Die Pathologie spielt mit ihren modernen Methoden in der medizinischen Forschung, Lehre und Diagnostik eine zentrale Rolle. Diese Botschaft ging von dem Symposium „omnis cellula a cellula“ zum 200. Geburtstag Rudolf Virchows aus, das am 12. Oktober 2021, dem Vorabend des Jubiläums, in Berlin stattfand.
Eingeladen hatten die Deutsche Gesellschaft für Pathologie (DGP), die Rudolf-Virchow-Stiftung, das Medizinhistorische Museum der Charité und das von Virchow einst selbst geleitete Institut für Pathologie der Charité. Im großen Hörsaal des Instituts für Pathologie der Charité würdigten führende, in der DGP engagierte Pathologinnen und Pathologen die Lebensleistung des forschenden Arztes als bahnbrechend und noch heute wegweisend. Der von Virchow 1855 aufgestellte Lehrsatz „omnis cellula a cellula – jede Zelle stammt aus einer Zelle“ bestimme bis heute nicht nur Forschung und Lehre, sondern auch die medizinische Praxis.
Revolutionärer wissenschaftlicher Ansatz
Der Leiter des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité, Prof. Dr. med. Thomas Schnalke, erläuterte Virchows revolutionären wissenschaftlichen Ansatz. Der in Schivelbein in Pommern (heute Polen) geborene Arzt und Forscher entwickelte die Arbeiten seines italienischen Kollegen Giovanni Batista Morgagni weiter zu einem völlig neuen Verständnis von Krankheit. Während Morgagni (1682 – 1771) erstmals vom antiken Krankheitsbild der gestörten Zusammensetzung der vier Körpersäfte (Gelbe Galle, Schwarze Galle, Blut, Schleim) abwich und Krankheitssymptome mittels postmortaler Untersuchungen auf organische Ursachen zurückzuführten versuchte, ging Virchow einen verwegenen Schritt weiter und rückte die Zellen und ihre Funktionen in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Betrachtung. Fortan dehnte sich die Forschung zum Krankheitssitz (sedes morbi) auf das Gewebe und weiter bis auf die Zelle aus. Mit Virchow an der Spitze sollte es nicht lange dauern, bis sich die Zellularpathologie als medizinisches Fach etablierte.
Gegen Hunger und Armut, für Demokratie
So außergewöhnlich das Wirken des Arztes und Wissenschaftlers war, so war Rudolf Virchow doch ein Kind seiner Zeit. Dr. med. Till Braunschweig vom Institut für Pathologie des Universitätsklinikums Aachen und Dr. med. Katrin Schierle vom Institut für Pathologie des Universitätsklinikums Leipzig schilderten das gesellschaftliche und berufliche Umfeld, aus dem Virchow als genialer Wissenschaftler hervortrat und zugleich als liberaler Politiker gegen gesellschaftliche Missstände aufbegehrte.
Der schon früh in ganz Europa berühmte Arzt forschte umgeben von Hunger und Armut breiter Bevölkerungsschichten. Nicht nur für das Elend, das die Flecktyphus-Epidemie mit sich brachte, machte Virchow 1848 die preußische Regierung verantwortlich und forderte als Konsequenz „volle und unumschränkte Demokratie“. In einer Untersuchung im Auftrag der bayerischen Staatsregierung belegte er wenig später den Zusammenhang zwischen chronischen Hungerzuständen der Bevölkerung und epidemischen Krankheiten.
Virchows politisches Credo lautete: Wohlstand, Bildung und Freiheit bedingen sich gegenseitig. In die Berliner Stadtverordnetenversammlung gewählt (1859 bis zu seinem Tod), setzte er sich für den Bau von Krankenhäusern, Markthallen und einem hygienischen Schlachthof ein. Sein wichtigstes Projekt war das Vorantreiben einer modernen Kanalisation für die Stadt.
1861 gründete Virchow die liberale Deutsche Fortschrittspartei mit. Als deren Vorsitzender kämpfte er für eine liberale Gesellschaft und für eine soziale Medizin. Ab 1862 saß Virchow für seine Partei im Preußischen Abgeordnetenhaus und setzte sich dort für Abrüstung, internationale Schiedsgerichte und die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa ein.
Charité als Motor des Fortschritts
Die Pathologie habe sich von der reinen Obduktionsanalyse zum hochmodernen Querschnittsfach entwickelt, erläuterte Prof. Dr. med. Christoph Röcken, Direktor des Instituts für Pathologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und stellvertretender Vorsitzender der DGP, den Stellenwert der Pathologie im Fächerkanon. Im Jahre 1845 sei in Würzburg der erste deutsche Lehrstuhl für Pathologie besetzt worden. Danach habe die Zahl der Lehrstühle kontinuierlich zugenommen. Seit mehr als 100 Jahren sei das Fach an jedem hochschulmedizinischen Standort in Deutschland vertreten. Heute paare sich eine breite Methodenkompetenz mit qualifizierter Krankheits-Phänotypisierung. „Ohne Pathologie ist die universitäre Medizin weder in der Lehre noch in der Forschung zukunftsfähig“, sagte Röcken.
Prof. Dr. med. Manfred Dietel, ehemaliger Vorstandschef der Charité und langjähriger DGP-Vorsitzender, beleuchtete die Entwicklung der Pathologie mit besonderem Blick auf das Institut der Charité nach der Wende. Aus der Immunhistologie mit einem vertieften Verständnis der Zellfunktionen und -veränderungen etwa in Tumoren sei ab der Jahrtausendwende die Molekularpathologie hervorgegangen. Das Institut der Charité sei nach der Wende Motor des Fortschritts gewesen und habe maßgeblich dazu beigetragen, dass heute genetische Veränderungen bei Tumoren oder erblichen Erkrankungen über komplexe Gewebeanalysen entschlüsselt werden könnten. Dietel sprach sich dafür aus, die Kooperation mit der Industrie auszubauen. Neue Entwicklungen kämen oftmals aus der Industrie. Es gehe darum, voneinander zu lernen.
Diagnostische Hochleistungspathologie
Wie der Direktor des Instituts, Prof. Dr. med. David Horst, betonte, ist die diagnostische Hochleistungspathologie unabdingbarer Bestandteil der Patientenversorgung. „Die in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten entwickelte Sequenzierung des Genoms macht Diagnosen möglich, aus denen heute maßgeschneiderte Therapien etwa bei Krebserkrankungen abgeleitet werden“, sagte Horst. Dies sei eine erhebliche Verbesserung der Patientenversorgung, da nicht nur die Heilungschancen gestiegen seien, sondern auch die Behandlungen oft schonender wirkten.
Die Zukunft der Pathologie werde aus heutiger Sicht bestimmt durch Spezialisierung, Digitalisierung und die Integration komplexer gewebeanalytischer Methoden. Auch in der Einbeziehung künstlicher Intelligenz lägen erhebliche Entwicklungschancen, so seine Analyse.