leistungen bezahlt würden, die mit der Versorgung selbst nichts zu tun hätten, so der teure Austausch der Konnektoren für die Telematikinfrastruktur.
Änderung des Gesetzentwurfs zwingend notwendig
Eine Änderung des Entwurfs sei daher zwingend notwendig für den Erhalt der Mund- und Allgemeingesundheit. Entsprechende Vorschläge haben KZBV und Bundeszahnärztekammer zuletzt in der Anhörung zum GKV-FinStG im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags Ende September 2022 gemacht. Auch der Bundesrat ist in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf den Argumenten der Zahnärzteschaft gefolgt und fordert, die PAR-Leistungen wie zum Beispiel bereits die IP-Leistungen für Kinder und die Leistungen in der aufsuchenden Betreuung von Pflegebedürftigen aus der Honorardeckelung herauszunehmen.
„Um eine Versorgung nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft gewährleisten zu können, ist es entscheidend, dass die Parodontitis-Behandlung extrabudgetäre Leistung bleibt“, lautet zusammengefasst ein Fazit der Diskussion. Hier müsse der Gesetzentwurf dringend korrigiert werden, mahnte auch Nordrheins Kammerpräsident Hausweiler in seinem Statement an.
Wirksamen Präventionsleistungen nicht die finanzielle Grundlage entziehen
Mit Lauterbachs Sparplänen sieht die KZBV auch die weiteren Erfolge in der Prävention und Prophylaxe gefährdet, die in den vergangenen Jahren zum Beispiel für Kleinkinder (neue IP-Positionen) oder für Pflegebedürfte und Patienten mit Handicap erreicht werden konnten. Die Zahnärzteschaft habe die Versorgung in den vergangenen Jahren präventionsorientiert weiterentwickelt, den zahnärztlichen Leistungskatalog im Einvernehmen mit Kassen und Patientenvertretung an den Stand der Wissenschaft angepasst und die Mundgesundheit auch für vulnerable Gruppen mit speziellem Behandlungsbedarf kontinuierlich verbessert, heißt es.
Um eine langfristige finanzielle Stabilität der GKV-Finanzen zu erzielen, dürften nachweislich wirksamen Präventions- und Prophylaxe-Leistungen wie der neuen Parodontitistherapie nicht die finanzielle Grundlage entzogen werden. (Die vollständige Aufzeichnung des von der KZV Nordrhein organisierten, knapp einstündigen Expertenpanels kann hier abgerufen werden.)
Koalition noch im Gespräch
Die abschließenden Beratungen im Bundestag zum GKV-FinStG finden voraussichtlich Ende Oktober statt. Wie der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Prof. Dr. Andrew Ullmann, MdB, bei einer Veranstaltung in Berlin sagte, seien die Koalitionsparteien der Ampel-Koalition noch in Gesprächen zum Gesetz, so zum beabsichtigten Abschaffen der Neupatientenregelung bei den Ärzten.
Lauterbach kündigt zwölf weitere Gesetze an
In der Fragestunde des Deutschen Bundestags am 12. Oktober 2022 kündigte Bundesgesundheitsminister Lauterbauch seinem Statement für die nächsten Wochen und Monate zwölf weitere Gesetzentwürfe im Bereich Gesundheit an, darunter zur Umstrukturierung des E-Rezepts und zur Elektronischen Patientenakte als Opt-Out-Lösung sowie zur Neustrukturierung der Unabhängigen Patientenberatung. Vorangetrieben werden soll außerdem ein neues Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit.