Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gibt nicht auf. Er will, dass sein Ministerium auf die Aufnahme von Leistungen in den Katalog der Gesetzlichen Krankenversicherung direkt Einfluss nehmen kann. Scharfe Kritik kommt nicht nur vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Auch die SPD will da nicht mitmachen. Spahn publikumswirksamer Aufhänger dafür war die Liposuktion bei Patienten mit Lipödemen, hier „hängt“ die Entscheidung im G-BA seit rund zehn Jahren.
Im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) konnte er sich mit diesem Versuch, die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen und den G-BA auszuschalten, nicht durchsetzen. Widerstand kam nicht nur aus dem G-BA selbst, von Ärzten und Krankenkassen, auch der Koalitionspartner SPD war damit nicht einverstanden. Jetzt startet sein Haus einen neuen Anlauf.
Für das von Spahn angekündigte Register implantierbarer Medizinprodukte als Folge diverser Skandale und Probleme mit Implantaten in der Medizin hat er für den entsprechenden Gesetzentwurf nun als Anhängsel eine Neuregelung der Methodenbewertung im G-BA erarbeiten lassen. Das sehr aufwendige und oft langwierige Verfahren, bei dem das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz IQWiG, neue medizinische Leistungen auf Antrag von Mitgliedern des G-BA oder nach Gesetzesvorgabe auf ihre Wirksamkeit und wissenschaftliche Evidenz prüft, soll verschlankt werden. So soll die Frist für die Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden durch den G-BA von drei auf zwei Jahre verkürzt werden. Zudem soll das BMG ermächtigt werden, nach Ablauf dieser Frist oder nach ablehnender Entscheidung durch den G-BA, anstelle beziehungsweise entgegen der Entscheidung des G-BA, die Methode in den Leistungskatalog der GKV aufzunehmen.
Kritik aus der Ärzteschaft
„Die vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) angestrebte Kompetenzausweitung bei der Gestaltung des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist nichts anderes als staatlicher Dirigismus in Reinform. Es ist ganz sicher nicht im Interesse der Patientinnen und Patienten, wenn bei der Bewertung neuer Behandlungsmethoden politisches Kalkül vor wissenschaftlicher Evidenz geht. Genau das wird aber mit der vom BMG vorgelegten Neuregelung der Methodenbewertung im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ermöglicht.“ Mit diesen Worten kommentierte Bundesärztekammer-Präsident Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery aktuell vorgelegte ergänzende Regelungen im Referentenentwurf für das Implantateregister-Errichtungsgesetz. „Man kann und sollte über sinnvolle Maßnahmen zur Beschleunigung der Entscheidungen im G-BA sprechen. Die Regelungen führen aber zu einer signifikanten Verschiebung des bisherigen Rollenverständnisses. Das BMG weitet seinen Einfluss auf die Gestaltung des GKV-Leistungskatalogs aus und übernimmt gleich selbst Teile der fachlichen Gestaltung“, warnte Montgomery.
Aushebelung von G-BA-Beschlüssen
In ihrer schriftlichen Stellungnahme zu dem Referentenentwurf weist die Bundesärztekammer darauf hin, dass die Bewertung des Nutzens neuer Methoden ohne die Betrachtung gewisser Mindestzeiträume nicht auskommen kann. Noch gravierender als die Fristverkürzung der Bewertungszeit sei aber die intendierte Aushebelung von G-BA-Beschlüssen, die einer Methode keinen hinreichend belegten Nutzen attestieren. „Wie das BMG zu der Erkenntnis kommen will, dass die Anerkennung des Nutzens nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin doch vertretbar wäre, ist nicht erkennbar“, so die BÄK. Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) hatte Spahns Pläne schon beim TSVG kritisiert. Der KZBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Wolfgang Eßer hatte sich deutlich für den Erhalt der Kompetenzen des G-BA stark gemacht. „Wir erachten es als außerordentlich unglücklich, dass ausgehend von einem Einzelfall grundlegende Prinzipien der Selbstverwaltung und der evidenzbasierten Medizin aufgeweicht werden sollen“, sagte Eßer.
SPD will nicht mitmachen
Aber auch der Koalitionspartner SPD ist gegen Spahns Pläne, sowohl die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar, als auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach lehnen Spahns erneuten Vorstoß, am G-BA vorbei zu entscheiden, klar ab. Man habe nicht die Absicht, am bewährten Verfahren etwas zu ändern, so Lauterbach zum „Handelsblatt“. „Wir wollen das bewährte System in keiner Weise dahingehend verschlechtern, dass der Minister selbst über Kassenleistungen entscheiden kann“, so Lauterbach.
GKV-Spitzenverband gegen Spahn
„Wir wollen, dass neue Leistungen so schnell wie möglich bei den 72 Millionen gesetzlich Versicherten ankommen“, so Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands. „Je schneller, desto besser – so lange die Qualität und die Patientensicherheit dabei nicht auf der Strecke bleiben. Jeder konstruktive Vorschlag, dafür die gesetzlichen Grundlagen zu ändern, wird von uns begrüßt. Aber was jetzt in Form eines Änderungsantrags aus dem Gesundheitsministerium vorliegt, ist ein gewaltiger Schritt auf dem Weg, Qualitätsentscheidungen des gemeinsamen Bundesausschusses durch spontane Ministerentscheidungen zu ersetzen. Egal, wer Minister ist und von welcher Partei er kommt.“ Der G-BA tage öffentlich, die Verfahren seien transparent.
Unparteiische im G-BA üben scharfe Kritik
Auch die Unparteiischen Mitglieder im G-BA kritisieren in ihrer Stellungnahme die geplanten Eingriffe scharf. „Die vorgesehenen Ergänzungen werden abgelehnt, denn mit ihnen ist der Weg in die Beliebigkeit vorprogrammiert. Aus gutem Grund müssen Leistungen der Krankenkassen nach den grundlegenden Anforderungen des SGB V dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechen“, heißt es. „Die geplante Regelung ist keine Methodenbewertung, sondern eine Opportunitätsentscheidung und ein Schritt zurück ins medizinische Mittelalter, denn er ersetzt in der Bundesrepublik Deutschland die mittlerweile sich weltweit sogar in Schwellenländern als Standard durchsetzende evidenzbasierte Medizin durch früher geltende und längst überwunden geglaubte Prinzipien der eminenzbasierten Medizin, die jahrhundertelang Grundlage für unwirksame und gefährliche Anwendungen war.“
Aufwendige Verfahren immer wieder in der Kritik
Die aufwendigen Methodenbewertungsverfahren führen immer wieder zu Kritik an den dort angesetzten Kriterien. Diese seien mitunter weit von der sogenannten Versorgungsrealität entfernt. Auch die Zahnärzteschaft hat damit in den vergangenen Jahren immer wieder auch unerfreuliche Erfahrungen machen müssen. Die vom Gesetzgeber im Präventionsgesetz vorgesehenen zahnärztlichen Leistungen für Null- bis Dreijährige haben zwei Jahre bis zur Umsetzung in die tägliche Praxis gebraucht, da die Kassen bei der Ausarbeitung der für die wirtschaftliche Bewertung notwendigen Leistungsbeschreibungen zum Beispiel für lokale Fluoridierungsmaßnahmen eine Methodenbewertung angestrengt hatten. Hier ist immer wieder der Vorwurf zu hören, dass die Kassenseite im G-BA solche Methodenbewertungen auch anstrengt, um Leistungsausgaben zu reduzieren oder zu vermeiden.
Geforderte höchste Evidenz in der Medizin oft nicht erreichbar
Auch die von der Patientenvertreterseite vor Jahren angestrengte Bewertung adjuvanter Verfahren in der Parodontaltherapie und das Vorgehen des IQWiG dabei rief Kritik hervor. Die vom Institut angelegten Kriterien höchster wissenschaftlicher Evidenz und Studien höchster Evidenzgrade lassen sich in der Medizin und Zahnmedizin aus methodischen, aber auch ethischen Gründen nicht immer erbringen. Daher wird immer wieder die Forderung laut, dass sich die Methodenbewertung stärker an der besten verfügbaren Evidenz orientieren müsse. Angesichts von Spahns Aktionismus in Richtung G-BA wird das Verfahren aber von allen Beteiligten verteidigt. Die jetzt bekannt gewordenen ministerialen Pläne seien bei aller möglichen Kritik kein tauglicher Lösungsansatz für Probleme, so der Tenor der Stellungnahmen und Kommentare. MM