Die Europäische Union hat vor einem Jahr die Regelungen für Medizinprodukte verschärft, die neue Medical Device Regulation (MDR) soll Patienten besser vor fehlerhaften oder risikobehafteten Medizinprodukten schützen. Ihre Umsetzung bedeutet für die Hersteller und Anbieter von Medizinprodukten allerdings eine Flut neuer Bürokratie und viel Unsicherheit, da wichtige Bestandteile der MDR noch nicht vorhanden oder geklärt sind.
Vor kurzem haben daher die Medizintechnikhersteller die Politik aufgefordert, in Sachen Medical Device Regulation (MDR) tätig zu werden, und eine Fülle von Umsetzungsproblemen und fehlender Unterstützung beklagt. Auch der Verband der Deutschen Dental-Industrie (VDDI) gehörte zu den Unterzeichnern des Papiers. Dr. Markus Heibach, Geschäftsführer des VDDI und der Gesellschaft zur Förderung der Dental-Industrie (GFDI), erläutert im Interview mit Quintessence News, welche Auswirkungen die Probleme mit der MDR auf die Dentalunternehmen haben – und damit auch auf die Praxen, Labore und am Ende die Versorgung der Patienten.
Herr Dr. Heibach, Sie haben mit dem VDDI eine gemeinsame Pressemeldung und Aufforderung der Medizintechnikverbände an die Politik zur neuen Medical Device Regulation (MDR) unterzeichnet, die jetzt seit einem Jahr in Kraft ist. Welches sind die Hauptkritikpunkte an der neuen Richtlinie aus Sicht der Dentalunternehmen?
Dr. Markus Heibach: Vor einem Jahr ist die Europäische Verordnung über Medizinprodukte (MDR) in Kraft getreten. Bis zur Anwendung der Vorschriften verbleiben nun noch zwei Jahre. Alle Beteiligten, insbesondere die Hersteller, sind intensiv damit befasst, sich den neuen Anforderungen zu stellen.
Trotz aller Bemühungen hat die EU-Kommission bis heute jedoch einige notwendige Grundvoraussetzungen für die Anwendung der neuen Vorschriften noch nicht umgesetzt. Dazu gehört unter anderem die neue Datenbank „Eudamed“ – auch wenn die Arbeiten nach Informationen der EU-Kommission im Plan sind –, die delegierten und Durchführungsrechtsakte, von denen insgesamt 17 erlassen werden müssen, die Erarbeitung von Harmonisierten Standards und Gemeinsamen Spezifikationen sowie ganz besonders die Akkreditierung der „Benannten Stellen“.
Es bleibt für die Öffentlichkeit und uns als unmittelbar Betroffene weiterhin unklar, wie viele dieser Benannten Stellen sich überhaupt beworben haben und wann die Benennung durch die nationalen Behörden erfolgt. Hier läuft unseren Industrieherstellern die Zeit weg.
Kleinere Unternehmen kommen an ihre Grenzen
Wie kommen kleinere Unternehmen mit den Anforderungen zurecht? Es müssen ja auch für Produkte, die schon seit langem auf dem Markt sind, jetzt neue Auflagen erfüllt werden.
Heibach: Alle Unternehmen, ob groß oder klein, müssen ihre internen Prozesse und Abläufe an die neuen Anforderungen angleichen. In erster Linie wird ein erheblicher zusätzlicher bürokratischer Aufwand erforderlich werden, der nur mit zusätzlichem Personal zu bewältigen sein wird.
Als Beispiel sei nur die Anforderungen an die Klinische Bewertung genannt: Hersteller müssen neben dem Plan für die Klinische Bewertung einen ergänzenden Klinischen Bewertungsbericht als Teil der Technischen Dokumentation erstellen. Darüber hinaus wird der Plan zur Klinischen Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen und der Bewertungsbericht über die Nachbeobachtung verpflichtend. Die Technische Dokumentation verlangt fünf weitere regelmäßige Berichte. Hinzu kommen die Anforderungen an UDI und die Datenbank Eudamed. Gerade kleinere Unternehmen werden das wohl nicht mehr bewältigen können.
Neue Unternehmen finden keine Benannten Stellen
Eine ganze Reihe von kleineren und vor allem neuen Herstellern am Markt steht schon heute vor der großen Herausforderung, überhaupt eine Benannte Stellen zu finden, die noch Neukunden aufnehmen können. Die meisten Benannten Stellen sind überlaufen und können in einem sehr komplizierten Rechtsbereich wie dem Medizinprodukterecht nicht von heute auf morgen neue qualifizierte Mitarbeiter gewinnen.
Hersteller laufen daher Gefahr, lange Wartezeiten in Kauf nehmen zu müssen, bevor sie die notwendigen Zertifizierungen erlangen. Ohne die Zertifizierungen dürfen sie ihre Produkte nicht in Verkehr bringen.
IDS in Köln – Auch Händler und Importeure betroffen
Die Internationale Dental-Schau ist die internationale Leitmesse für die Dentalbranche, hier wollen Unternehmen aus aller Welt ihre Innovationen zeigen und verkaufen. Aber ohne Zulassung nach MDR gibt es für die Produkte keinen Zugang zum europäischen und deutschen Markt – wie reagieren gerade die internationalen Aussteller auf die verschärften Vorgaben und Auflagen der MDR?
Heibach: Ausländische Aussteller müssen grundsätzlich alle geltenden Bestimmungen ihres jeweiligen Ziellandes erfüllen und einhalten. Wenn sie Produkte auf der Ausstellung zeigen wollen, die nicht den europäischen Standards entsprechen, müssen sie diese mit deutlichen Hinweisen kennzeichnen.
Eine neue Besonderheit gibt es allerdings: In Artikel 13 sind die allgemeinen Pflichten der Importeure aufgeführt. Neben ähnlichen Prüfungen, wie sie für die Händler beschrieben sind, und den Meldepflichten gegenüber Herstellern und Behörden, obliegen den Importeuren noch zusätzliche Pflichten zur Registrierung und zur Kennzeichnung der Produkte.
Hersteller müssen viele Pflichten und Verantwortungen für ihre Produkte tragen. Neben den bereits erwähnten Dokumentationspflichten oder Registrierung gehört auch eine Absicherung gegen Forderungen aus Haftungsfällen. In Artikel 16 sind alle die Tätigkeiten aufgezeichnet, die dazu führen, dass die Pflichten eines Herstellers auch für Händler oder Importeure gelten. Jeder muss sein Portfolio sorgfältig prüfen, ob diese Kriterien auf ihn zutreffen. So kann zum Beispiel die Übersetzung einer Gebrauchsanweisung in die Landessprache bedeuten, dass wieder eigene Anforderungen an das Qualitätsmanagementsystem und zusätzliche Kennzeichnungspflichtenentstehen.
Unternehmen fordern längere Übergangsfristen
Was muss aus Sicht der Medizinproduktehersteller und der im VDDI zusammengeschlossenen Unternehmen unbedingt und rasch geschehen, um die Innovationskraft, Wettbewerbsfähigkeit und vielleicht auch Existenz der Unternehmen in Zukunft zu gewährleisten?
Heibach: Unserer Ansicht nach sind die Übergangsfristen für die Mitgliedsunternehmen der Medizinprodukteherstellerverbände zu knapp gehalten. Für unsere Medizinproduktehersteller läuft die Frist in zwei Jahren aus. Die Verbände fordern daher nachdrücklich kurzfristige Konsultationen auf EU-Ebene zur Lösung dieses Problems.
Wenn das nicht gelingen sollte, dann könnten viele Hersteller ab diesem Zeitpunkt Schwierigkeiten mit der Vermarktung ihrer Produkte bekommen. Das würde unweigerlich zu wirtschaftlichen Einbußen und unter Umständen sogar zur Gefährdung der gesamten Geschäftstätigkeit führen. Zum Beispiel würden Innovationen nicht mehr in den Markt gelangen und Produkte nicht mehr bei den Anwendern und damit beim Patienten ankommen.