Der Ton zwischen der Politik und dem Führungspersonal der Leistungserbringer im deutschen Gesundheitswesen wird zunehmend lauter, die Ausdrucksweise schärfer. Dies gilt insbesondere für Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach sowie das von ihm mehr oder minder geführte Ministerium. Dort scheint im Umgang mit den Leistungserbringern eine wenigstens professionelle Wertschätzung – von Höflichkeit gar nicht zu sprechen – mittlerweile grober Missachtung gewichen zu sein, wie anlässlich der am Samstag in München zu Ende gegangenen Bundesversammlung (BV) der Bundeszahnärztekammer deutlich wurde.
Grußworte aus dem BMG: Fehlanzeige
Ein Grußwort des Ministers, zumindest als Videobotschaft? Fehlanzeige. Die Anwesenheit von Staatssekretärin oder Staatssekretär? Fehlanzeige. Wenigstens eine freundliche Antwort auf die im April dieses Jahres seitens des BZÄK-Vorstands ausgesprochene Einladung? Auch Fehlanzeige, es kam eine komplette Absage. Immerhin einer, der bayerische Staatsminister für Gesundheit und Pflege, Klaus Holetschek, sandte zu Beginn der BV am 4. November eine freundlich-wertschätzende Videobotschaft.
Wertschätzendes Verhalten – was ist das?
Dieses Verhalten ging selbst den Delegierten der Bundesversammlung deutlich zu weit, die dazu eine entsprechende Resolution verabschiedete. Kostprobe: „[…] Im Vergleich zu anderen medizinischen Fachrichtungen wird hier der Stellenwert der Zahnärzteschaft in der flächendeckenden Umsetzung der Patientenversorgung unterminiert und herabgesetzt. Somit erwartet die BV vom BMG zukünftig die Rückkehr zur Kommunikation auf Augenhöhe mit der Zahnärzteschaft. Wertschätzung drückt sich auch hierin aus.“
Mehr zur Bundesversammlung und zu den Beschlüssen lesen Sie im Beitrag: „Wo bleibt der Doppel-Wumms für die ambulante Versorgung?“
Medizin im Krankenhaus soll nicht mehr der Ökonomie folgen
Doch bevor der zahnärztliche Blutdruck angesichts dieses offensichtlichen Affronts der Berliner Politschaffenden zu sehr in die Höhe steigt, erst noch ein kurzer Blick auf Lauterbachs gleichzeitiges „Reise“programm für ebenjenen 4. November. Statt bei den Zahnärzten in München weilte der Bundesgesundheitsminister am Nachmittag bei der in Berlin stattfindenden 140. Hauptversammlung des Marburger Bunds, dem Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands. Das ist dem Minister in keiner Weise vorzuwerfen, keine Frage. Umso wichtiger ist jedoch, was er im Nachgang dazu auf seinem Twitter-Kanal zum Besten gab: „Habe angekündigt, dass wir das System der Fallpauschalen im Krankenhaus überwinden wollen. Unsere Reform soll erreichen, dass die Medizin im Krankenhaus nicht mehr der Ökonomie folgen muss. Das ist leider oft der Fall“.
Lauterbachs Geringschätzung der ambulanten Versorgung
Wenn man sich klar macht, was der Minister hier zum Ausdruck bringt, dann, dann steigt in der Tat der Blutdruck. Und zwar krisenhaft. Denn Lauterbach macht hier zum wiederholten Male deutlich, wie er die ambulante Versorgung sieht: gar nicht. Angesichts der Erfolge und dem Beweis der Belastbarkeit des ambulanten Systems, welche sich erneut und besonders deutlich in der Coronakrise gezeigt haben, fällt mir kein anderer Ausdruck als fast schon bösartig ein. Unverschämt trifft es jedenfalls schon lange nicht mehr, wie hier mit dem ambulanten Sektor und den Leistungen in der Patientenversorgung umgegangen wird.
Ich will die einzelnen Aspekte an dieser Stelle gar nicht weiter ausführen, der Tweet des Ministers und die daraus folgenden Implikationen sprechen für sich. Womit wir bei einem sehr wesentlichen Diskussionspunkt der BV angekommen sind, nämlich den Folgen des GKV-FinStG für die Zahnmedizin am Beispiel der Parodontitis. Die Resolution zur Budgetierung der Parodontitis und deren Folgen war überaus deutlich.
Medizinisch fatale Budgetierung
Deshalb nachfolgend der Wortlaut des Antrages 6.15.1 „Budgetierung der Behandlung der Parodontitis beenden“: „Die Bundesversammlung der Bundeszahnärztekammer stellt mit äußerstem Unverständnis fest, dass durch das GKV-FINStG die notwendige Versorgung der Patientinnen und Patienten im Bereich der Parodontitis unter eine medizinisch fatale Budgetierung gestellt wurde. Die bewusst zur Behandlung der Volkskrankheit Parodontitis vorgesehenen Mittel werden nicht mehr am tatsächlichen Bedarf gemessen. Das kommt faktisch einer Leistungskürzung gleich und führt unmittelbar zur Rationierung. Aufkommende konsekutive Erkrankungen in der Zahnmedizin und in der Humanmedizin werden vordergründige Spareffekte absehbar zunichtemachen und sogar zu höheren Folgekosten führen. Die Bundeszahnärztekammer fordert von der Bundesregierung die Beseitigung der medizinisch unverantwortlichen Budgetierung in diesem zentralen Bereich der zahnmedizinischen Versorgung“.
Wenn der Minister nicht will …
Soweit der unmissverständliche Antrag. Der nachfolgende Debattenbeitrag von Dr. Wolfgang Eßer, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), machte in seiner Konsequenz nur noch sprachlos. „Wir sind in dem System, in dem wir arbeiten, immer der politischen Willkür ausgeliefert.“ Und weiter: „Uns helfen allerdings der hippokratische Eid und das Genfer Gelöbnis, das Chaos auszuhalten.“ „Es wird auch eine Zeit nach dem GKV-FinStG geben“.
Doch nun kommt der Teil, der dem politischen Fass buchstäblich den Boden raushaut. Wie Eßer darlegte, verweigerte Lauterbach nach seinem Wortbruch zur Finanzierung der neuen Paro-Strecke in den Gesprächen mit der KZBV im BMG sogar die Möglichkeit, wenigstens auf der Länderebene in direkten Verhandlungen zwischen KZVen und Kassen einen diesbezüglichen Interessensausgleich zu ermöglichen. Eßers diesbezüglicher Schlusssatz lautete: „Um keine vier Wochen später den Krankenhäusern acht Milliarden Euro zu versprechen.
Keine Leistungskürzungen? Lauterbach lügt
Es wurde nicht berichtet, dass der Minister am Ende der Gespräche zur Untermalung seines „Njet“ mit seinem Schuh laut auf den Tisch schlug. Sein Handeln hat jedenfalls mit seinen mantraartigen Wiederholungen, dass die Versorgung der Patienten keinesfalls Einschränkungen erfahren würde, nichts, aber auch gar nichts zu tun. Bei der Bezeichnung für ein solches Verhalten wurde Eßer in der Wortwahl sehr deutlich. Einen Eindruck erhält man, wenn man den Namen des Ministers in Kombination mit den Worten „Lüge“ oder „lügt“ googelt. Ob der Anzahl der aufscheinenden Einträge kann man sich, auch wenn man die verschwörungstheoretischen abzieht, nur wundern. Nämlich darüber, dass trotz all der Widerlegungen des Ministers seine Zeit im Ministerium immer noch nicht zu Ende ist.
Ulla Schmidts „Daniel Düsentrieb“
Dies wundert umso mehr, wenn man sich vor Augen führt, dass Lauterbach der „persönliche“ Daniel Düsentrieb der damaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, SPD, war. Seit Beginn des neuen Jahrtausends ist er für nahezu jede der als gesundheitspolitische Innovation und Weichenstellung – von Krankenhaus-DRGs, der TI, über Polikliniken, genannt MVZ, bis Krankenhausschließungen nach Maßgabe mehr oder minder sinniger Qualitätsparameter – gepriesenen Neuerungen mit verantwortlich. Heute hängen diese dem Gesundheitswesen wie Mühlsteine um den Hals. Doch immer, wenn man denkt und hofft, dass es nicht schlimmer werden kann, darf man sich sicher sein, dass Karl Lauterbach bei seinen „Herzensprojekten“ noch einen Zahn zulegt.
„Hoppla, was kostet die Welt“
Und die sind nun mal nicht in der ambulanten Versorgung angesiedelt. Für den Aufbau von Parallelstrukturen wie den Gesundheitskiosken nimmt der Gesundheitsminister gerne Geld in die Hand. Egal ob es kostengünstigere Alternativen gegeben hätte. Aber die hätten ja die Apotheker gestärkt und nicht die großen Versender.
Auch wenn es um die Industrie geht, zeigt sich sein in „wichtig“ und „unwichtig“ geteiltes Weltbild. Das gilt zum Beispiel für die Pharmaindustrie wie auch die IT-Industrie. Groß muss sie halt sein. Dann sind selbst in Sparzeiten fette Umsätze auch mit zweifelhafter Technik möglich. Trotz Protesten unter anderem der (ambulant niedergelassenen) Anwender hält er an dem aktuell laufenden, weil angeblich alternativlosen Austausch von 130.000 TI-Konnektoren wegen angeblich fehlender Update-Fähigkeit fest (was selbst das strenge BSI jetzt als falsch bezeichnet). Bei einem Erstattungspreis von 2.300 Euro für die Leistungserbringer – ob kostendeckend, wird sich noch zeigen – kommt angesichts der Sparnotwendigkeiten eine schwindelerregende Summe zusammen, die aus den leeren Töpfen der Kassen gezahlt werden muss.
Doch was tut Lauterbach – immerhin derjenige, der mit seinem Ministerium und 51 Prozent Gesellschafteranteil uneingeschränkt in der Gematik das Sagen und die Chance hat, dem Gesundheitswesen unnötige Millionenausgaben zu (er)sparen? Natürlich nichts, wenn es der Industrie schaden könnte …
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.