Seit Jahren steht eine Neuregelung des sogenannten Risikostrukturausgleichs (RSA) oder kurz „Morbi-RSA“ zwischen den Krankenkassen in der Gesetzlichen Krankenversicherung an – Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat dazu nun einen Gesetzentwurf vorgelegt. Neben dem neuen RSA stehen mehr Wettbewerb der Kassen und erstmals auch eine gesetzlich vorgeschriebene Frauenquote für die Selbstverwaltung im Entwurf.
Der Entwurf für das „Faire Kassenwahl-Gesetz“ sieht vor, dass künftig nicht nur eine Auswahl von Erkrankungen für den Ausgleich von besonderen Belastungen einer Kasse durch die Morbidität ihrer Versicherten herangezogen werden soll, sondern ein sogenanntes Vollmodell. Berücksichtigt werden soll auch, dass hohe Behandlungskosten nicht nur mit dem Anteil von betagten und hochbetagten Versicherten korrelieren. Zudem soll es regionale Komponenten geben und einen Risikopool. Aus ihm sollen 80 Prozent der Kosten für schwer erkrankte Patienten bezahlt werden, deren Behandlungskosten 100.000 Euro im Jahr übersteigen. Künftig sollen Krankenkassen auch einen Ausgleich für die Inanspruchnahme von Präventions- und Früherkennungsmaßnahmen durch ihre Patienten erhalten.
Maßnahmen gegen „Upcoding“
In der Vergangenheit gab es vonseiten der Krankenkassen immer wieder Manipulationen, um sich einen möglichst hohen RSA zu sichern. Beliebt waren das sogenannte Upcoding, also der Einsatz komplexerer Codierungen von Krankheiten: Entsprechende „Berater“ und „Beratungen“ vermittelten Ärzten, wie sie die Krankheiten der Patienten codieren sollten, damit das für die Kasse möglichst gut passte. Um solche Manipulationen zu verhindern, sieht der BMG-Entwurf eine Reihe von Maßnahmen vor.
Neu geregelt werden soll zudem das Haftungsrecht der Kassen untereinander – Kasseninsolvenzen und Schließungen sollen künftig vom GKV-Spitzenverband übernommen werden und nicht mehr von den Kassenarten getragen werden müssen. Angestrebt wird eine wettbewerbsneutrale Neuordnung. Und auch bei Streitigkeiten der Kassen untereinander, zum Beispiel über ungerechtfertigte Satzungsleistungen oder Werbemaßnahmen, soll es Neuerungen geben.
UWG als Mindeststandard
„Die Verhaltensregeln für den Wettbewerb der Krankenkassen und insbesondere für Werbemaßnahmen werden genauer festgelegt. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) wird als Mindeststandard für verbindlich erklärt. Maßnahmen der Risikoselektion werden untersagt. Bei Werbung muss die Sachinformation im Vordergrund stehen. Die Unterlassungsansprüche und Rechtsschutzmöglichkeiten der Krankenkassen untereinander bei wettbewerbswidrigem Verhalten werden ausgeweitet. Krankenkassen, die sich durch einen Rechtsverstoß eines Konkurrenten benachteiligt sehen, können unabhängig vom Einschreiten der zuständigen Aufsichtsbehörde selbst aktiv werden. Dies gilt künftig etwa auch beim Angebot unzulässiger Satzungsleistungen oder bei RSA-Manipulationen. Für Klagen wird der Rechtsweg zu den mit der Anwendung des UWG erfahrenen Zivilgerichten eröffnemt“, heißt es in der Zusamenfassung des BMG.
Frauenquote für den GKV-SV
„Sprengstoff“ für die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen bergen die vorgesehenen Änderungen beim Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV), die auch die Ehrenamtlichkeit beschränken wollen: „Die Strukturen des GKV-Spitzenverbandes werden modernisiert. Um eine Professionalisierung zu erreichen und die Anbindung an das operative Geschäft der Mitgliedskassen zu unterstützen, wird der Verwaltungsrat künftig nicht mehr aus ehrenamtlichen Vertretern, sondern aus Vorstandsmitgliedern der Krankenkassen gebildet. Darüber hinaus werden verbindliche Quotenregelungen geschaffen, die eine angemessene Repräsentanz von Frauen in den Entscheidungsgremien (Vorstand und Verwaltungsrat) fördern“, heißt es dazu in den Erläuterungen auf der Internetseite des BMG.
Spahn hatte zuletzt auf einer Veranstaltung von Frauen im Gesundheitswesen erklärt, dass er sich durchaus eine Quotenregelung in der Selbstverwaltung vorstellen könne, wenn diese eine angemessene Beteiligung von Frauen in den Gremien nicht selbst bewerkstelligen könne. Entsprechende Forderungen kamen auch von Bundestagsabgeordneten.
„Die vom Minister geplante Entmachtung der sozialen Selbstverwaltung im GKV-Spitzenverband ist unverständlich, unnötig und destruktiv. Sie widerspricht diametral der im Koalitionsvertrag verabredeten Stärkung der Selbstverwaltung und zudem den eigenen Aussagen des Ministers in der Sitzung des Verwaltungsrats in der vergangenen Woche.“ So reagierte der GKV-Spitzenverband auf Spahns Vorschläge. Die Selbstverwaltungspartner stünden nach wie vor bereit für den Dialog mit der Politik. Zuletzt hatte sich der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes auf seiner Sitzung am 19. März 2019 für den Dialog mit der Politik ausgesprochen und für diesen geworben sowie eine entsprechende Erklärung beschlossen.
Widerstand gegen Öffnung regionaler Kassen
Das stärkste öffentliche Echo fanden allerdings Spahns Pläne, regionale Kassen bundesweit zu öffnen – mit dem Argument, so einen faireren Wettbewerb zwischen den Kassen zu schaffen und den Versicherten mehr Wahlfreiheit zu geben. Dazu sollen die Organisationsstrukturen und regionale Begrenhzungen geändert werden. Diese Pläne zielen in erster Linie auf die regional organisierten Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), die in den vergangenen Jahren auch aufgrund ihrer regionalen Strukturen und gesetzlicher Regelungen besonders von den Überschüssen in der Gesetzlichen Krankenversicherung profitiert haben. Während zum Beispiel Franz Knieps für den Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKK) und die Innungskrankenkassen Spahns Pläne begrüßten, kam von den AOKen dazu erwartungsgemäß Widerstand.
Kritik von Laumann
Spahns Parteikollege, der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, wurde auf dem Gesundheitskongress des Westens in Köln deutlich: Diese Idee könne Spahn sich „von der Backe putzen“, zitiert ihn die Ärzte Zeitung. Nicht nur Nordrhein-Westfalen werde dagegenstehen, so Laumann, der sich bereits mit seinen Kolleginnen aus Bayern und Sachsen und dem Gesundheitsminister von Baden-Württemberg abgestimmt und Anfang der Woche gegen Spahns Pläne Stellung bezogen hatte. MM