Der Ärztenachrichtendienst (änd) hat zum Jahresende Persönlichkeiten aus dem Gesundheitswesen zu ihrem Jahresrückblick und ihren Erfahrungen im ersten Jahr der Corona-Pandemie befragt. Hannelore König, Präsidentin des Verbands Medizinischer Fachberufe, hat im Interview mit dem änd aus ihrer Sicht für die große Gruppe der Medizinischen und Zahnmedizinischen Fachangestellten (MFA und ZFA) eine Bilanz gezogen und anstehende Aufgaben benannt.
Nachfolgend das Interview mit freundlicher Genehmigung des änd und von Hannelore König auch auf Quintessence News.
Wenn Sie auf die vergangenen Monate zurückblicken: Wie haben Sie das Jahr 2020 erlebt?
Hannelore König: Das vergangene Jahr hat uns als Gesellschaft, als Gesundheitsberufe und als Verband medizinischer Fachberufe viel abgefordert und unsere Grenzen aufgezeigt. Nehmen wir nur den ambulanten ärztlichen Bereich: Zunächst fehlte die Schutzausrüstung, dann folgten neue Testverordnungen mit entsprechenden bürokratischen Hürden, im Herbst war nicht ausreichend Grippe- und Pneumokokken-Impfstoff vorhanden, die Telefone standen nicht still, der Unmut der Patient*innen nahm zu. Medizinische Fachangestellte sind die ersten Kontaktpersonen und mussten die ganze Situation abfangen.
Bei den Zahnmedizinischen Fachangestellten, die noch enger an den Patient*innen arbeiten, kamen zur Infektionsgefahr noch finanzielle Probleme hinzu, weil viele Zahnarztpraxen zunächst auf Kurzarbeit gingen, wo es zunächst aber auch viele Unklarheiten gab. Wir hatten im Verband entsprechende viele rechtliche Anfragen zu bearbeiten und mussten zugleich unsere Öffentlichkeitsarbeit intensivieren, um bei der Politik auf die Lage unserer Berufsangehörigen aufmerksam zu machen.
„Die Arbeitslosenzahlen bei den ZFA liegen deutlich über dem Vorjahr“
Was hat Sie am meisten belastet?
König: Im ambulanten Gesundheitswesen wurden 19 von 20 Covid-Patient*innen versorgt. Die Arbeit der dort beschäftigten Medizinischen und Zahnmedizinischen Fachangestellten wurde aber von der Gesellschaft und von den Politiker*innen nicht wirklich wahrgenommen. Geklatscht wurde für die Arbeit der Pflegekräfte, sie haben auch – vollkommen berechtigt – den Sonderbonus erhalten. Für die Leistungen von MFA und ZFA war kein Geld vorhanden.
Auch der Schutzschirm für die Zahnärzteschaft wurde abgelehnt, so dass zu der Belastung durch Kurzarbeit noch die Sorge vor Arbeitslosigkeit dazu kam. Die Arbeitslosenzahlen bei den ZFA liegen mit 40 Prozent immer noch deutlich über den Vorjahreszahlen. Wir haben uns immer wieder an die Politiker*innen auf Bundes- und Landesebene gewendet und lassen auch jetzt nicht locker.
Aber es ist schon sehr belastend zu sehen, dass MFA und ZFA als systemrelevante Berufe so wenig Wertschätzung erfahren und derart ignoriert werden. Auch aktuell wird in den Medien fast ausschließlich über die Belastung in Kliniken und Pflegeeinrichtungen berichtet, während insbesondere in den hausärztlichen Praxen die MFA an ihrer Belastungsgrenze arbeiten und abends völlig erschöpft nur noch ins Bett fallen. Die Belastungen dieser Kolleg*innen zu sehen und zu wissen, dass sie bei ihrer Arbeit beschimpft, beleidigt, geschlagen und geboxt werden, belastet mich persönlich besonders.
Gab es auch gute Momente?
König: Bezogen auf die Pandemie? Die Aktion „MFA am Limit“, mit der wir deutschlandweit eine hohe Aufmerksamkeit erzielen konnten. Das gibt uns Zuversicht, dass wir weitermachen müssen, auch für die anderen von uns vertretenen Berufe. Die breite Unterstützung unserer (zahn)ärztlichen Partner bei der Forderung zum Corona-Sonderbonus und zur Aufnahme in die nationale Teststrategie in den zurückliegenden Monaten haben mich positiv überrascht, denn dies habe ich als ausgesprochen wertschätzend empfunden. Vereinzelt gab es auch gute und konstruktive Gespräche mit Politiker*innen, die sich sehr engagiert für unsere Berufsangehörigen einsetzen.
„Corona-Arbeitsschutzstandards für mehr als 600.000 MFA und ZFA gibt es nach wie vor nicht“
Wenn Sie der Politik/der Regierung eine Note geben sollten für den Umgang mit der Pandemie, welche wäre das? Und warum?
König: Mehr als die Note drei ist aus meiner Sicht nicht drin. In einigen Punkten hätte ich mir weniger Föderalismus und mehr abgestimmte Vorgehensweise gewünscht. Bei der Notbetreuung der Kinder von MFA und ZFA gab es in der ersten Welle der Pandemie regional große Probleme und auch aktuell müssen wir Kommunen davon überzeugen, dass MFA die Kompetenz zum Impfen unter Aufsicht des Arztes besitzen und keinen sogenannten „Spritzenschein“ nachweisen müssen. Bei wichtigen Themen, wie der Teststrategie und den Arbeitsschutzstandards für unsere Berufsangehörigen, hätte ich mir schnelleres Handeln gewünscht. Corona-Arbeitsschutzstandards für mehr als 600.000 MFA und ZFA gibt es nach wie vor nicht. Für Maßnahmen, wie den Schutzschirm für die Ärzteschaft, den erleichterten Zugang zur Kurzarbeit und zur Grundsicherung würde ich eine bessere Note geben. Vor allem hätte ich mir gewünscht, dass Verantwortliche auf Bundes- und Landesebene auf Fragen und Briefe unseres Verbandes antworten.
Die Pandemie hat vieles in den Hintergrund geschoben. Was war gesundheits-/berufspolitisch gesehen für Sie in diesem Jahr noch wichtig?
König: Natürlich unseren Tarifabschluss für MFA. Zwölf Prozent mehr in drei Jahren ist ein wichtiger Schritt, um den Abstand zum stationären Bereich zu verringern. Für die Digitalisierung im Gesundheitswesen sind in diesem Jahr wichtige Weichen gestellt worden. Auch hier übernehmen MFA und ZFA eine wichtige Rolle, wenn es darum geht die elektronischen Patientenakten im kommenden Jahr mit Notfalldaten, Arztbriefen, Medikationsplänen zu füllen. Aktiv mitgewirkt haben wir an der Entwicklung von Leitlinien im (zahn)ärztlichen Bereich und konnte die Interessen unserer Berufe einbringen. In die Arbeit der Allianz für Gesundheitskompetenz sind wir ebenfalls aktiv eingebunden.
„Die Novellierung der Ausbildungsordnung ZFA ist eine wichtige bildungspolitische Aufgabe“
Ein kurzer Blick in die Zukunft: Was wird das kommende Jahr bringen?
König: Viel Arbeit. Zum einen im Tarifbereich: Wir haben uns das Ziel gesetzt, dass die ausgehandelten Tarifsteigerungen auch im ambulanten Bereich - analog dem stationären Bereich – gegenfinanziert werden. Und andererseits gilt es, eine höhere Tarifverbindlichkeit zu erreichen und für ZFA bundesweite Tarifverträge zu verhandeln oder weitere Tarifpartner zu finden.
Die Novellierung der Ausbildungsordnung ZFA ist eine wichtige bildungspolitische Aufgabe, denn damit können wir die Ausbildung modernisieren und attraktiver gestalten. Die Weiterentwicklung der Fortbildungscurricula für MFA wird uns im nächsten Jahr ebenfalls beschäftigen. Mit dem berufsbegleitenden Studium zum Physician Assistant unseren Berufsangehörigen einen weiteren Karrierepfad zu öffnen und junge Menschen für unsere Ausbildungsberufe zu begeistern, ist ebenfalls eins unserer Ziele für das kommende Jahr.
Viel Überzeugungsarbeit müssen wir in der Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit leisten, damit die Leistungen von MFA und ZFA von der Politik wahrgenommen werden. Hier werden wir noch sehr, sehr viele Gespräche führen müssen und werden uns aktiv in die Landtags- und Bundestagswahlen einmischen. Ein Förderprogramm für das ambulanten Gesundheitswesen, indem unter anderem die Rolle der MFA und ZFA gestärkt wird, wäre ein wichtiges Signal.
Erstveröffentlichung am 26. Dezember 2020 auf aend.de.