Nach dem Motto „besser miteinander reden als übereinander“ hatte der Hamburger FDP-Bundestagsabgeordnete und Gesundheitspolitiker Dr. Wieland Schinnenburg am 26. September 2018 zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Zum Thema „Pro und Kontra MVZ“ waren seine Gäste auf der einen Seite Cornelia Steinmeier aus der Managementleitung der Colosseum Dental Deutschland GmbH, ein von der in der Schweiz ansässigen Jacobs-Holding gegründetes MVZ-Unternehmen mit dem Plan, in Deutschland in den nächsten Jahren 200 Zahnarztpraxen zu betreiben. Ihr gegenüber saß Konstantin von Laffert, Präsident der Zahnärztekammer Hamburg, der auch die Positionen der Bundeszahnärztekammer mit einbrachte.
Moderator Schinnenburg war bis vor einigen Monaten selbst Zahnarzt in Hamburg – es gab entsprechend viele persönliche Kontakte zu den zahlreichen Teilnehmern in der fast voll besetzen „Patriotischen Gesellschaft“. Das legte spürbar einen Vertrauensteppich unter die bei aller Kritik sehr sachlich geführten Debatten.
Sachlich geführte Debatten
Hilfreich für den unaufgeregten Austausch der Informationen und Sorgen war zudem, dass Cornelia Steinmeier großen Wert darauf legte, dass – bei allem betriebswirtschaftlichen Interesse, das aber auch jeder Zahnarzt als Unternehmer habe – die Praxiskette unter dem Investment der Jacobs-Familie auf Nachhaltigkeit und qualitativ gute Patientenversorgung ausgerichtet sei. Unsichtbar mit am Tisch saßen die eigentlichen Feindbilder der Zahnärzteschaft, die milliardenschweren Fonds, die auch in Deutschland bereits Zahnarztpraxen aufkaufen, diese als reines Investment sehen und entsprechend führen.
Grundlagen der Berufsausübung ausgehöhlt
Kammerpräsident von Laffert verwies auf die Grundlagen der zahnärztlichen Berufsausübung in Deutschland: Der zahnärztliche Beruf sei ein freier Beruf und kein Gewerbe – was Schinnenburg zum Einwurf brachte, dass im Falle der Ausweitung der Anzahl angestellter Zahnärzte in klassischen Praxen das Finanzamt das vielleicht auch mal anders sehen könnte. Fremdinvestoren-geführte MVZ seien zudem, so von Laffert, Mitglieder der Industrie- und Handelskammer und somit der prüfenden Begleitung der Zahnärztekammern entzogen: Verhalte sich ein Zahnarzt gegen die Regeln, könne ihn derzeit die Kammer zur Ordnung rufen – bei MVZs sei das nicht mehr möglich. Insofern stehe zu befürchten, so von Laffert, dass das derzeit hohe Vertrauen der Bevölkerung in die Zahnärzteschaft in Gefahr geriete.
Steinmeier sah bei ihrer eigenen MVZ-Kette solche Sorgen als unberechtigt an. Für die Zahnärzte ändere sich nur der Rahmen, es werde nicht in die freiberufliche Therapieentscheidung eingegriffen: „Bei uns entscheidet der Zahnarzt, nicht der Controller“. Sie skizzierte viele Vorteile, wie ein solches Investoren-geführtes MVZ-System die zahnärztliche Landschaft bereichern könnte: Junge Zahnärztinnen mit Wunsch nach Verbindung von Familie und Beruf hätten in einem MVZ mit vielen Angestellten mehr Möglichkeiten. Ältere Zahnärzte erhielten für ihre abzugebende Praxis oft bessere Konditionen als am freien Markt.
Versorgung in ländlichen Regionen
Die Versorgung in der ländlichen Region könne über „Flaggschiff-Praxen“ an zentraler Stelle mit – in bestimmtem Radius angesiedelten – Satelliten-Praxen auf dem Land sowohl die Grundversorgung als auch anspruchsvollere Behandlungen sicherstellen. Während man junge Zahnärztinnen und Zahnärzte derzeit schwer zu einer Praxisgründung auf dem Land bewegen könne, wäre dies für viele in Angestelltenposition wohl recht attraktiv, zumal das Patienten-Zahnarzt-Verhältnis dort interessanter sei als in einer Großstadt.
„Wir kaufen nur die, die mit uns auch in die Zukunft wollen“, sagte Steinmeier, und wiederholte mehrfach das auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Konzept. Der Kritik, in solchen Strukturen würden Zahnärzte bei Nichtbeachtung der Rendite-Vorgaben eben rasch entlassen, entgegnete sie: Fluktuation sei teuer, und das wolle man nicht.
Skepsis und kritische Rückfragen zur schönen MVZ-Welt
So ganz glaubten viele der Zahnärzte im Auditorium, die später in die Diskussion mit einsteigen durften, diesem schönen Heile-MVZ-Welt-Bild nicht, was sich an kritischen Rückfragen zeigte – und auch Präsident von Laffert war spürbar nicht zuletzt durch die Gesetze der Höflichkeit daran gehindert, harte Angriffe zu fahren. Die Sorgen richteten sich nicht grundsätzlich gegen ein MVZ, vielleicht auch nicht zuvorderst gegen solche Fremdinvestoren-Projekte wie die „Colosseum“-Gruppe, aber gegen renditeorientierte Träger der zahnärztlichen Versorgung, die nicht mehr mit berufsständischen Möglichkeiten erreicht werden könnten.
Dass sich Cornelia Steinmeyer abschließend dafür bedankte, dass sie hier die Sorgen der Zahnärzteschaft erfahren durfte, machte sie in den Augen der Gäste nicht vertrauenswürdiger – Gegenwind, so ein Teilnehmer am Rande, erkunde man bei der Konzeption eines Projektes doch in aller Regel mit als erstes.
Schwerwiegendste Strukturveränderung
Übrig bleibt nach der Veranstaltung eine gewisse grundsätzliche Skepsis – und das Wissen im Hinterkopf, dass es bei diesem Thema nicht nur Strukturen wie Colosseum gibt, sondern auch andere, die bereits massiv in den Markt eindrängen und wirtschaftlich erfolgreiche Praxen auch renommierter Zahnärzte aufkaufen. Es war ein interessanter Schlagabtausch, ein Austausch an Argumenten, die wahren „Feindbilder“ saßen aber nicht mit am Tisch, sondern bleiben im Dunklen.
Und während man auf dieser Ebene in Hamburg nun höflich und sachbezogen miteinander diskutierte, rollt bereits, wie von Laffert es nannte, die schwerwiegendste Strukturveränderung im Berufsstand weiter durchs Land. Eine Entwicklung, die bisher weder richtig erfasst noch irgendwie unter Kontrolle ist.
Manchmal ist Regulierung auch sinnvoll
Die Politik habe die Rahmenbedingungen durch Deregulierung geschaffen, dürfe man nun hier mit etwas Regulierung rechnen? Sicher werde es keine Positionierung pro oder contra die eine oder andere Seite geben, so Schinnenburg – aber es gelte, Fairness im Wettbewerb zu erreichen. Das Gesundheitswesen sei bereits erheblich überreguliert – aber manchmal mache aus Patientenschutzgründen eine Regulierung auch Sinn. Im Rahmen der weiteren Diskussionen zum TSVG (Terminservice- und Versorgungsgesetz/Referentenentwurf ) werde sich der Gesundheitsausschuss des Bundestages entsprechenden Themen in der nächsten Zeit weiter widmen – und er nehme einige interessante Aspekte aus der Veranstaltung für diese Arbeit mit.
Birgit Wolff, Hamburg