Böse Überraschung für viele Kassenpatienten: Gesetzliche Krankenkassen, die in der Vergangenheit Wahltarife mit Extra-Leistungen für zahnärztliche Behandlungen angeboten haben, müssen diese Wahltarife kündigen. Das trifft bei der AOK Rheinland-Hamburg fast 500.000 Versicherte.
Die Patienten stehen mit Wirksamwerden der Kündigung ohne zusätzlichen Versicherungsschutz da. Auch bei laufenden Behandlungen endet der Versicherungsschutz mit dem Tag, an dem der Wahltarif endet. Die Kündigungen sind den Versicherten in den letzten Wochen zugegangen. Oftmals endet der Wahltarif zum 30. Juni 2020. Allein bei der AOK Rheinland/Hamburg sind rund 500.000 Patienten betroffen.
Wechsel zu privater Zusatzversicherung nicht einfach
Kommt der Patient jetzt mitten in der Behandlung auf die Idee, sich schnell noch privat abzusichern, erlebt er die nächste böse Überraschung: Bereits laufende, geplante oder angeratene Behandlungen fallen nicht unter den neuen Versicherungsschutz. Hätte sich der Patient statt im Wahltarif gleich privat abgesichert, wäre ihm keine Kündigung ins Haus geflattert. Zum einen gilt für privatrechtliche Verträge selbst bei gesetzlichen Änderungen ein Bestandsschutz. Zum anderen verzichten die privaten Krankenversicherer auf ihr ordentliches Kündigungsrecht. Auf den bei Vertragsabschluss versprochenen Versicherungsschutz kann man sich lebenslang verlassen.
Auf Nachfrage von Quintessence News antwortete eine Sprecherin der AOK Rheinland/Hamburg
„Aufgrund des von Ihnen genannten Urteils des Bundessozialgerichts hat die AOK Rheinland/Hamburg zum 31. Dezember 2019 alle Wahltarife zur Kostenerstattung beendet, sodass bis zum Jahresende 2019 sämtliche Leistungsansprüche gesichert waren. Alle Behandlungen, die noch im Jahr 2019 begonnen wurden, werden ebenfalls übernommen.
Die AOK Rheinland/Hamburg darf keine eigenen Zusatzversicherungen anbieten; bei Bedarf müssen unsere Versicherten auf einen privaten Zusatzversicherer zurückgreifen. Alle Versicherten mit dem Wahltarif Zahn haben Ende 2019 von unserem Kooperationspartner, der vigo Krankenversicherung VVaG, ein alternatives Angebot erhalten. Hatte der Versicherte sich aktiv bis zum Stichtag 31. Januar 2020 für das Angebot der vigo KV entschieden, sind alle bereits vom Versicherten erworbenen Ansprüche von der vigo KV übernommen worden.
Die PZR ist bereits seit 2014 eine Satzungsleistung der AOK Rheinland/Hamburg. Alle anspruchsberechtigten Versicherten können das Angebot somit auch weiterhin nutzen.“
Urteil des Bundessozialgerichts umgesetzt
Grund für die Kündigungswelle ist das Urteil des Bundessozialgerichts vom 31. Juli 2019. Die Richter hatten im Rechtsstreit zwischen der Continentale Krankenversicherung und der AOK Rheinland/Hamburg entschieden, dass die Krankenkassen keine Kostenerstattungstarife mehr anbieten dürfen, die den Leistungskatalog individuell erweitern. „Die gesetzliche Ermächtigung zum Wahltarif Kostenerstattung ermächtigt nicht zu einer Ausdehnung des Leistungskatalogs zum Beispiel um zusätzliche Auslandsleistungen, sondern lediglich zu einem Wahltarif mit einer höheren Kostenerstattung als nach dem gesetzlichen Grundmodell gewillkürter Kostenerstattung“ heißt es im Urteil.
Von dem Verbot betroffen sind daher Kostenerstattungstarife für das Ausland, für Zahnersatz, Zahnprophylaxe, Wahlleistung für das Ein- oder Zweibettzimmer im Krankenhaus, Brille und kieferorthopädische Behandlungen. Der Rechtsstreit dauerte schon einige Jahre – jetzt herrscht Klarheit. Die Grenze zwischen privater Krankenversicherung und gesetzlicher Krankenversicherung ist gezogen.
Gabriele Bengel to:dent.ta (Foto: Die Fotografen in Esslingen)Gabriele Bengel war viele Jahre bei einer privaten Krankenversicherung für Vertrags- und Leistungsfallmanagement verantwortlich und hat in der Tarifentwicklung mitgewirkt. Außerdem war sie Mitglied im Verwaltungsrat einer gesetzlichen Krankenkasse. Sie hat detaillierte Kenntnisse über das Gesundheitssystem und ist anerkannte Spezialistin auf dem Gebiet der Zahnzusatzversicherungen.
Gabriele Bengel ist Mitbegründerin und Geschäftsführerin der to:dent.ta GmbH, die im Internet ein Vergleichsportal bietet, das nur leistungsstarke Zahnzusatzversicherungen anzeigt, die strenge Qualitätskriterien erfüllen (Top-Dental-Tarife unter www.todentta.de). Außerdem bietet das Unternehmen Patienten und Zahnarztpraxen an, gezielt die Zahnzusatzversicherung zu vermitteln, die optimal zum Zahnzustand und dem individuellen Zahn-Risiko passt. Kontakt zur Autorin unter gabriele.bengel@todentta.de.
Erlaubte Wahltarife der Krankenkassen
Die Krankenkassen dürfen weiterhin Wahltarife anbieten wie zum Beispiel das Krankengeld für Selbstständige, Selbstbehaltstarife und Tarife mit Beitragsrückgewähr für Versicherte, die über einen längeren Zeitraum keine Leistungen in Anspruch nehmen. Eine ergänzende Absicherung für Zahnersatz, Zahnbehandlung, Krankenhaus, Naturheilverfahren und vieles mehr bieten die privaten Versicherer im Rahmen ihrer Krankenzusatzversicherungen an. Hier können sich gesetzlich Versicherte individuell entsprechend ihrem Zahn- beziehungsweise Gesundheitszustand absichern. Meistens ist ein deutlich höherer Versicherungsschutz machbar, als bislang über die Wahltarife möglich war.
Krankenkassen haben den Vorteil, dass sie im Rahmen der Wahltarife ihren Mitgliedern eine Bindungsfrist auferlegen können. So ist zum Beispiel ein Mitglied der Barmer, das den Selbstbehalttarif wählt, drei Jahre an die Barmer gebunden. Danach verlängert sich die Bindung jeweils um ein weiteres Jahr, solange der Wahltarif nicht gekündigt wird.
Erleichterter Kassenwechsel ab 2021
Im gerade verabschiedeten MDK-Reformgesetz wurde festgelegt, dass ab 1. Januar 2021 der Kassenwechsel erleichtert wird. Ein Kassenmitglied muss dann künftig nur noch die Aufnahme bei seiner Wunschkasse beantragen. Mehr nicht. Die aufnehmende Kasse meldet die neue Mitgliedschaft an die bisherige Kasse. Der Versicherte braucht keine Kündigung mehr zu schreiben und von Rückwerbeversuchen seiner bisherigen Kasse, die teilweise recht penetrant waren, bleibt er auch verschont. Außerdem wird die Bindefrist für Mitgliedschaften von 18 auf zwölf Monate reduziert. Die Frage ist nun, wie sehr diese Erleichterungen den Kassenwechsel beflügeln. Wahltarife könnten vor diesem Hintergrund neue Bedeutung erlangen.
Gabriele Bengel, Esslingen
Ratgeber für die Patienten
Worauf bei Zahnzusatzversicherungen zu achten ist, erläutert ein neuer, übersichtlicher und kompakter Ratgeber. Auf wenigen Seiten erklärt er, welche Leistungsbereiche moderne Zahnzusatzversicherungen abdecken, was unter Wartezeit und Zahnstaffel zu verstehen ist und worauf man bei der Auswahl der Tarife achten sollte. Eine Leseprobe finden Sie unter https://www.ratgeber-zahnzusatzversicherung.de/leseprobe.php. Zahnarztpraxen können den Ratgeber kostenfrei für ihre Patienten bestellen bei to:dent.ta GmbH, E-Mail beratung@todentta.de, oder per Fax 0711/94596182.
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