Ausgerechnet die deutschen Hauptstadt Berlin war Mitte Oktober Ziel von Gesundheitsexperten aus der ganzen Welt – zumindest für eine gute Woche: Politiker, Forscher, Kliniker und eine große Zahl von Spezialisten trafen sich zum World Health Summit, einem Kongress, der ganz im Zeichen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stand.
Im Mittelpunkt dieses einzigartigen Ereignisses, das Berlin in den Fokus des weltweiten Interesses stellte (mit Ausnahme des Gastgeberlands, wo der Kongress wenig Aufmerksamkeit fand), standen die Visionen für eine neue Gesundheitspolitik von Morgen und nicht weniger ambitioniert die Lösung der dringlichsten Probleme im Gesundheitswesen. Dazu zählten die Lehren, die aus der immer noch nicht ganz überwundenen Corona-Pandemie gezogen werden müssen.
Worten sollten Taten folgen
Vor dem Hintergrund großer Ungleichheiten bei der medizinischen Versorgung, die gerade im Zusammenhang mit Corona besonders deutlich sichtbar wurden und sich wieder einmal als extrem nachteilig herausstellten, darf man sich sehr wohl fragen, warum man sich nicht schon viel früher mit diesen Fragestellungen eingehend beschäftigt hat, denn so neu sind diese Erkenntnisse wahrlich nicht! Immerhin hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der die Eröffnungsrede hielt, eine bessere Vernetzung der weltweiten Gesundheitspolitik und mehr Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg angeregt. „Es braucht einen Austausch zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen und auch zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft“, so Scholz bei seinen Ausführungen am ersten Kongresstag. Wohl hören wir die Worte gerne, doch noch lieber wäre es uns, wenn den Worten aus Politikermund auch Taten folgen würden.
Bessere Vernetzung als Grundlage für Problemlösungen
Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, ging noch einen Schritt weiter und wies dabei sehr dezidiert auf die zersplitterte und uneinheitliche globale Gesundheitsarchitektur hin, was besonders durch die Corona-Pandemie für jeden sichtbar offengelegt wurde. Eine bessere Vernetzung der Systeme untereinander zu schaffen, die eine schnellere und effektivere Antwort verspricht, war dementsprechend die Vorgabe der Veranstaltung, die damit Ansätze zur Lösung dieser Probleme finden sollte.
Fundierte Aufarbeitung des Umgangs mit der Pandemie
Schnell ist der Vorwurf erhoben, dass bei einem Kongress dieser Größenordnung gar keine Ergebnisse erwartet werden können und es in der Regel bei einer Fülle von Absichtserklärungen bleibt. Doch dieser Vorwurf greift zu kurz: Bei der Vielzahl an anwesenden Spezialisten und der Vielzahl von offenen Fragen ist es von vornherein klar, dass keine schnellen Antworten zu erwarten sind. Realistischer und damit durchaus sachdienlich sind eine fundierte Aufarbeitung und internationale Abgleichung der Erfahrungen im Umgang mit der Pandemie.
Neue Allianzen für die Zusammenarbeit von morgen
Die Hauptreden und die unterschiedlichen, mit Spezialisten und mit viel Prominenz besetzte Foren waren das eine im Programm, die Vielzahl der Gespräche, Talkrunden und persönlichen Kontakte waren der andere und wohl noch viel wichtigere Teil der Tagung. Hier entstehen die neuen Allianzen für die Zusammenarbeit von morgen! Auffallend war, dass sehr viele junge Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den unterschiedlichsten Ländern, darunter nicht wenige, die wir zu den Entwicklungsländern zählen, nach Berlin gekommen sind. Dabei wurde die Veranstaltung gleichzeitig als Plattform genutzt, viele junge Wissenschaftlerinnen mit Preisen und Auszeichnungen für Forschungsergebnisse zu ehren.
Doch damit nicht genug: im Zusammenhang mit solch einem Kongress standen eine Fülle weiterer Begleitveranstaltungen, Seminare, Expertentreffen, Hearings – auch der G-7-Gipfel der Gesundheitsminister kam im Tagungshotel unter. Allein von deutscher Seite fanden zwei Veranstaltungen besondere Beachtung: die Tagung der Glohra –The German Alliance for Global Health Research. In diesem Rahmen geht es um die Förderung des Austauschs und um die Schaffung neuer Mechanismen der Zusammenarbeit zwischen Institutionen, verschiedenen Disziplinen, Sektoren und Ländern.
Partnerprogramme mit Zahnmedizin
Die zweite Veranstaltungsreihe bestritten die „Hospital Partners“, das Förderprogramm „Klinikpartnerschaften – Partner stärken Gesundheit“ der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Damit wird die Kooperationen zwischen deutschen Kliniken, Universitäten, Hochschulen und Nichtregierungsorganisationen in Deutschland gemeinsam mit denen in den entsprechenden Partnerländern unterstützt. Die Klinikpartner sind weltweit in allen medizinischen Fachbereichen aktiv. An Bord dieses Programms sind das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und die Else Kröner-Fresenius-Stiftung (EKFS).
Und hier endlich finden sich die einzigen Beiträge aus der Zahnmedizin! Während es weder im Hauptprogramm noch in der Rednerliste irgendwelche Hinweise auf die Mundgesundheit gab, waren hier gleich mehrere Organisationen vertreten, die Oral Health in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellten. Von deutscher Seite das Hilfswerk DIANO, Dental International Aid Networking Organisation, das mit dem implizierten Grundsatz des Netzwerkens sehr gut in die Veranstaltung passte, wie auch die Dental Schools aus Haiti und Jamaika.
Oral Health fehlte auf der internationalen Bühne
Ob es von Vorteil ist, sich auf der großen Bühne klein zu machen und keinerlei Präsenz zu zeigen, darf zumindest in Zweifel gezogen werden. Es gibt gute Gründe, Oral Health auf internationaler Bühne von der bisherigen Rolle als Randnotiz stärker in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken, etwa im Rahmen der Diskussion um die nichtübertragbaren Krankheiten/Noncommunicable diseases und damit den Fachbereich stärker in die ihm zustehende Aufmerksamkeit zu rücken.
Keine offizielle Vertretung des Fachgebiets Zahnmedizin
Leider besteht offensichtlich keinen Konsens darüber, dass dringender Bedarf besteht, das Fachgebiet so aufzustellen, dass es über eine Vertretung verfügt, die in solche Gremien entsendet werden kann. So blieb es dem Zufall überlassen, dass ein Landzahnarzt aus einer reizvollen Urlaubsregion Deutschlands und zwei Professoren aus der Karibik, die eher für ihre reichhaltige Folklore bekannt ist, als dass sie das Zentrum der fachlichen Kernkompetenz des Fachbereichs darstellt, die Zahnheilkunde auf diesem mitunter höchsten gesundheitspolitischen Podium vertreten durften. Für sich genommen darf dieser Umstand durchaus als Ansage verstanden werden.
Zahnmediziner aus Baden-Württemberg, Haiti und Jamaica
Die anwesenden Vertreter des Fachbereichs nahmen ihre Aufgabe dafür sehr ernst, vor allem Christina Lafontand, Vizedekanin der Universität von Port au Prince Haiti war ein gefragter Gast für Interviews vor Kameras und konnte ihr Anliegen gut herüberbringen. Genauso wie Irving McKenzie, National Oral Surgeon von Jamaika und Leiter des College of Oral Health Sciences, University of Technology, Kingston/Jamaica, der schon von Haus aus bestens aufgestellt ist als Vertreter der Public (Oral) Health. Aufgrund der enormen Fülle der diskutierten Themen konzentrierte man sich auf zwei Themen: Diabetes and Oral Health sowie Maternity and Oral Health – zwei Schwerpunkte, die enorm wichtig sind.
Unkomplizierter Kontakt mit allen Teilnehmern
Gerade im Rahmen des World Health Summits wäre sicherlich der eine oder andere Effekt denkbar gewesen, zumal es völlig unkompliziert war, mit allen Teilnehmern in Kontakt zu kommen. Und „alle“ heißt wirklich „alle“ – selbst der WHO-Vorsitzende war sich nicht zu schade, mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern von überall Selfies zu machen. Nun gut, für die Politiker aus der ersten Reihe galt dies wohl nicht unbedingt in gleichem Umfang, zumal bei diesem Kongress sehr hohe Sicherheitsstandards galten. Nicht jeder Teilnehmer war es gewohnt, einen Kongress durch Sicherheitsschleusen betreten zu müssen und von der Polizei vor Demonstranten geschützt werden zu müssen. Leider waren dies die Bilder, die als Eindrücke vom Kongress um die Welt gingen und entsprechend hängen blieben: Klimaaktivisten, die sich an die Eingangstüren geklebt hatten und mühsam entfernt werden mussten.
Zeit ist reif für eine Oral Health Agenda
Wie dem auch sei, die Zeit dürfte reif sein für eine neue „Oral Health Agenda“, eine geschicktere Positionierung und eine kompetente Vertretung auf oberster Ebene. Erste Ansätze gab es bereits, genauso wie viele Ermunterungen: „Wenn ihr nicht selbst aktiv werdet, passiert nichts!“ diese Botschaft gab es vom Kongress gratis ins Stammbuch!
n der Tat muss die Initiative aus dem Fachbereich kommen, von dritter Seite ist dies nicht zu erwarten. Wenn allerdings fundierte Ergebnisse auf dem Tisch liegen, werden diese gerne aufgenommen. Über die Wichtigkeit unseres Fachbereichs muss nicht neu befunden werden, es muss nur jemand in die Hand nehmen! „Call for Action“ nennt sich dies im Jargon des „political business“!
ZA Tobias Bauer, Singen
OffizielleVideos vom WHS und den Diskussionen sind auf Youtube eingestellt.