Vom 23. bis 25. November fand die 5. Gemeinschaftstagung der DGZ, DGET, DGPZM und DGR2Z in München statt. Mit 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war der Kongress ausgebucht.„Erhalte deinen Zahn“ lautete das gemeinsame Tagungsthema. Die Zahnerhaltung in allen Facetten zu stärken, war die Idee, diese Gemeinschaftstagungen ins Leben zu rufen.
Traditionell begann die Tagung mit der Verleihung des Wrigley-Prophylaxepreises am Donnerstag – in diesem Jahr zum 29. Mal. Der Prophylaxe Preis ist eine Institution in der Zahnmedizin. Seit seiner Gründung 1994 wird er jährlich für herausragende Forschung und Projekte in der Kariesprophylaxe verliehen. Stifterin ist die zahnmedizinische Initiative „Wrigley Oral Healthcare Program“, die sich für eine Verbesserung der Zahn- und Mundgesundheit in allen Bevölkerungsgruppen einsetzt.
Erosionsschutz in der täglichen Ernährung
Prämiert wurde unter anderem eine Arbeit, die zeigte, wie Erosionsschutz in die tägliche Nahrung integriert werden kann. Das Team untersuchte den Zusatz von Kalzium in drei Konzentrationen zu Apfel- und Orangensaft, einem Energy-Drink und einem Kola-Getränk und „modifizierte die Rezepte von fünf säurehaltigen Gerichten durch kalziumreiche Zutaten wie zum Beispiel Käse, Joghurt oder Nüsse. Patientinnen und Patienten mit erosionsgeschädigten Zähnen können die modifizierten Speisen und Getränke konsumieren, ohne Säureangriffe befürchten zu müssen. Das ermöglicht ihnen, erwünschte saure Lebensmittel wie Obst oder sauer eingelegtes Gemüse im Speiseplan zu behalten. Das scheint ein attraktives neues Instrument für die Ernährungslenkung und Beratung in der zahnärztlichen Praxis zu sein. (Mehr zu den Preisträgern der Wrigley Prophylaxe Preise 2023 auf Quintessence News)
CAD/CAM, Digitale Vernetzung und KI
Prof. Albert Mehl(Zürich) diskutierte in seinem Beitrag am ersten Veranstaltungstag die Frage: „CAD/CAM, digitale Vernetzung und KI – wie digital ist/wird die Praxis?“. Abdrücke mit dem Intraoralscanner sind in der Quadrantenabformung der konservativen Abformung gleichwertig und haben eine ausgezeichnete Detailgenauigkeit. Die Scanköpfe werden immer kleiner, die meisten Intraoralscanner können mittlerweile kabellos verwendet werden. Mit KI lässt sich das Restaurationsdesign durch Vorschläge aus der inzwischen angelegten Datenbank automatisieren.
Die virtuellen Möglichkeiten für die Funktionsdiagnostik sind besonders beeindruckend. Es lassen sich alle Bewegungen besser als im Artikulator in direkter dynamischer Okklusion simulieren. Die digitale FU-Diagnostik ist genauer als die klassische. Insgesamt bieten die Systeme neben Konfiguration/Herstellung von Zahnersatz zusätzliche wertvolle Informationen wie Verlaufskontrollen, zum Beispiel bei PA/ Prophylaxe/ Zahnerhaltung und können so für therapeutischen Entscheidungen genutzt werden. Bei der Vielzahl von digitalen diagnostischen Möglichkeiten (Röntgen, MRT, Kamera, Scanner …) und den dazugehörigen Softwares rückt die Archivierung der Daten immer mehr in den Vordergrund und somit auch die Nutzung der Cloud.
Modellieren besser als „chemische Keule“
PD Fabian Cieplik widmete sich in seinem Beitrag zu Antiseptika in der Zahnmedizin vor allem den Aspekten Effektivität und Risiken und leitete daraus Empfehlungen für die Praxis ab. Die bekanntesten Antiseptika in der Zahnheilkunde sind CHX, CPC und die ätherischen Öle. Interessant ist, wie lange die Substanzen in der Mundhöhle verfügbar sind. Bekannt ist, dass CHX sich nicht auf der Zahnoberfläche ablagert, sondern im Biofilm und unter Umständen zu einer Vermehrung der Bakterien führen kann. Verdünnungseffekte durch Speichel, Blut und Sulkusflüssigkeit beeinflussen die Penetration in tiefere Biofilmschichten. Es werden immer wieder Resistenzen auf Streptokokken festgestellt. In jedem Fall wird das ökologische Gleichgewicht im Biofilm verändert, was berücksichtigt werden muss, wenn gesunde Patienten Spüllösungen verwenden. Weitere „Nebenwirkungen“ sind Geschmacksstörungen, Reizungen der Schleimhaut und Verfärbungen. Risiken und Nutzen müssen immer abgewogen werden. Ciepliks Empfehlungen:
- Kariesprävention: Bei durchbrechenden Zähnen und bei freiliegenden Wurzelbereichen kann die professionelle Anwendung von CHX-Lacken mit mindestens 1-prozentigem CHX empfohlen werden.
- Parodontologie AIT/UTP: Nach Meta-Analyse wurden keine zusätzlichen Effekte mit Spülungen beim „maschinellem“ Debridment festgestellt. Eine weitere Untersuchung zeigte, dass Full mouth desinfection keine besseren Ergebnisse im Hinblick auf PPD, CAL oder BOP hat, als konventionelles Debridment zeigt.
- S3-Leitlinien: Bei Behandlungen von Parodontitis Stadium I bis III können bei eingeschränkter Mundhygiene vorübergehend CHX-Spülungen verwendet werden. Bei Gingivitis können als Ergänzung Spüllösungen verwendet werden.
Auch die Keimbelastung im Behandlungszimmer durch Aerosole wird unterschätzt. Zum Infektionsschutz in der Praxis wird empfohlen, vor der Behandlung mit CHX,CPC oder EO spülen zu lassen. Bei Sars-CoV-2 nur CPC. Ciepliks Zusammenfassung zu Antiseptika : Geringe Effektivität gegenüber Biofilm, Gefahr von Resistenzen(?), Gefahr von unerwünschten ökologischen Effekten aber Nutzen versus möglichen Risiken sind abzuwägen. „Modellieren“ sei besser als die „chemische Keule“.
Mukositis in der Onkologie
Gingivitis und Mukositis bei immunsupprimierten onkologischen Patienten war das Thema des Vortrags von Dr. Kyrill Schoilew. Eine der häufigsten Komplikationen bei immunsupprimierten Patienten zum Beispiel im Rahmen einer onkologischen Behandlung ist die Mukositis. Nach WHO-Einteilung wird der Grad 1 mit Erythemen und Wunden beschrieben. Grad 2: Erytheme und Ulzeration, die Aufnahme fester Nahrung ist noch möglich. Grad 3: Ulzerationen, es ist nur Aufnahme flüssiger Nahrung möglich. Grad 4: Blutende Ulzerationen, eine Nahrungsaufnahme ist nicht mehr möglich. Die gefürchteten Probleme treten nach 4 bis 7 Tagen auf. Daher ist es besonders wichtig, vor dem Beginn einer onkologischen Behandlung oder Stammzellentransplantationen, die Mundhöhle auf Störungen wie Karies, Extaktionen, parodontale Probleme etc. zu untersuchen. Mit einer Sanierung odontogener Infektionen können systemische Infektionen um ca. 30 Prozent gesenkt werden. Auch die Mortalitätsrate wird niedriger. Neben einer standardisierten Mundpflege vor allem bei beginnender Mukositis sind zusätzliche Spülungen mit NaCl 0,9 Prozent, Natron, Calciumphosphat und Salbei zu empfehlen. Der Patient muss unbedingt über die Gefahr der Zahnfleischerkrankungen im Rahmen der Therapie informiert und sensibilisiert werden (Selfmonotoring).
Karies und OCT-Diagnostik
Der zweite Kongresstag wurde eröffnet mit einem Beitrag von Prof. Rainer Haak zur Frage: Kann OCT die Zahnerhaltung verbessern? Die OCT Diagnostik (Optische Kohärenztomographie) ist ein bildgebendes Verfahren und findet hauptsächlich Verwendung in der Augenheilkunde. Mit dieser Technik können Schnittbilder des Augenhintergrunds hergestellt werden. In der Zahnmedizin kann OCT für die Kariesfrühdiagnostik, Kavitationserkennung, ein Restauration-Zahn-Interface sowie zum Monitoring eingesetzt werden. So lässt sich unter Umständen Overtreatment vermeiden. Der Mehrgewinn liegt in der Tiefeninformation sowie in der guten Auflösung. Weitere Vorteile des Verfahrens: es gibt keine Strahlung und die Ergebnisse sind in real-time verfügbar. Diese Technik ist sehr sensitiv, sodass bereits sehr früh Kariesläsionen, vor allem im approximalen Bereich, erkennbar sind. Aber auch Sprünge in der Keramik oder auch Rissbildungen in der Zahnmorphologie können detektiert werden (dies bestätigte auch Dietschi in einem weiteren Beitrag)
KI im Datenzeitalter
Prof. Dr. Falk Schwendicke sprach über KI für die Zahnheilkunde vor allem in der Diagnostik und Datenzahnmedizin. Schon seit 70 Jahren ist die KI durchaus präsent, und ganz neu ist sie auch in der Zahnheilkunde nicht, da viele Prozesse beispielsweise in der CAD/CAM-Technologie schon Standard sind. Inzwischen ist das Datenzeitalter weiterfortgeschritten und die Verarbeitung von Datenmengen haben Google & Co. längst in ihre Portale integriert. Inzwischen haben die Maschinen „lernen“ gelernt (Machine learning), mit Deep learning (DL), einem Teilbereich von ML, haben sich die Möglichkeiten der Nutzung noch erweitert, da nun auf die Verfügbarkeit großer Datensätze und frei zugänglicher Software zurückgegriffen werden kann.
KI ist in der Diagnostik und im Digitalen Workflow längst angekommen. Zu der Möglichkeit aber, Krankheiten eventuell vorherzusagen, wie zur Etablierung der „P-4“ (Personalisierung, Präzision, Prävention und Partizipation, die ohne KI nicht möglich wäre, sei es aber noch ein langer Weg. Schwendicke warnte davor, KI zu überschätzen. Die Technik sei in der Genauigkeit zwar sensitiver, aber die Spezifizität beim Menschen höher. Die Verantwortung für die Nutzung bleibt immer beim Arzt. Schwendickes Fazit: KI ist eine Technologie zum Verarbeiten großer Daten, sie kann „lernen“. Die heutigen Systeme sind oftmals ähnlich gut wie gute Praktiker, und können die Kommunikation und Dokumentation unterstützen und erleichtern. Die Systeme werden stetig besser – wir Zahnärzte nicht zwingend. KI wird bessere Entscheidungsfindungen unterstützen. Von P-4 sind wir aber noch ein ganzes Stück entfernt.
Risse und Sprünge im Zahn
Dr. Didier Dietschi beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der restaurativen Behandlung von Rissen oder Sprüngen im Zahn. Häufig werden entweder direkt auf der Kaufläche oder nach Entfernung der Füllung kleine Risse (Cracks) entdeckt. Im Molarengebiet sind Ober- und Unterkiefer gleichmäßig betroffen. Prämolaren sind häufiger betroffen als Molaren und restaurierte Zähne häufiger als intakte. Als Beschwerden können Druckschmerz oder die bekannten Anzeichen einer Pulpitis auftreten. Die Reaktion auf eine Vitalitätsprüfung (Vipr) verläuft erst leicht verzögert und fällt dann wieder ab.
Die Therapie hängt sehr von Ausdehnung und Lage des Risses ab. Über die Ausdehnung eines Risses kann die zusätzliche Nutzung einer UV-Lampe oder OCT Aufschluss geben. Wenn nur einseitig die Kauleiste im Schmelz betroffen ist, kann versucht werden, mit einem Flow-Präparat zu versiegeln. Sind Risse in den Höckern erkennbar, aber nicht in Richtung Pulpa, kann mit Overlays oder Kronen therapiert werden. Das Beschwerdebild des Patienten muss hierbei berücksichtigt werden. Gibt es keine Reaktion auf die Vipr bleibt nur die Endo. Bei Kältereaktion und Aufbissbeschwerden ist eine Endo sehr wahrscheinlich. Bei Reaktion nur auf Kälte oder Druck können prothetische/konservierende Behandlungen erfolgreich sein.
Postendodontische Versorgung – direkt versus indirekt
Prof. Roland Frankenberg und Prof. Daniel Edelhoff führten am Samstag Nachmittag ein spannendes „Streitgespräch“ über indirekte versus direkte postendodontische Versorgung. Frankenberger: „Ein endodontisch behandelter Zahn bleibt ein Risiko!“ Es sei zu akzeptieren, dass der Zahn mit Beginn einer Trepanation „biomechanisch nur noch die Hälfte wert ist“. In seinen Augen wird den kontaminierten Oberflächen im Cavum nach der Wurzelfüllung viel zu wenig Beachtung geschenkt. Durch die Spüllösungen etc. sei die Dentin- oder Schmelzoberfläche für eine sofortige lege-artis-gelegte Füllung und damit für einen sicheren Verschluss der Kanaleingänge nicht vorbereitet. Er empfiehlt die finale Füllung erst nach Verlauf einer Woche und nach sorgfältiger Reinigung. Für die finale Versorgung sei eine Teilkrone, mit der alle Höcker gefasst werden, die langfristig sichere Versorgung, um eine Fraktur zu verhindern. Die Diskussion, ob Stift und dann welcher, hält Frankenberger für akademisch. Es gebe keine Untersuchung, die einem der möglichen Stiftsysteme eine Priorität einräumt. Der Glasfaserstift hat sich bewährt, weil er gut zu verarbeiten ist und die wenigsten Nachteile hat. Sein Fazit: Beachtung der Kontamination der Oberflächen vor präendodontischen Aufbauten. Direkte intrakoronale Restaurationen sind erfolgreich bei vorliegenden zweiflächigen Defekten, bei größeren Defekten ist eine Höckerfassung (Teilkrone) erforderlich. Die Ferrule-Präparation ist wichtiger als der Stift. Welcher Stift ist letztlich unerheblich.
Edelhoff sprach die Wertigkeit und Wichtigkeit der Kauleisten an. Ist noch eine Kauleiste vorhanden, sei eine konservative Restauration noch erfolgreich. Fehlen beide Kauleisten, ist die Frakturgefahr des Zahns ungleich höher. Er ist nach wie vor ein Verfechter der Goldteilkrone, da das Material eine höhere Zugfestigkeit hat als keramische Werkstoffe, und Abrasionen ermöglicht. Er empfiehlt vor größeren Restaurationen einen Bruxismus-Screening-Test (BSI-DGFDT). Ist eine Krone erforderlich und sie soll zahnfarben sein, wird in München gern ein Zikongerüst (1. Generation), verblendet mit Disilikatkeramik eingegliedert. Monolithische Materialen sind für ihn keine Option, da alle Zirkon-Varianten dieselbe Härte haben und daher keinen Verschleiß zulassen. Auch ermöglicht dieses Material kein individuelles „Einschleifen“. Bei der Teilkronenpräparation empfiehlt Edelhoff nur bis zum Äquator zu präparieren, um die Substanz zu schonen und so zu einer Stabilisierung beizutragen. Bei Frontzähnen empfiehlt er, möglichst ganz auf Kronen zu verzichten und Teilkronen/Veneers den Vorzug zu geben. Entscheidend für die Stabilität sei die palatinal/linguale Zahnsubstanz an der Ginigvagrenze. Wird sie durch Kronenpräparation (zum Beispiel durch Stufenpräparation) reduziert, vergrößert sich die Bruchgefahr. Sein Fazit: Das Ausmaß des koronalen Substanzverlusts limitiert den prognostischen Faktor. Ein Ferrule Design von mindestens 2 mm steigert ihn. Die Hauptindikation für Stifte ist für die Retention des Aufbaus. Minimalinvasive Restaurationen sind vorteilhafter: Daher Veneer, Overlays statt Kronen.
Pfeilerzähne mit Endo zeigen bei festsitzendem Zahnersatz gute, bei herausnehmbaren schlechtere Überlebensraten. Pfeilerzähne mit Endo in der Doppelkronentechnik sind ein Risiko. Hier müssen (!) Stifte eingesetzt werden. Auf ein adäquates Okklusionskonzept ist zu achten, um vor Überlastung zu schützen.
Dem Tagungsthema „Erhalte deinen Zahn“ wurde dieser Gemeinschaftskongress allemal gerecht. Die nächste DGZ-Tagung findet in Gemeinschaft mit der DGPro am 13. bis 15.Juni 2024 in Leipzig statt. Mehr Informationen gibt es auf der Homepage der DGZ.
Dr. Cornelia Gins, Berlin