Der gewählte Vorstand ist jetzt auch offiziell im Amt, der vorherige Vorstandsvorsitzende Dr. Wolfgang Eßer ist mit Standing Ovations zum Ehrenvorstandsvorsitzenden gewählt und die politischen Diskussionen und Beschlüsse zeigen große Einmütigkeit – das ist das Kurzfazit der ersten Arbeits-Vertreterversammlung der neu gewählten VV der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung am 21. und 22. Juni 2023.
Die KZBV-VV tagte erstmals in Rheinland-Pfalz, von den 60 gewählten und geborenen Delegierten waren 54 nach Mainz gekommen, um an zwei Tagen die Berichte der Vorstände und die Anträge zu hören, zu diskutieren, Beschlüsse zu fassen und wichtige Regularien abzuarbeiten. Der neue Vorstand für die Legislaturperiode 2023-2028 war bereits im März 2023 in Berlin in der konstituierenden VV gewählt worden – aufgrund von Neuregelungen zu den Vorstandsverträgen dauerte es allerdings bis kurz vor der Mainzer VV, bis die Vertragsfragen für die beiden stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Dr. Ute Maier und Dr. Karl-Georg Pochhammer und den neuen Vorstandsvorsitzenden ZA Martin Hendges mit dem Bundesgesundheitsministerium als Aufsichtsbehörde endlich geregelt waren. So konnten diese Personalangelegenheiten von den Delegierten am zweiten Tag der VV in nichtöffentlicher Sitzung final abgeschlossen werden und alle drei nahmen dann in öffentlicher Sitzung ihre Wahl an.
Standing Ovations für Dr. Wolfgang Eßer
Zuvor hatte die neue Vorsitzende des Satzungsausschusses Dr. Christine Ehrhardt (Vorstandsvorsitzende der KZV Rheinland-Pfalz) die von der konstituierenden VV beauftragte Ehrungsordnung der KZBV vorgestellt, die nun das Bestimmen eines Ehrenvorstandsvorsitzenden erlaubt. Diese Ehrungsordnung wurde ebenso einstimmig beschlossen, wie der nun ausgeschiedene langjährige Vorstandsvorsitzende Eßer (2013 bis 2023) zum Ehrenvorstandsvorsitzenden gewählt wurde. Langanhaltende Standing Ovations begleiteten sowohl den Beschluss als auch die Übergabe der Ehrenurkunde durch den Vorsitzenden der Vertreterversammlung Dr. Holger Seib (Vorstandsvorsitzender KZV Westfalen-Lippe).
Eßer dankte in seiner kurzen Rede sichtlich bewegt den Vorstandskollegen und Vorsitzenden der VV ebenso wie den früheren und aktuellen Delegierten für die große Geschlossenheit und Unterstützung über durchaus politisch bewegte Jahre. Er habe das große Glück gehabt, in einer Zeit im Vorstand der KZBV und als Vorstandsvorsitzender arbeiten zu können, in der im Berufsstand und mit der Politik viel für die Prävention und Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger, für eine moderne, wissenschaftlich basierte und präventionsorientierte Zahnmedizin und für die Zahnärzteschaft erreicht werden konnte. Man sei als Zahnärzteschaft in der Politik gehört und als verlässlicher, konstruktiver Partner geschätzt worden. Es habe Raum für Veränderungen gegeben.
Auch dies sei ein Erfolg der Geschlossenheit im Berufsstand gewesen. Jetzt kommen härtere und schwierigere Zeiten, so Eßer, in denen die Zahnärzte vielfach gegen die Entscheidungen der Politik die erreichten Erfolge verteidigen und schwierige Aufgaben wie die Sicherstellung der Versorgung und der präventionsorientierten Zahnmedizin ebenso wie die Verteidigung der Freiberuflichkeit anstünden.
Eßer zeigte sich optimistisch, auch angesichts des ersten Tages, bei dem sich alte und neue Delegierte schnell in positivem Spirit zusammengefunden hätten. „Wir haben hier eine sehr starke VV“, so Eßer. Es gebe dem Vorstand eine „unglaubliche Stärke“ im Rückhalt der Versammlung, auch gegen Trends und Meinungen zu arbeiten. „Ihr seid wirklich das Rückgrat unserer ganzen Arbeit und Politik“, so Eßer. Es habe immer wieder „herrliche Streitereien“ gegeben, aber „dann haben wir uns untergehakt und sind wie ein Mann nach draußen gegangen“. Er bat die Delegierten, mit dieser Geschlossenheit auch den neuen Vorstand zu unterstützen, der in seiner Zusammensetzung alle Voraussetzungen mitbringe, als gutes Team erfolgreich für die Zahnärzte zu arbeiten.
Minister Hoch schätzt starke Selbstverwaltung
Zum Auftakt der VV konnten die Delegierten am Mittwoch den rheinland-pfälzischen Minister für Wissenschaft und Gesundheit, Clemens Hoch, begrüßen. Er hob die Bedeutung der Selbstverwaltung für ein funktionierendes Gesundheitswesen hervor – gerade in Rheinland-Pfalz sei man im politischen Raum von einer starken Selbstverwaltung überzeugt und lebe das Prinzip der Subsidiarität. Es gebe gute Strukturen, die Entscheidungen selbstverantwortlich treffen könnten. Natürlich brauche es dafür einen Handlungsrahmen, aber die Politik mache da gerade in der Gesundheitspolitik oft auch zu viel. Aktuell stünden die Finanzprobleme der Gesetzlichen Krankenversicherung und die Krankenhäuser stärker im Fokus auch der Landespolitik. Die Kassen müssten auf die Ausgaben schauen, so Hoch. Man werde aber kritisch begleiten, was der Bundesgesundheitsminister in seinen angekündigten Versorgungsgesetzen I und II vorschlägt. Die Länder seien sich weitgehend einig, dass der Bund die Kosten für Empfänger von Arbeitslosengeld II etc. aus dem Bundeshaushalt finanzieren müsse.
Bei den auch auf Initiative von Rheinland-Pfalz in der Bundesratsentschließung geforderten verschärften Regelungen für investorenbetriebene Medizinische Versorgungszentren stehe man in Rheinland-Pfalz an der Seite der Ärzte und Zahnärzte, so Hoch. Ankündigungen, die vom Vorstandsvorsitzenden Hendges mit Dank angenommen wurden – nicht ohne den Minister zu bitten, die noch nicht in der Entschließung und in den jetzt bekannt gewordenen möglichen Regelungen enthaltenen fachlichen Bezug von Krankenhäusern für den Betrieb von rein zahnärztlichen MVZ im Gesetzgebungsprozess einzubringen.
Kritischer Blick auf die Gesundheitspolitik
Die Vorstandberichte wurden am ersten Tag noch von den beiden alten und neuen Vorstandsmitgliedern Hendges und Pochhammer vorgetragen. Hendges fand in seiner Rede (die auch auf der KZBV-Homepage eingestellt ist) deutliche Worte hinsichtlich der aktuellen Marschrichtung der Gesundheitspolitik: „Aus den Erfahrungen der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode wissen wir, dass die Zeitpläne des Bundesministeriums für Gesundheit mit großen Unwägbarkeiten verbunden sind. Viele der teils hochkonfliktären Gesetzesvorhaben haben noch nicht das Licht der Welt erblickt. Für uns Vertragszahnärzte bedeutet dies, dass wir mit unseren Themen und Forderungen selbst offensiv nach vorne gehen!“ Hendges verwies in diesem Zusammenhang auf die erfolgreich gestartete bundesweite Kampagne „Zähne zeigen“, mit der die KZBV gegen die Kürzung der Mittel für die neue, so dringend notwendige Parodontitis-Therapiestrecke und gegen weitere Kostendämpfungsmaßnahmen in der GKV mobilisiert.
„Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist ein Gesetz in Kraft getreten, das die Versorgung gefährdet und diese in bestimmten Regionen ernsthaft infrage stellt. Unseren Patientinnen und Patienten werden die Auswirkungen des Gesetzes über Jahre schaden. Besonders fatal ist, dass der präventionsorientierten Parodontitis-Therapie die Finanzmittel entzogen werden. Wir können nicht tatenlos zusehen, wie die Versorgung unserer Patientinnen und Patienten fahrlässig aufs Spiel gesetzt wird!“ Man müsse sehr sorgfältig auf die zum 30. September 2023 angekündigte Evaluierung zur Wirkung der Budgetierung auf die PAR-Leistungen achten und vorbereitet sein. Hendges appellierte an Minister Lauterbach, zumindest die Parodontitis-Therapie aus der Budgetierung herauszunehmen und die kurzsichtige Sparpolitik auf Kosten der Gesundheit der Patientinnen und Patienten zu stoppen. Für die Zahnarztpraxen würden die finanziellen Auswirkungen der Budgetierung auch wegen der Inflationsbelastung spätestens 2024 in allen KZV-Bereichen spürbar werden.
Erneuten Frontalangriff nicht gefallen lassen
Hinsichtlich weiterer geplanter Finanzreformen stellte er klar: „Einen erneuten Frontalangriff auf die Zahnärzteschaft, auf die Versorgung unserer Patientinnen und Patienten, lassen wir uns nicht gefallen! Auch deshalb melden wir uns mit unserer Kampagne lautstark zu Wort.“ Jetzt komme es darauf an, nicht lockerzulassen. Hendges betonte vor diesem Hintergrund auch die Bedeutung einer starken Selbstverwaltung und dankte Minister Hoch für seine Unterstützung: „Wir müssen jeden Tag von Neuem für die Selbstverwaltung als tragende Säule unseres Gesundheitswesens einstehen. Wir fordern ein klares Bekenntnis der Politik zum besonderen Wert der Selbstverwaltung und eine Rückkehr zu einem von gegenseitigem Vertrauen, Respekt und Kooperation geprägten Miteinander!“
Bezüglich der Ausbreitung investorengetragener Medizinischer Versorgungszentren (iMVZ) bekräftigte Hendges die Notwendigkeit, neben der räumlichen auch eine fachliche iMVZ-Gründungsbefugnis im zahnärztlichen Bereich gesetzlich zu verankern. Hendges appellierte an Minister Lauterbach, entsprechende Regelungen in das kommende Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz aufzunehmen. Zudem erwarte die Vertragszahnärzteschaft von der Bundesregierung, auf Basis ihrer vorgelegten Vorschläge die Umsetzung schneller und pragmatischer Lösungen zur Bürokratieentlastung. Steigende Bürokratielasten wirkten auf niederlassungswillige Zahnärztinnen und Zahnärzte in hohem Maße abschreckend. Die dafür aufzubringende Zeit fehle bei der Patientenversorgung.
Digitalisierung läuft, aber braucht sinnvolle Lösungen
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen werde die Vertragszahnärzteschaft engmaschig begleiten und aktiv mitgestalten – aktuell verfügen 95 Prozent der Praxen (35.940 Praxen) über eine KIM-Anbindung. Ab 2024 werde auch die Kommunikation mit den Dentallaboren über KIM laufen. Die Praxen bräuchten jedoch eine stabile, störungsfreie Telematikinfrastruktur sowie digitale Lösungen, die die Versorgung verbessern und dazu führen, dass wieder mehr Zeit für die Behandlung zur Verfügung steht. Der Mehrwert der TI und ihrer Anwendungen müsse im Praxisalltag erlebbar werden. Zudem brauche es Maßnahmen, die sicherstellen, dass Datenhaltung und Datenzugriffe den Schutzzielen der Informationssicherheit folgen. Diese Maßstäbe werde die KZBV auch bei der Bewertung der Gesetzesvorlagen zu den geplanten Digitalgesetzen anlegen.
KfO-Mehrkosten zum 1. Juli 2023
Aus den Arbeitsbereichen informierte er über die zum 1. Juli 2023 in Kraft tretenden Mehrkostenleistungen in der Kieferorthopädie. Die zugehörigen Formulare sollen zum 1. Oktober 2023 in die Praxisverwaltungssoftware eingepflegt sein. Das Elektronische Beantragungsverfahren Zahnärzte (EBZ) habe sich als Erfolg erwiesen, aktuell arbeite man die Rückmeldungen zu Problemen etc. ab, um das System noch reibungsloser zu machen. Das EBZ erweise sich immer mehr als Blaupause für eine gelungene Digitalisierung. Hendges machte auch noch einmal deutlich, dass die neue Zahnarztnummer Pflicht und unumgänglich sei.
Gemeinsam Zähne zeigen
„Diese politisch unsicheren und stürmischen Zeiten fordern von uns allen viel Aufmerksamkeit. Wir müssen von dieser Stelle ein gemeinsames Signal senden für Geschlossenheit. Lassen Sie uns Zähne zeigen“, so Hendges in seinem Schlusswort zu seinem Vortrag.
Noch immer keine TI-Pauschale
Pochhammer musste sich mit den unerfreulichen Themen der Telematik befassen. Noch immer liegt keine TI-Pauschale vor, nachdem sich Krankenkassen und KZBV ebenso wie die KBV nicht auf die Höhe der gesetzlich vorgegebenen neuen Monatspauschalen einigen konnten und das Ministerium zur Klärung aufgefordert hatten. In einem einstimmigen Beschluss forderten die Delegierten, diese Pauschale auf den 1. Januar 2024 zu verschieben. Hinsichtlich der von den Delegierten in einem Beschluss beauftragten Kosten-Nutzen-Analyse und Zeitmessstudie der Digitalisierung für die Praxen habe sich gezeigt, dass eine solche Erhebung in der Praxis sehr kostenintensiv und nicht zu realisieren sei und statistisch relevante Ergebnisse, mit denen man auch arbeiten könne, aufgrund der individuell sehr unterschiedlichen PVS nicht zu erwarten seien. Die Empfehlung laute daher, dieses Vorhaben nicht zu realisieren.
Positionierung zur Gematik je nach Einflussmöglichkeit
Was die Positionierung in der Gematik angehe, die wohl mit einem eigenen Gesetz in eine bundesunmittelbare Behörde verwandelt werden soll, so müsse man abwarten, wie sich die Gestaltungsmöglichkeiten dort entwickelten. Klar sei, dass die Finanzierung einer Bundes-Gematik dann auch rein aus Bundesmitteln erfolgen müsse, wenn die Krankenkassen und Leistungserbringer keinen Einfluss mehr nehmen könnten. Aufgrund der aktuellen Mehrheitsverhältnisse mit dem BMG als Mehrheitsgesellschafter könnten die Leistungserbringer und Kassen derzeit selbst keine Beschlüsse mehr durchbringen, aber man werde immerhin noch gehört und einbezogen. So lange mache eine Mitarbeit auch noch Sinn, so Pochhammer in der Diskussion seines Berichts.
Der laufende Umbau des Zahnärztehauses habe einige unerwartete Probleme und Überraschungen bei der Bausubstanz zutage gebracht, berichtete er.
Neue Ausarbeitung zur gesundheitspolitischen Diskussion
Martin Hendges stellte zudem eine neue Ausarbeitung vor, die in Kürze den KZVen für ihre Arbeit zur Verfügung gestellt werden soll und unter dem Fokus auf die Zahngesundheit vor dem Hintergrund der Bedeutung der Gesundheit für die Zufriedenheit und das Glück der Menschen Fakten und Argumente zur zahnärztlichen Profession aufbereitet. Die Ausgaben für zahnärztliche Leistungen in der GKV betrügen zwar jetzt 16 Milliarden Euro, inflationsbereinigt seien sie aber seit 2000 nur um 1 Prozent gestiegen, anders als andere Leistungsbereiche in der GKV. Die Zahnmedizin sei ein klarer Jobmotor in Deutschland, die jüngste Einordnung der Zahnmedizinischen Fachangestellten in die Top 10 der Engpassberufe zeige aber das große Problem des Fachkräftemangels in der Zahnmedizin. Dieser Fachkräftemangel sei ein limitierender Produktionsfaktor für das Erbringen zahnärztlicher Leistungen und berge die Gefahr der Rationierung von Gesundheitsleistungen und längere Wartezeiten, zitierte Hendges aus der Ausarbeitung.
Kurze Diskussionen, hohe Geschlossenheit
Die vom Vorstand und den Delegierten eingebrachten Anträge und Resolutionen zu den Themen der Berichte wurden dann mit nur wenigen, kurzen Diskussionen bis auf einen Antrag (weiteres Agieren in der Gematik, die Bundesbehörde werden soll) einstimmig und ohne Gegenstimmen oder Enthaltungen angenommen. Beschlossen wurde, das Zahnärztepraxispanel fortzusetzen, um weiter wertvolle Daten zur Situation der Praxen zu erheben.
Die Reden und sämtliche Beschlüsse der Vertreterversammlung stehen in Kürze auf der Website der KZBV zur Verfügung.
Dr. Marion Marschall, Berlin
mit Material der KZBV