Dr. Wieland Schinnenburg aus Hamburg ist Zahnarzt, Rechtsanwalt und Politiker: Seit der letzten Bundestagswahl 2017 sitzt er für die FDP als Abgeordneter im Deutschen Bundestag, ist drogenpolitischer Sprecher seiner Fraktion und Mitglied des Gesundheitsausschusses. Was er vom jetzt angekündigten Schutzschirm für Zahnärzte hält, welche Hilfen nötig wären und wie er als Liberaler die jetzigen Einschränkungen bewertet, sagt er im Interview mit Quintessence News.
Beim ersten finanziellen Schutzschirm für Krankenhäuser und Ärzte waren die Zahnärzte nicht dabei, trotz intensivem Einsatz der Standespolitik. Gab es dafür gegenüber den Gesundheitspolitikern im Bundestag eine Begründung?
Dr. Wieland Schinnenburg: Nein. Ich habe selbst Minister Spahn in zwei Sitzungen des Ausschusses für Gesundheit darauf hingewiesen, dass Physiotherapeuten, Logopäden, Hebammen und eben Zahnärzte in das Krankenhausentlastungsgesetz aufgenommen werden sollten. Eine plausible Begründung für die Nichtaufnahme gab es nicht.
Nun hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn doch noch eine Verordnung angekündigt, die Zahnärzte und Heilmittelerbringer wie Physiotherapeuten auch unter eine Art finanziellen Schutzschirm zumindest im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung nehmen soll. Hatten Sie das so erwartet?
Schinnenburg: Ich hatte schon gehofft, dass wiederholtes Nachfragen zur Einsicht führt. Ich wollte halt eine Gleichbehandlung erreichen.
Sie haben die jetzt vorgesehenen Maßnahmen mit Blick auf die Zahnärzte als „Schutzschirmchen“ bezeichnet. Warum?
Schinnenburg: Im Ergebnis tragen die Zahnärzte ca. 85 Prozent der durch Corona bedingten Einnahmeausfälle selber. Das ergibt sich aus Folgendem: Es werden nur ca. 50 Prozent der Einnahmen einer typischen Zahnarztpraxis überhaupt nur berücksichtigt. Nicht erfasst werden Leistungen im Bereich Zahnersatz oder Zuzahlungen der Patienten zum Beispiel für Füllungen. Und von diesen 50 Prozent werden im Ergebnis nur 30 Prozent der Ausfälle ersetzt. Das ergibt eine Ersetzung von ca. 15 Prozent.
Was wäre aus Ihrer Sicht als FDP-Politiker besser zu machen?
Schinnenburg: Meines Erachtens hätte man einfach die Zahnärzte so behandeln sollen wie die Ärzte.
Zahnärzte beziehen im Mittel fast die Hälfte ihres Honorarumsatzes aus Selbstzahlerleistungen der Kassenpatienten und Privatliquidationen. Der Punktwert in der GOZ ist seit 1988 unverändert – wäre die Erhöhung des GOZ-Punktwerts ein Ansatzpunkt, um die jetzt eintretenden Einnahmeverluste zumindest zu einem Teil auf längere Sicht auszugleichen?
Schinnenburg: Eine Erhöhung des Punktwertes der GOZ ist auch ohne Corona überfällig: Sagen Sie mal einem deutschen Angestellten, er solle für das Gehalt von 1988 zuzüglich ca. 7 Prozent arbeiten … Wenn die schreckliche Coronakrise jetzt den Anstoß gibt, würde ich mich freuen.
Immerhin sollen, soweit bislang bekannt ist, bei den Zahnärzten das Kurzarbeitergeld und die Soforthilfen nicht auf die Bonuszahlung angerechnet werden. Sie sind selbst Zahnarzt und haben eine eigene Praxis geführt, als Rechtsanwalt und Mediator haben Sie viele Praxen betreut. Was würden Sie Ihren Kollegen jetzt raten, was die Inanspruchnahme dieser Leistungen angeht?
Schinnenburg: Sie sollten alle angebotenen Hilfen in Anspruch nehmen, schließlich geht es um die berufliche Existenz – und um die Erhaltung von bewährten Strukturen zur Versorgung der Bevölkerung. Als Mediator setze ich hinzu: Sie müssen in der Praxis und zu Hause mit mehr Aggressionen rechnen. Versuchen Sie, gelassen zu bleiben, und nehmen Sie zur Not professionelle Hilfe in Anspruch.
„Das Rettungsschirmchen von Minister Spahn reicht jedenfalls nicht“
Die wirtschaftlichen Verluste durch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen treffen ja alle Selbstständigen und Freien Berufe derzeit. Reichen die jetzt bereitgestellten Mittel aus Ihrer Sicht aus und was muss nach dem Ende des Pandemiefalls passieren, um gerade diese beiden Gruppen zu stärken?
Schinnenburg: Das Rettungsschirmchen von Minister Spahn reicht jedenfalls nicht. Wir brauchen dringend eine Entlastung dieser beiden Gruppen, diese sind nicht nur im Gesundheitswesen ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft. Nur zwei Vorschläge: Verringerung der enormen Abgabenlast, zum Beispiel durch vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlages, und Verringerung der Bürokratielast: Zahnärzte sollen behandeln und nicht Formulare ausfüllen.
Dr. Wieland Schinnenburg studierte Zahnmedizin und Jura und war bis Ende 2017 als Zahnarzt in eigener Praxis in Schleswig-Holstein tätig. Parallel arbeitete er als Rechtsanwalt und Mediator in Hamburg und ist in diesem Bereich weiter aktiv.
Schinnenburg ist FDP-Mitglied und war unter anderem Vizepräsident der Hamburgischen Bürgerschaft. Seit der Bundestagswahl 2017 ist er Mitglied des Deutschen Bundestags. Er ist Mitglied des Gesundheits- und des Rechtsausschusses und Drogenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Foto: Burgis Wehry/Schinnenburg
Sie sind Mitglied des Gesundheitsausschusses. Immer wieder ist zu hören und zu lesen, dass nach der Corona-Krise Konsequenzen aus den erkennbaren Problemen des deutschen Gesundheitssystems geben muss, zum Beispiel was die rein ökonomische Orientierung und die Stellung und Bezahlung der Pflegekräfte und Mitarbeiter im Gesundheitswesen angeht. „Gesundheit ist keine Ware“, hört man oft. Was steht aus Ihrer Sicht hier für Sie und die FDP ganz oben auf der Agenda?
Schinnenburg: Solche Sprüche wie „rein ökonomische Orientierung“ des Gesundheitswesens treiben bei mir den Blutdruck. Natürlich möchte jeder für seine Arbeit bezahlt werden und Investitionen müssen sich rechnen. Dies geht meist besser in privaten Strukturen, nicht ohne Grund wurden staatliche Krankenhäuser angesichts katastrophaler wirtschaftlicher Daten privatisiert. Dies hat auch noch einen weiteren Vorteil: Der Staat kann objektiver kontrollieren, wenn er nicht selbst Marktteilnehmer ist.
Ein ganz wesentlicher Ansatz ist eine Verringerung der verbreiteten Misstrauenskultur. Der böse Weißkittel wird angefeindet, unabhängig davon, ob der staatlich oder privat arbeitet. Übrigens: Das angeblich so schlechte weitgehend private deutsche Gesundheitswesen schlägt sich in der Coronakrise offenbar deutlich besser als das staatliche britische.
Aus der Zahnärzteschaft und von Praxismitarbeitern wurde in den vergangenen Wochen immer wieder öffentlich gefordert, die Zahnarztpraxen wegen der besonderen Exposition von Behandler und Team bei der Behandlung ganz zu schließen. Baden-Württemberg hat kurz vor Ostern sogar eine Rechtsverordnung erlassen, die Zahnärzten nur noch Notfallbehandlungen erlaubt – und wird sie nun wohl nach Protesten auch aus der Zahnärzteschaft wieder zurücknehmen, wie es heißt. Wie sehen Sie diese Forderungen nach Praxisschließungen?
Schinnenburg: Das halte ich für keine gute Idee: Zum einen besteht ein Sicherstellungsauftrag und eine Pflicht von Vertragszahnärzten, an der Versorgung teilzunehmen. Zum anderen gibt es meiner Meinung nach dazu auch keinen Bedarf: Seit vielen Jahren herrscht in Zahnarztpraxen ein strenges Hygienemanagement.
„Wir müssen schnell dahin kommen, dass diese eher groben Maßnahmen von gezielten abgelöst werden“
Sie sind seit vielen Jahren aktives FDP-Mitglied und bekennender Liberaler. Wie gehen Sie mit den aktuellen Einschränkungen der persönlichen Freiheiten um?
Schinnenburg: Ja, das tut weh. Als ich den ersten Entwurf für die Änderung des Infektionsschutzgesetzes sah, war ich schockiert: Dieser enthielt unter anderem Dienstverpflichtungen für Ärzte und weitgehende Überwachungen der Telekommunikation. Das war völlig inakzeptabel. Zum Glück konnten die schlimmsten Punkte herausverhandelt werden und die meisten der verbliebenen sind bis 31. März 2021 befristet.
In einem Rechtsstaat müssen sich alle Einschränkungen immer am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen lassen. Das bedeutet, dass nur unverzichtbare Einschränkungen zur Abwehr von Gefahren zulässig sind. Als erste Reaktion auf die Gefahr durch Corona wurden enorm weitgehende, wenig spezifische Einschränkungen vorgenommen. Wir müssen schnell dahin kommen, dass diese eher groben Maßnahmen von gezielten abgelöst werden: Es geht um den Schutz von besonders gefährdeten Gruppen und um eine genaue Erfassung der Infektionswege und darauf aufbauend deren gezielte Unterbrechung.
Die Fragen stellte Dr. Marion Marschall, Chefredakteurin Quintessence News.