„Per App zum Zahnarzt“ – mit diesem Werbeslogan wirbt die zweitgrößte deutsche gesetzliche Krankenkasse Barmer für ihr neues Angebot, die „Dentinostic“-App (Quintessence News berichtete am 12. August 2024). Inzwischen gibt es weitere Informationen zur App. Diese stehe grundsätzlich allen interessierten Zahnärztinnen und Zahnärzten zur Verfügung. Diese könnten die App als zusätzliche, verlässliche Plattform für Telemedizin nutzen.
Auf der neuen Informationsseite für Zahnärztinnen und Zahnärzte gibt es nun Antworten auf die meisten Fragen rund um die App. Der Verdacht, dass ein Zahnarzt-Pool des Anbieters die von den Patientinnen und Patienten eingestellten Daten bearbeitet, wird dort entkräftet: „Dentinostic ist eine Service-Plattform für Patienten und Zahnärzte, die unter anderem eine Patienten-App bereitstellt, mit der Bildaufnahmen und Anamnesedaten zur weiteren Befundung übermittelt werden können. Die Befundung erfolgt asynchron durch den behandelnden Zahnarzt. Dentinostic selbst ist kein Gesundheitsdienstleister, insbesondere kein Zahnarzt, kein MVZ und keine Apotheke.“
Neutrale technologische Plattform
Dr. Tina Mandel, die Entwicklerin dieser App, erklärt die Idee dahinter gegenüber „Quintessence News“ so: „Ziel ist es, eine neutrale technologische Plattform anzubieten, die Zahnärzte und Patienten verbindet, ohne selbst als zahnärztlicher Leistungserbringer aufzutreten. Dies bedeutet, dass Dentinostic keine eigene Zahnarztpraxis betreibt, sondern eine Plattform zur Verfügung stellt, über die approbierte und niedergelassene (Kassensitz) Zahnärzte ihre Leistungen erbringen können. In diesem Kontext kommt der Behandlungsvertrag zwischen Zahnarzt und Patient zustande. Damit versteht dentinostic sich nicht als Konkurrenz zu Zahnarztpraxen, sondern als Ergänzung des bestehenden Versorgungsangebots.“
Zugang ermöglichen, wo er schwierig
Mandel weiter: „Ein Mehrwert von dentinostic ist es, zahnmedizinische Versorgung dort zu ermöglichen, wo der Zugang bisher schwierig ist – zum Beispiel für Angstpatienten, bei Zeitmangel (50 Prozent der Fälle werden am Wochenende eingereicht), unter Umständen aus dem Urlaub, und auch bei pflegebedürftigen oder immobilen Patienten. Durch die Nutzung unserer Plattform können Zahnärzte ihre Expertise zeitungebunden einbringen, während Patienten einen niedrigschwelligen Zugang zur zahnmedizinischen Ersteinschätzung erhalten.“ Dieses Modell stelle sicher, dass die Qualität durch qualifizierte Zahnärzte gewährleistet werde.
Gute Genauigkeit im Test bei Pflegebedürftigen
In einem Pilotprojekt in einem Altenheim in Altötting wurde die App in der zahnärztlichen Betreuung der Bewohner Anfang 2024 getestet. Der Test, der von Prof. Dr. Falk Schwendicke, Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie am LMU Klinikum München, wissenschaftlich ausgewertet wurde, zeigte eine hohe Trefferquote der Diagnosen auf Grundlage der per App erfassten Probleme gegenüber den vor Ort vom Zahnarzt erhobenen Befunden und gestellten Diagnosen. Wie dem Bericht im Bayerischen Zahnärzteblatt (BZBplus, Ausgabe 4/2024), zu entnehmen ist, habe das Gutachten der LMU festgestellt: „Die telezahnmedizinische Befundung eines Zahnarztes unter Zuhilfenahme der App war insgesamt hoch. Die Übereinstimmungen der Diagnosen, Behandlungsempfehlungen und Dringlichkeitseinschätzung lagen zwischen 81 Prozent und 91 Prozent. Dies zeigt eine hohe Qualität und Genauigkeiten der telemedizinisch gestützten Diagnosen, ähnlich der Variation, die man bei Diagnosen durch unterschiedliche Zahnärzte in der klinischen Befundung sieht.“ Weiter heißt es „Pflegekräfte sind mittels App in der Lage, zahnmedizinische Gesundheitszustände strukturiert zu erfassen, sodass ein Zahnarzt telezahnmedizinisch eine ganz überwiegend korrekte Diagnose ableiten und Therapieempfehlung geben kann.“
Einsatz in der Pflege ein Feld
Bereits nach der Veröffentlichung der Barmer zur App auf Social Media wurde dieser Ansatz durch zahlreiche Posts aus dem Pflegebereich begrüßt, erhofft und unterstützt. Das bestätigt auch Mandel gegenüber der Redaktion: „Das positive Feedback spiegelt das Bild wider, das wir in vielen bilateralen Gesprächen mit Kollegen, der Berufspolitik und Patienten erhalten haben. dentinostic kann besonders in Bereichen unterstützen, wo der Zugang zum Zahnarzt schwierig ist. Eine digitale Ersteinschätzung kann hier helfen, das passende Versorgungsangebot zu finden.“
Potenzial auch im Notdienst
Begleitet wurde dieser Test in Altötting, auf den weitere folgen sollen, von ZA Christian Berger in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Zahnärztlichen Bezirksverbands Schwaben und Vorstandsvorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Mundgesundheit in der Pflege – LAGP e.V. in Bayern. Er sehe im Einsatz der App bei Pflegebedürftigen auch in der häuslichen Pflege ein gutes Potenzial für eine bessere zahnärztliche Betreuung dieser Patientengruppe. Auch im zahnärztlichen Notdienst könne der Einsatz der App den wirklichen Behandlungsbedarf im Vorfeld klären und den im Notdienst tätigen Zahnärztinnen und Zahnärzten zudem Informationen dazu geben, wer sie dann aufsuchen wird, erklärte er. Wegen eines Einsatzes der App im Notdienst sei der frühere nordrheinische Kammerpräsident Dr. Johannes Szafraniak im Austausch mit den Entwicklern, berichtete Berger gegenüber „Quintessence News“.
Berger und Szafraniak nicht für App tätig
Er legte aber Wert darauf, dass er – wie auch Szafraniak – in keiner Form in diesem App-Projekt involviert oder als Berater tätig sei. (Bis zum 12. August 2024 waren beide auf der Internetseite der App mit Foto aufgeführt, die Einträge wurden dann gelöscht.)
Das bestätigt auch Mandel. Beide seien nicht als Beratungszahnärzte für Dentinostic tätig, aber Fachleute, die man in Projekten um Rat frage – Berger im Bereich Pflege, Szafraniak im Bereich Telezahnmedizin im zahnärztlichen Notdienst. Da die Information auf der Internetseite „missverständlich war, haben wir die Namen entfernt“.
Grundsätzlich gute Akzeptanz in der Zahnärzteschaft
Die Zahnärztin antwortete auf die Frage nach der Akzeptanz der App bei den Zahnärzten, die App sei auf zahnärztlichen Konferenzen vorgestellt worden „und viele Kollegen erkennen den Nutzen und sehen den Wert, den die Plattform bietet.“ Es sei auch heute schon Alltag, dass Überweisungen zwischen Zahnärzten stattfinden, beispielsweise von allgemein zahnärztlich Tätigen zu oralchirurgisch tätigen Zahnärzten.
Mandel erklärte weiter, dass eine digitale Lösung selbstverständlich keine physische Behandlung ersetzen könne. Daher sei eine enge Verzahnung zwischen den Zahnärzten, die über Dentinostic die Ersteinschätzung vornehmen, und den Zahnärzten, die die weiterführende Behandlung durchführen, wünschenswert. „Wir sind offen für und freuen uns über Rückmeldungen aus dem Kollegenkreis.“
Rechtlich erlaubter Einsatz von Kommunikationsmitteln
Zur rechtlichen Einordnung heißt es: „Nach der Berufsordnung für Zahnärzte beraten Zahnärzte in Deutschland im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Die Dentinostic App ermöglicht eine asynchrone Beratung und Einschätzung über Kommunikationsmedien, wenn dies zahnärztlich vertretbar ist und die erforderliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlungsempfehlung sowie Dokumentation gewahrt wird. Die Patientin oder der Patient wird dabei vorab über die Besonderheiten der Beratung und Einschätzung über Kommunikationsmedien aufgeklärt.“
Dentinostic unterstütze über seine Plattform sowohl den Kontakt von Patienten mit ihren bestehenden behandelnden Zahnärzten vor Ort „als auch, soweit im Einzelfall vertretbar, mit behandelnden Zahnärzten im Rahmen der Telemedizin“.
Kammern und KZVen ebenfalls wichtige Partner
Die Kooperation mit der Barmer sei die erste dieser Art, so Mandel. Die Kasse. Die Kasse haben „einen wichtigen Schritt unternommen, die zahnmedizinische Versorgung für ihre Versicherten um ein digitales Angebot zu erweitern.“ Ihr sind die zahnärztlichen Körperschaften aber ebenso wichtig: „Im Sinne des Versorgungsangebotes sehen wir in den KZVen und Zahnärztekammern ebenfalls sehr wichtige Partner für uns.“
Dr. Marion Marschall, Berlin