Die „SARS-CoV-2-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung“ tritt am 5. Mai 2020 in Kraft – und mit ihr ein finanzieller „Schutzschirm“ für die Zahnärzte, der diesen Namen nicht nur aus Sicht der Zahnärzteschaft nicht verdient.
Am Ende ist es quasi nur ein Darlehen geworden, mit komplizierten Rückzahlungsbedingungen: die Liquiditätshilfe für Zahnärztinnen und Zahnärzte für den Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Entsprechend groß war die Enttäuschung und die Sorge vor den Folgen für die Zahnarztpraxen und die Mitarbeiterinnen beim Vorstand der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) und beim Verband medizinischer Fachberufe in einem Hintergrundgespräch zur Verordnung am 4. Mai 2020. „Mit dieser Verordnung erfahren die Zahnärzte mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Vergleich zu den Ärzten und selbst zu Heilmittelversorgern eine nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung und Herabwürdigung. Die Bedeutung der zahnmedizinischen Versorgung als Teil der Daseinsvorsorge in unserem Land wird bagatellisiert und in erheblicher Weise diskreditiert“, stellte der KZBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Wolfgang Eßer in einem Statement anlässlich des Pressegesprächs fest. Er bezeichnete die jetzige Verordnung als „absolut desaströse Entscheidung“.
Kassen könnten sogar profitieren
Die wirtschaftlichen Lasten der Krise würden in diesem Fall allein den Zahnärzten auferlegt. „Hingegen wird die Mitverantwortung der Krankenkassen für die Sicherstellung funktionierender, zahnärztlicher Versorgungsstrukturen durch die Verordnung negiert“, so Eßer. Die Krankenkassen würden mit dieser Verordnung risikofrei gestellt und sogar in den Jahren 2021 und 2022 von den Rückzahlungen profitierten.
„Es steht zu befürchten, dass es zu erheblichen Substanzverlusten in der vertragszahnärztlichen Versorgung kommen wird. Eine hundertprozentige Rückzahlungsverpflichtung trifft insbesondere junge Praxen und Praxen in strukturschwachen, ländlichen Regionen, die die hohen laufenden Kosten aus den Praxiskrediten, die Personalkosten und Mieten bei den drastisch wegbrechenden Umsätzen nicht mehr werden begleichen können“, so Eßer weiter. Auch würden ältere Praxisinhaber mit Sicherheit verstärkt darüber nachdenken, ihre Kassenzulassung zurückzugeben und dies auch tun. Zugleich werde es so noch schwieriger werden, Zahnmedzinstudierende, Assistenzzahnärzt*innen und Angestellte für eine Niederlassung zu gewinnen. Am Ende könnten finanzstärkere Fremdinvestoren die Gewinner dieser Situation sein und die Politik mit dieser Verordnung der fatale Weg hin zu einer Vergewerblichung der Zahnmedizin noch befördern.
Arbeitsplätze in den Praxen gefährdet
Auch Sylvia Gabel, Referatsleiterin Zahnmedizinische Fachangestellte im Verband medizinischer Fachberufe, zeigte sich sehr enttäuscht. Die jetzt beschlossene Verordnung gefährde die Arbeitsplätze vieler Mitarbeiterinnen und Auszubildenden in den Zahnarztpraxen. Bereits seit März erhalte der Verband viele Anrufe zu Kündigungen, Tendenz stark steigend. „Viele der mehr als 200.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigten ZFA werden ihren Job verlieren, viele der mehr als 30.000 Auszubildenden ihren Ausbildungsbetrieb“, so Gabel.
Viele Fachkräfte, die jetzt ihre Arbeit verlören, würden dem Beruf wohl dauerhaft den Rücken kehren, auch weil die Unzufriedenheit vielfach groß gewesen sei, so Gabel. Dabei habe sich vor der Corona-Krise die Lage für die ZFA und die fortgebildeten Fachkräfte gerade begonnen zum Besseren zu wandeln, es habe mehr Stellenangebote als Arbeitssuchende gegeben, die Gehälter entwickelten sich nach oben – dies alles sei jetzt in Frage gestellt. Ebenso werde der Anteil des Fachpersonals an der Mundgesundheit und der guten zahnmedizinischen Versorgung der Menschen in keiner Form wahrgenommen. „Es kann nicht sein, dass die Beschäftigten in Zahnarztpraxen anders behandelt werden als unserer Kolleginnen und Kollegen in Facharztpraxen, die ebenfalls weniger Patientinnen und Patienten betreuen konnten. Die Politik muss nun ihren Anteil dazu beitragen, diese Fachkräfte im ambulanten Gesundheitswesen zu halten und sie als systemrelevante Berufe zu fördern“, forderte Gabel.
Zum weiteren Vorgehen erklärte Eßer, die KZBV stehe mit den für die vertragszahnärztliche Versorgung zuständigen KZVen in permanentem Austausch. Man werde die Verordnung „gemeinsam in jeder denkbaren Konsequenz analysieren und unsere Schlussfolgerungen ziehen“. Die Verantwortung für die Sicherstellung der Versorgung und alle Fragen der Honorarverteilung liege auch in der jetzigen Situation bei der KZBV und die KZVen, erinnerte Eßer. Sie seien daher für die Vertragszahnärzte auch in dieser Situation die Ansprechpartner.
KZBV sieht keine Grundlage, Kurzarbeitergeld zu verwehren
Zum wichtigen Thema Kurzarbeitergeld sagte er: „Wir werden in den nächsten Tagen und Wochen auf eine eindeutige Klarstellung durch die Bundesagentur für Arbeit hinwirken, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben.“ Bereits vor Inkrafttreten der Verordnung ergangene Ablehnungen von Kurzarbeitergeld seien „rechtsfehlerhaft“. „Dass diese rechtsfehlerhaften Bescheide zurückgenommen werden müssen, weil es bis dato gar keinen zahnärztlichen Rettungsschirm gegeben hat, ist aus unserer Sicht notwendige Folge. Ebenso dürfen solche Bescheide künftig nicht mit der Begründung ergehen, dass es nunmehr einen zahnärztlichen Rettungsschirm gebe, denn die jetzt vorgesehene Liquiditätshilfe ist wegen der bestehenden Rückzahlungsverpflichtung in keiner Weise mit dem ärztlichen Rettungsschirm vergleichbar“, so das deutliche Statement der KZBV.
Alle politischen Möglichkeiten ausloten und ausnutzen
„Wir werden die 28-tägige Erklärungsfrist nutzen, die die Verordnung hinsichtlich Annahme oder Ablehnung der Liquiditätshilfe vorsieht, um weitere Erkenntnisse über den Verlauf der Pandemie und die wirtschaftlichen Konsequenzen für den Berufsstand in diese Entscheidung mit einfließen zu lassen“, so Eßer. Man werde gemeinsam daran arbeiten, „dass sich die Krise und die Tatsache, dass die Politik uns keinen Schutz gewährt, nicht zu einem Fiasko für die Zahnärzteschaft und die vertragszahnärztliche Versorgung auswächst. Dazu gehört, dass wir trotz aller Enttäuschung und Frustration auch weiterhin alle politischen Möglichkeiten und Optionen ausloten werden, um im Herbst eventuell doch noch zu einer gesetzlichen Regelung zu finden, durch die die Zahnärzteschaft mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Schutz vor den wirtschaftlichen Folgen erhalten soll.“
Schon seit März Ringen um Schutzschirm
Seit März kämpfte die Zahnärzteschaft um einen Schutzschirm, im ersten Schutzschirm-Gesetz waren die Zahnärzte nicht dabei. Für die dann angekündigte Verordnung war es der KZBV gelungen, im Bundesministerium für Gesundheit die auf der Grundlage umfangreicher Ausarbeitungen und Berechnungen vorgeschlagenen Zahlen und Regelungen auch im Verordnungstext zu verankern. Die ursprünglich von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorgelegte Regelung sah vor, dass Zahnärzte 90 Prozent des GKV-Honorarvolumen von 2019 auch 2020 unabhängig von den tatsächlich erbrachten Leistungen erhalten sollten. Vom nicht durch erbrachte Leistungen gedeckten Betrag sollten sie am Ende 30 Prozent als Bonus behalten dürfen, und dies ohne Anrechnung von Kurzarbeitergeld und anderen Soforthilfen. Die KZBV hatte in ihrer Stellungnahme zum Verordnungsentwurf sogar eine paritätische Teilung der Lasten zwischen Kassen und Zahnärzten mit einem Bonus von 50 Prozent eingefordert. Ende April war jedoch bekannt geworden, dass nach erfolgter Abstimmung mit dem Bundesfinanzministerium dann Bundesfinanzminister Olaf Scholz die vorgesehene Bonusregelung für Zahnärzte nicht mittragen wollte.
Danach war vonseiten der Zahnärzteschaft, aber auch des Verbands medizinischer Fachberufe in Offenen Briefen, Pressemitteilungen und Gesprächen versucht worden, Scholz und die SPD doch noch zu bewegen, einen Bonusanteil in der Verordnung zu verankern. Ohne Erfolg, wie die jetzt veröffentlichte Verordnung zeigt.
„Nachholeffekte“ für die Praxen unwahrscheinlich
Begründet wird die Regelung des reinen Vorschusses, dessen Überschüsse 2021 und 2022 zurückgezahlt werden müssen, und die Zahnärzte anders behandelt als die Ärzte, in der Verordnung mit den erwarteten „erheblichen Nachholeffekten“ in den kommenden Jahren bei Behandlungen und Zahnersatz. Diese Effekte werde es aber nicht geben, erklärten Eßer und Martin Hendges, stellvertretender KZBV-Vorsitzender, im Pressegespräch. Einige Leistungen ließen sich nicht nachholen, zum Beispiel alle Präventivleistungen oder die aufsuchende Betreuung für Pflegebedürftige, die wegen der Corona-Pandemie komplett zum Erliegen gekommen sei. „Die ausgefallenen PZR-Termine können Sie schon zeitlich und personell nicht nacharbeiten, wenn denn die Patienten wieder in die Praxen kommen, die jetzt aus Angst nicht kommen“, erklärte auch Sylvia Gabel.
BMG soll Auswirkungen der Regelungen bis Oktober prüfen
Ob und wie sich der Schutzschirm auf Zahnarztpraxen auswirken wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab, so unter anderem von den regionalen Vereinbarungen der KZVen mit den Krankenkassen und von den Kriterien der Honorarverteilung in den KZVen. Am Ende werde aber auch damit die Bewältigung der Krise allein den Zahnärzten aufgebürdet, so Eßer.
Daran ändere auch die Vorgabe einer Evaluierung durch das BMG im Oktober nichts. Inder Verordnung heißt es: „Das Bundesministerium für Gesundheit überprüft bis zum 15. Oktober 2020 die Auswirkungen der Regelungen in den Absätzen 1 bis 4 auf die wirtschaftliche Situation der Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte.“ In der Begründung wird ausgeführt: „Die Erkenntnisse können zudem – soweit sie zu diesem Zeitpunkt vorliegen – in den gesetzlichen Regelungsbedarf einfließen, der aufgrund des Außerkrafttretens dieser Rechtsverordnung erforderlich sein wird.“
Marion Marschall, Quintessence News
Die Statements von Dr. Wolfgang Eßer und Sylvia Gabel sind auf der Internetseite der KZBV in vollständiger Version abrufbar.
Die im Bundesanzeiger am 4. Mai 2020 veröffentlichte Verordnung finden Sie hier.