Am vergangenen Freitag war es soweit: Nach blutarmen Reden und weitestgehend substanzloser Diskussion beschloss der Bundestag mit den Stimmen der Ampelkoalition das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz. Dabei verstieg sich der Bundesgesundheitsminister in seinen Ausführungen zu nichts Geringerem als einer „Revolution“ im Krankenhaus.
Und wie immer bei den heutzutage üblich gewordenen Gesetzgebungsverfahren fuhren im Gesetzesomnibus auf den hinteren Plätzen noch einige weitere Regelungen als Artikelgesetze mit, die unter anderem auch die zahnärztliche Selbstverwaltung, namentlich die KZBV und die KZVen, betreffen.
Nun kann man sich seit Amtsantritt von Prof. Dr. Karl Lauterbach vor einem Jahr des Eindrucks nicht erwehren, dass der Minister mit der ambulanten Versorgung – freundlich formuliert – fremdelt. Und das nicht nur wegen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes. Lauschte man den markigen Worten des Professors anlässlich der Verabschiedung des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes im Parlament, verdichtete sich beim Betrachter der Eindruck, dass er grundsätzlich mit der Leistungserbringung im ambulanten wie auch stationären Sektor seine Probleme hat. Vor allem mit den „Leistungserbringern“.
„Qualität vor Ökonomie“?
Diesbezüglich aufschlussreich waren seine einleitenden Worte im Bundestag: „Mit dem Gesetz beginnt nichts weniger als eine Revolution in der Art und Weise, wie wir Krankenhausplanung gestalten und die Versorgung im Krankenhaus stattfinden soll. Worum geht es: Wir haben das Gleichgewicht verloren zwischen Medizin und Ökonomie. Es wird im Krankenhaus zu viel bestimmt durch Belange der Ökonomie, die medizinischen Aspekte sind in den Hintergrund gerückt […] Wir können im Krankenhaussektor nicht mit den gleichen Regeln vorgehen wie zum Beispiel Lidl Lebensmittel verkauft. Hier müssen die Qualität und die medizinischen Aspekte wieder in den Vordergrund rücken. Diese Revolution beginnt mit dem heutigen Gesetz.“
Auf der Suche nach dem Gleichgewicht
Schwergewichtige Worte eines hageren Gesundheitsministers – aber wo finden wir denn nun die Revolution? Bestimmt nicht bei einem mehr oder minder qualitätsbewussten Einkauf von Lebensmitteln. Sondern beim „Aufbau eines neuen Gleichgewichts“ in der Pflege, bei den Kinderkliniken, in der Geburtshilfe bei den Hebammen, tagesstationären Versorgungsangeboten und Hybrid-DRGs (Diagnosis Related Groups). Soweit zur Rechtfertigung der Gesetzesbezeichnung „Krankenhauspflegeentlastungsgesetz.
Wem das immer noch nicht zur versprochenen Revolution reichen sollte, konnte vom Gesundheitsminister in seinem Gesetzesplädoyer vernehmen: „Nicht mehr der ökonomische Zwang, sondern medizinische Notwendigkeit soll künftig in den Kliniken über die Behandlung entscheiden“. Wie bitte? Und weiter: „Es darf nicht sein, dass auf dem Rücken von Kindern, Pflegekräften und Hebammen Gewinne gemacht werden“. Immerhin, das klingt schon ein wenig nach Revolution.
Die „PPR 2.0“ soll es richten – mit noch mehr Bürokratie
Konkret lautet die sogenannte Lauterbach‘sche Revolution also: Personalbemessungsrichtlinie 2.0, konkret Pflegepersonal-Regelung, kurz PPR 2.0. Mit deren Hilfe soll nun die ideale Personalanzahl pro Station ermittelt werden. Nach einer Erprobungsphase soll mittels Rechtsverordnung die Personalbemessung ab 2025 für die Kliniken verbindlich und sanktioniert werden.
Oh, heiliger Sankt Bürokratius! Denn das wird in der Konsequenz nichts anderes zu Folge haben, als dass bei anhaltendem Personalmangel, prognostiziert sind rund 300.000 fehlende Pflegende bis 2030, die Anzahl der betriebenen Stationen sinken wird. So viel zu dem annoncierten „Aufbau eines neuen Gleichgewichts“ in der Pflege.
Kinderkliniken und Geburtshilfe
Dem politisch auch mit den DRGs verursachten Finanzierungsdesaster der Kinderkliniken (die DRGs wurden übrigens von der rot-grünen Bundesregierung mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 eingeführt und von Ulla Schmidt als Ministerin – Berater Karl Lauterbach – durchgedrückt, auch Spahn und Merkel lassen grüßen) will der Minister mit 300 Millionen Euro Soforthilfe für die Jahre 2023 und 2024 zu Leibe rücken. Im gleichen Zeitraum sollen zusätzlich 120 Millionen Euro für die Geburtshilfe fließen. Und last but not least soll der Personalaufwand für die Hebammen im Krankenhaus zu „100 Prozent außerhalb des Budgets“ erstattet werden. Dazu der Minister weiter: „Jede Hebamme, die im Krankenhaus arbeitet, wird voll finanziert, sie stehen damit den Pflegekräften gleich“.
Was der Minister damit wohl gemeint haben mag, blieb im Dunkeln. Konkreter wurde da die pflegepolitische Sprecherin der FDP, Nicole Westig, die in der nachfolgenden Debatte ausführte: „Hebammen können zukünftig von den Kliniken flexibel eingesetzt werden“. Auf den Stationen etwa?
Ambulante Versorgung soll Pflegekräfte freisetzen
Ebenso sollen tagesstationäre Versorgungsangebote ausgebaut und Hybrid-DRGs eingeführt werden, „damit mehr ambulant gemacht werden kann“. O-Ton Karl Lauterbach in seiner Rede: „Mehr ambulante Versorgung ist auch für die Pflege wichtig. Jede Leistung die ambulant gemacht werden kann, setzt Pflegekräfte frei. Jede Übernachtung, die nicht notwendig ist, setzt Nachtdienste und Schichten frei. Auch diese Maßnahmen sind zentral, um eine verbesserte Versorgung in der Pflege hinzubekommen“. Der Jubel der Pflegekräfte ob dieser Entlastung ist allerdings bislang noch nicht zu vernehmen gewesen.
„Revolutionen“ aus den Palästen bringen selten Besserung
So ist das mit Revolutionen, die von den Palästen ausgehen: Sie reparieren höchstens die Fehler der Vergangenheit, kleben das eine und andere Geldpflaster darauf – siehe das wider besseres Wissen verursachte Desaster bei den Kinderkliniken – und erhöhen die Regelungsdichte, vulgo Bürokratie. Revolution als neues Wort für „business as usual“. Zum Glück hält sich die Lauterbach‘sche Revolution an die Sektorengrenzen.
Und noch mehr Bürokratie
Womit wir wieder beim Omnibus sind und den weiteren neuen gesetzlichen Regelungen. Für die bereits erwähnten tagesklinischen Behandlungen ohne Übernachtung im Krankenhaus sind die dafür notwendigen „speziellen“ sektorengleichen Vergütungen für ambulante und stationäre Einrichtungen wie auch der Katalog ambulant durchführbare Operationen erst noch zu erarbeiten. Mal schauen, auf welchem Niveau zwischen EBM und DRG sich die Vergütungen einpendeln werden.
Auch IT-Industrie kommt nicht ungeschoren davon
Selbst die Herren der Bits und Bytes sind nicht mehr sakrosankt. Deren Kosten- und Vertragsflexibilität stresst der Gesetzgeber mit zwei neuen Paragrafen im SGB V. Gemäß Paragraf 332b können künftig die KVen und KZVen Rahmenverträge für ihre Mitglieder mit IT- und PVS-Anbietern abschließen. Und Paragraf 332c stärkt die Position der Niedergelassen gegenüber „ihrem“ PVS-Hersteller, falls dieser notwendige technische Anforderungen seitens der TI nicht rechtzeitig umsetzen sollte.
Frauen in die Vorstände – die Quote ist da
Und last but not least: Die Geschlechterparität in den Vorständen der ärztlichen und zahnärztlichen Körperschaften kommt, zumindest für die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen, der Paragraf 79 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SBG V) wird entsprechend geändert. Damit muss ab dem 1. Januar 2023 jeder mehrköpfige Vorstand mit mindestens einer Frau und einem Mann besetzt werden.
Soweit, so bekannt. Allerdings hat der Gesetzgeber auf die massive Kritik aus den mitten in den Wahlen stehenden KZVen reagiert. Jetzt gilt die Quote nur noch für die Körperschaften, deren Vorstandswahlen erst nach dem 2. Dezember 2023 stattfinden. Betroffen sind damit die KZV Bayerns, die KZV Niedersachsen, einige KZVen in Ostdeutschland und auch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung. Der Protest aus den KVen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist allerdings nahezu ausgeblieben – die KBV präsentierte am Freitag Dr. Sybille Steiner als Nachfolgerin für den ausscheidenden Vorstand Dr. Thomas Kriedel.
Und das verdient nun wirklich die Bezeichnung Revolution, wenn Teile eines Gesetzes mit dem Tag ihrer Verabschiedung im Parlament Rechtskraft erlangen sollen. Aber der Ampelkoalition scheint nichts mehr heilig zu sein. Auch irgendwie typisch.
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.