Viele positive Signale – so sehen die Spitzen der zahnärztlichen und ärztlichen Körperschaften und der Krankenkassen in ersten Reaktionen die Vorhaben im Bereich Gesundheit und Pflege im neuen Koalitionsvertrag. Tenor: Es kommt darauf an, was man daraus macht – man sei zur konstruktiven Zusammenarbeit bereit. Auf Kritik stößt dagegen die geplante Reform des Honorarsystems. Was die Spitzenvertreter im Einzelnen sagen.
KZBV: Keine Zwei-Klassen-Medizin in Zahnarztpraxen
Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) begrüßt in einer ersten Einschätzung alle Vorhaben, die die substanzielle Verbesserung der Versorgung der Menschen in den Mittelpunkt des künftigen Regierungshandelns stellen. „Diese Fokussierung deckt sich im Grundsatz mit der „Agenda Mundgesundheit“ der KZBV, allerdings kommt es jetzt auf die richtige Gewichtung und Gestaltung der Einzelprojekte an“, so der KZBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Wolfgang Eßer, am Freitag in Berlin. „Insbesondere Aussagen zu Themen wie Bürokratieabbau, Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung finden die ungeteilte Zustimmung der Vertragszahnärzteschaft.“
Auch dem Ziel der Koalition, gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Deutschland und eine gute Versorgung vor Ort zu schaffen, habe sich die KZBV immer verpflichtet gefühlt. So hätten die Zahnärzte bei der Pflege seit Jahren konsequent gehandelt und mit Unterstützung der Politik Bemerkenswertes für alle Bevölkerungsgruppen erreicht. „Diesen erfolgreichen Weg gilt es weiter gemeinsam zu beschreiten, etwa bei der Bekämpfung der Volkskrankheit Parodontitis, für die KZBV und BZÄK kürzlich ein tragfähiges und wissenschaftlich abgesichertes Versorgungskonzept vorgelegt haben“, sagte Eßer. Für alle Reformen, die echte Versorgungsverbesserungen für die Patienten mit sich bringen, bot er im Namen der Vertragszahnärzte eine konstruktive, aber jederzeit auch kritische Zusammenarbeit an.
Eine Erhöhung der Festzuschüsse für Zahnersatz von 50 auf 60 Prozent sei – aus Sicht der Patienten – zunächst positiv zu werten. „Allerdings bleibt für eine fundierte Einschätzung abzuwarten, wie dieser Schritt in die Versorgung gebracht werden soll und inwiefern er sich auf das schon lange bewährte Bonussystem auswirkt. In dem Zusammenhang kann die Politik auf unsere Unterstützung bei der Digitalisierung des Bonushefts zählen. Wir haben hier bereits erste Überlegungen angestellt und bringen diese gerne in die weitere Diskussion ein.“
Eßer benannte aber auch grundlegend falsche Weichenstellungen. So übte er Kritik an der geplanten Kommission für die Erarbeitung von Vorschlägen zur Angleichung des dualen Honorarsystems: „Zu einem solch riskanten Experiment mit der Versorgung unserer Patienten hat sich die KZBV immer klar ablehnend positioniert - und daran ändert sich auch jetzt nichts. In zahnärztlichen Praxen gibt es keine Zwei-Klassen-Medizin und Scheindebatten um vermeintlich ‚gerechte‘ Honorarordnungen lösen keines der Probleme, die das Gesundheitssystem zweifelsohne hat.“
BZÄK: positive Signale
Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) begrüßt, dass offene Punkte in der Zahnmedizin angegangen werden sollen – vor allem, dass die Approbationsordnung für Zahnärzte (ZApprO) zügig verabschiedet und die Bürokratielasten in den Praxen abgebaut werden sollen. Sie kündigt ebenfalls an, die weiteren Schritte konstruktiv, aber kritisch zu begleiten.
„Die Verabschiedung einer neuen Approbationsordnung ist ein notwendiger und längst überfälliger Schritt. Dass die Erneuerung der ZApprO nach mehr als 60 Jahren nun zeitnah erfolgen soll, ist eine gute Nachricht für die Zahnmedizin. Die angehenden Zahnmediziner können hoffentlich bald nach den aktuellen wissenschaftlichen Anforderungen studieren. Zugleich soll damit die Gleichwertigkeitsprüfung für ausländische Zahnärzte geklärt werden“, so BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel.
Auch der geplante Bürokratieabbau in der (Zahn-)Arztpraxis sowie das Bekenntnis zu Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung sind für die BZÄK gute Zeichen der Koalitionsvereinbarung. Dass sich der Koalitionsvertrag zudem für Erhalt und Stärkung der Freiberuflichkeit und der Kammern ausspricht, zeigt das begründete Vertrauen in die gut funktionierenden Strukturen aus freier Arztwahl und Therapiefreiheit. Dadurch wird der hohe Qualitätsstandard des Gesundheitssystems in Deutschland gesichert. „Wir sind zuversichtlich, in den Koalitionären auch Mitstreiter gegen europäische Bestrebungen zu finden, die eine Gefahr für unsere hohe medizinische Qualität und fachliche Unabhängigkeit darstellen“, so Engel.
BÄK: Durchaus richtige Akzente
„Der Koalitionsvertrag setzt beim Thema Gesundheit an vielen Stellen durchaus richtige Akzente. Nur beispielhaft genannt seien hier die vorgesehenen Maßnahmen gegen den Ärztemangel, wie die Förderungen von Landärzten und der Ausbau der Strukturfonds. Mit der Förderung der sektorenübergreifenden Versorgung, Neuregelungen bei der Notfallversorgung und der Reform des Medizinstudiums sind wichtige Zukunftsthemen angesprochen. Gut sind auch die vorgesehene weitere Stärkung der Hospiz- und Palliativversorgung, die geplante Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes und der Ausbau des Öffentlichen Gesundheitsdienstes“, so der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery.
„Es ist sehr vernünftig, dass das in den Koalitionsverhandlungen höchst strittige Thema des Vergütungssystems nicht mehr unter Zeitdruck entschieden worden ist“, so Montgomery. Ob die Vorschläge der Kommission, die dazu nun eingesetzt werden soll, umgesetzt werden, so die Koalitionäre, werde danach entschieden. „Damit haben alle Beteiligten die Möglichkeit, sich noch einmal eingehend mit den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für ein modernes Vergütungssystem wie auch den möglichen strukturellen und finanziellen Verwerfungen auseinanderzusetzen. Wir brauchen hier vernünftige Lösungen. Die Ärzteschaft ist bereit, sich in die anstehenden Beratungen konstruktiv einzubringen“, so der BÄK-Präsident.
KBV: Ausharren noch nicht beendet
Der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sieht in einem ersten Statement das Ausharren noch nicht beendet: „Gut Ding will bekanntlich Weile haben. Ich hoffe, dass diese Volksweisheit auch für das Ergebnis der Verhandlungen von CDU/CSU und SPD gilt. Wenn sich jetzt eine Bundesregierung bildet, stehen wir mit unserem Konzept KBV 2020 bereit, die künftigen Herausforderungen im Gesundheitswesen konstruktiv zu begleiten“, sagte Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV.
Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende, Dr. Stephan Hofmeister, erklärte: „Das Ausharren ist allerdings noch nicht beendet. Jetzt sind die SPD-Mitglieder am Zug. Erst danach – wenn dann hoffentlich wirklich Klarheit besteht – ergibt es Sinn, die inhaltlichen Punkte der gesundheitspolitischen Agenda zu bewerten. Wir sind bereit, mit zu gestalten.“ Die Bewertung soll dann, so die KBV, in der Vertreterversammlung erfolgen.
FVDZ: Licht, aber auch viel Schatten
„Der Entwurf des Koalitionsvertrages zeigt Licht, aber auch viel Schatten“, so Harald Schrader, Bundesvorsitzender des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte (FVDZ). „Wir begrüßen, dass die Koalitionsparteien sich rasch um die Neuregelung der zahnärztlichen Ausbildung kümmern wollen. Dies ist längst überfällig und es muss endlich gehandelt werden. Ansonsten bleibt es weiterhin ein Lippenbekenntnis.“ Die Erhöhung der Festzuschüsse für Zahnersatz sei jedoch nicht ausreichend. Nur eine Direktabrechnung mit dem Patienten auf Basis des Kostenerstattungsprinzips sei ein zukunftsfestes Modell, für das sich der FVDZ einsetze.
„Wir sind gesprächsbereit und erörtern gerne, wie das Gesundheitssystem zum Wohle aller reformiert werden kann“, so auch Dr. Peter Bührens, stellvertretender Bundesvorsitzender des FVDZ.
Hartmannbund: Keine Experimente im Honorarsystem
Der Vorsitzende des Hartmannbunds, Dr. Klaus Reinhardt, hat die – dem Vernehmen nach – designierte Gesundheitsministerin Annette Widmann-Mauz zum konstruktiven Dialog über die geplanten Reformvorhaben der neuen Regierung eingeladen. Zugleich betonte Reinhardt den Gestaltungsanspruch der Ärzteschaft.
Mit Blick auf die mögliche Einsetzung einer Kommission zur Angleichung der Ärztehonorare von gesetzlicher und privater Krankenversicherung warnte Reinhardt vor einer fahrlässigen Destabilisierung des Zwei-Säulen-Modells des deutschen Gesundheitswesens: „Wenn wir denn überhaupt über eine Vereinheitlichung der Gebührenordnungen sprechen, dann ausschließlich auf Basis der Vergütung von Einzelleistungen ohne Budget-Obergrenze!“
„Wir sind bereit – im Rahmen angemessener Voraussetzungen – unseren Beitrag zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen des Gesundheitssystems zu leisten“, sagte Reinhardt. Dies setze allerdings voraus, dass die notwendigen Diskussionen über zukunftsfähige Konzepte auf der Basis gegenseitigen Respektes gemeinsam mit den Leistungsträgern des Systems geführt würden und Politik nicht in der Vorstellung lebe, die medizinische Versorgung des Landes ohne die maßgeblichen Akteure der ambulanten und stationären Versorgungsebene gestalten zu können.
GKV-Spitzenverband: Skeptisch bei Honorarangleichung
„Wir begrüßen es, dass die Koalition die Pflege stärken will. Das ist für uns ein wichtiger und richtiger Schritt in der Alten- wie in der Krankenpflege. Wichtig ist, dass die Pflege auch tatsächlich bei den Pflegebedürftigen und den Patienten im Krankenhaus ankommt. Dazu gehört es, auf die Pflegequalität zu achten und zu verhindern, dass durch die Hintertür das Selbstkostendeckungsprinzip wieder eingeführt wird“, so die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Dr. Doris Pfeiffer, zum Koalitionsvertrag.
Man finde es auch richtig, die Vergabe von Terminen bei Fachärzten für gesetzlich Versicherte zu verbessern. „Wir bleiben jedoch skeptisch, dass dies über eine Angleichung der Arzthonorare erreicht werden kann. Daher ist es ein guter Schritt, nun die Machbarkeit einer solchen Entwicklung durch eine Kommission zu untersuchen“, so Pfeiffer.
Viele weitere wichtige Themen greife der Koalitionsvertrag zum Beispiel bei der sektorenübergreifenden Versorgung, bei der Digitalisierung, der Notfallversorgung oder in der Prävention auf. Das alles werde helfen, die Versorgung der Menschen in den kommenden Jahren weiter auszubauen und zu stärken.
„Insgesamt müssen wir auch darauf hinweisen, dass mit den im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen deutlich höhere Kosten verbunden sind. Umso wichtiger ist es daher, dass die Koalition nun auch zeitnah die verabredeten kostendeckenden Beiträge für die gesetzlich versicherten ALG-II-Bezieher einführt“, so Pfeiffer.