Die neue Medizinprodukte-Verordnung (MDR) der Europäischen Union (EU) erhält schlechte Noten von der Medtech-Branche: zu bürokratisch, innovationshemmend, ungenügend auf technologischen Fortschritt ausgerichtet. Das berichtet der Schweizer Verband der Medizintechnik-Unternehmen Swiss Medtech von seiner MDR-Konferenz.
Die EU versucht mit Handlungsempfehlungen aus der schwierigen Situation herauszukommen. Das reicht bei weitem nicht, sind sich Repräsentanten der Medtech-Industrie einig. Deutschland engagiert sich stark für Verbesserungen. Das Vereinigte Königreich (UK), seit Anfang 2020 nicht mehr Mitglied der EU, arbeitet an eigenen Regularien.
Für die Schweizer Medtech-Industrie ist die EU die wichtigste Handelspartnerin und ein funktionierendes MDR-System daher zentral. Swiss Medtech vertritt allerdings die Position, dass die Schweiz für ihre Versorgung nicht allein auf das MDR-System abstützen, sondern ihren Handlungsspielraum verbessern und zusätzlich das System der U.S. Food & Drug Administration (FDA) nutzen sollte.
Tagung in Bern für die Branche wichtig
Die MDR-Konferenz von Swiss Medtech, die seit Jahren mehr als 400 Vertreterinnen und Vertreter der Medizintechnikindustrie aus dem In- und Ausland nach Bern bringt, beschäftigt sich mit der Regulierung von Medizinprodukten. Was für den Laien langweilig tönt, ist für die Branche und die Gesundheitsversorgung höchst relevant.
MDR-Probleme manifestieren sich: erst 15 Prozent rezertifiziert
Fünf Jahre nach Inkrafttreten der neuen europäischen Medizinprodukte-Verordnung (MDR) manifestieren sich allmählich die damit verbundenen Probleme. Eine im Juni 2022 veröffentlichte repräsentative Umfrage des europäischen Dachverbands MedTech Europe zeigt: Von den mehr als 500.000 nach den bisherigen Richtlinien (MDD) registrierten Medizinprodukten sind erst 15 Prozent rezertifiziert worden, so wie es die neue Verordnung (MDR) vorschreibt. Für 85 Prozent der Medizinprodukte konnte noch kein Zertifikat ausgestellt werden. Dies mangels ausreichender Kapazitäten bei den Zertifizierungsstellen (Benannte Stellen).
EU-Mitglied Deutschland will den Regulierungsschwächen entgegenwirken
Die EU versucht mit Handlungsempfehlungen aus dieser Situation herauszukommen. Ende August 2022 veröffentlichte die europäische Koordinationsgruppe für Medizinprodukte (MDCG) ein Dokument mit Maßnahmen zur Verbesserung der MDR-Umsetzung. „Das Papier enthält wertvolle Ansätze. Sie reichen aber nicht, um die lückenlose Patientenversorgung in Europa sicherzustellen. Wir brauchen substanzielle pragmatische Lösungen, damit die Implementierung der MDR noch gelingen kann“, ist Dr. Marc-Pierre Möll, Geschäftsführer des deutschen Medizintechnologie-Verbands BVMed und Gastredner, überzeugt.
Innovationsstau in der Branche
Die Kapazitätsengpässe bei der MDR-Implementierung gefährden nach Ansicht des BVMed-Geschäftsführers nicht nur die Sicherstellung der Patientenversorgung, sondern führt darüber hinaus zu einem Innovationsstau in der Branche und Attraktivitätsverlust des europäischen Medtech-Standorts. «Das EU-System verliert deutlich an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem FDA-System», so Möll. Die Zahlen sprechen für sich: 50 Prozent der europaweit befragten Unternehmen geben heute einer FDA-Zulassung gegenüber einer MDR-Marktfähigkeit den Vorrang. «Die Verlagerung wirft uns in der Qualität der Versorgung um Jahre zurück».
Das Vereinigte Königreich setzt auf eigene Regularien
Über die bisherigen Entwicklungen nach dem Brexit informierte Phil Brown vom Verband der britischen Healthcare-Industrie (ABHI). Seit dem 1. Februar 2020 ist Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU. Deshalb müssen neu alle Medizinprodukte, die im United Kingdom in Verkehr gebracht werden, bei der britischen Regulierungsbehörde für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte (MHRA) registriert werden und ab dem 1. Juli 2023 ein sogenanntes UKCA-Zeichen haben. Als Nicht-EU-Mitglied setzt UK auf eigene Regularien. Phil Brown betont „Die Erarbeitung der Regularien steht unter der Vorgabe, dass das UK ein attraktiver Medtech- und Forschungsstandort sein soll. Wir richten uns global aus und wollen von den besten Systemen lernen. Dies mit Blick auf die Versorgungssicherheit, die Forschung und das Unternehmertum sowie wirtschaftliche Aspekte.“
Was die Schweiz aus der aktuellen Situation lernen kann
„In Anbetracht der mit dem Drittland-Status und der MDR verbunden Unsicherheiten und Einschränkungen, sollte die Schweiz zur Versorgungssicherung ihrer eigenen Bevölkerung, nebst Medizinprodukten mit einem EU-Zertifikat, auch Medizinprodukte mit einer FDA-Zulassung anerkennen“, sagt Swiss-Medtech-Direktor Peter Biedermann. Zwei sogenannte Motionen (parlamentarische Vorstoß, der die Regierung zum Handeln beauftragt, Anm. d. Red.), die ebendies vom Bundesrat fordern, befinden sich in parlamentarischer Beratung. Eine der beiden Motionen wird dieser Tage in der zuständigen nationalen Gesundheitskommission behandelt.
«Wir hoffen auf einen weitsichtigen Entscheid der Politik“. An der politischen Forderung, mit der Aktualisierung des MRA den direkten Zugang zum EU-Binnenmarkt wieder herzustellen, hält Swiss Medtech unverändert und nachdrücklich fest. Der Verband wird sich weiterhin mit ungebrochenem Engagement mit Partnern dafür einsetzen, dass die Beziehung der Schweiz mit der EU auf eine solide und dauerhafte Grundlage gestellt wird.
Swiss Medtech
Swiss Medtech vertritt als Branchenverband der Schweizer Medizintechnik mehr als 700 Mitglieder, darunter auch viele bekannte Dentalunternehmen. Mit 67.500 Beschäftigten und einem Beitrag von 11,5 Prozent zur positiven Handelsbilanz der Schweiz ist die Medizintechnik eine volkswirtschaftlich bedeutende Branche. Swiss Medtech tritt ein für ein Umfeld, in welchem die Medizintechnik Spitzenleistungen zugunsten einer erstklassigen medizinischen Versorgung erbringen kann.