Das Verbot für quecksilberhaltige Produkte und Dentalamalgam in der Europäischen Union befindet sich auf der Zielgeraden: Nach der Einigung zwischen Europäischem Rat und Europäischem Parlament Ende Januar/Anfang Februar 2024 hat sich am 21. Februar 2024 der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) im Rat damit befasst und es für die nächste Ratssitzung vorbereitet. Der Umweltausschuss des Europaparlaments wird voraussichtlich am 11. März 2024 darüber befinden.
Dann stehen noch die finalen Beschlüsse von Rat und Parlament aus, aber es wird erwartet, dass diese nur noch Formsache sind, da sich alle Beteiligten vorab auf einen Konsens geeinigt haben. So könnte das Verbot noch vor der Europawahl im Juni 2024 rechtskräftig werden – mit allen Konsequenzen für die zahnärztliche Versorgung auch in Deutschland.
Ausnahmen konkretisiert
Ob Deutschland von der möglichen Ausnahmeregelung Gebrauch machen wird, um die Nutzung von Amalgam bis zum 30. Juni 2026 weiter zu ermöglichen, ist offen. Nach der Sitzung des AStV hat der Rat seine Pressemitteilung zur Einigung vom 8. Februar 2024 noch einmal um den Inhalt des Einigungstextes aktualisiert und darin auch die Ausnahmeregelung für das Verwenden von Dentalamalgam aufgenommen: „Eine Ausnahme gilt, wenn die Zahnärztin oder der Zahnarzt die Verwendung von Dentalamalgam aufgrund spezifischer medizinischer Erfordernisse bei der jeweiligen Patientin oder dem jeweiligen Patienten als zwingend notwendig erachtet.“
Antragskriterien genauer definiert
Zur Verlängerung bis Juni 2026 heißt es: „Der Rat und das Parlament haben jedoch eine für 18 Monate geltende Ausnahme für die Mitgliedstaaten eingeführt, in denen einkommensschwache Personen andernfalls sozial und wirtschaftlich unverhältnismäßig stark betroffen wären. Bis spätestens einen Monat nach Inkrafttreten dieser überarbeiteten Verordnung müssen diese Mitgliedstaaten die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung hinreichend begründen und der Kommission mitteilen, welche Maßnahmen sie ergreifen wollen, um die Frist für die Einstellung der Verwendung bis zum 30. Juni 2026 einhalten zu können.
Umweltmediziner-Netzwerk sieht kaum Chancen auf Ausnahmeregelung
Florian Schulze, Geschäftsführer des „European Network for Environmental Medicine“ in Berlin und auch als Experte am europäischen Entscheidungsprozess beteiligt – den Startschuss gab ja ein Papier der Europäischen Kommission mit Vorschlägen, wie die Minamata-Konvention zu Quecksilber in der EU umgesetzt werden kann – hält das eher für unwahrscheinlich, wie er gegenüber Quintessence News erklärt: „Der Aufschub soll nur für Länder gelten, in denen Amalgam das einzige Material ist, dass voll von gesetzlichen Krankenkassen erstattet wird. In Deutschland ist dies nicht gegeben, da es in der GKV-Richtlinie keine Festlegung auf Amalgam in der Grundversorgung gibt. Die Behandlung muss lediglich mit einem plastischen Material erfolgen und wirtschaftlich, zweckmäßig und ausreichend sein, was amalgamfreie Zahnärzte auch mit anderen Materialien bewerkstelligen“.
Schulze: „Zudem müsste Deutschland die Inanspruchnahme der Ausnahme gut mit sozioökonomischen Konsequenzen begründen, was angesichts von nur noch 2,4 Prozent der Verwendung schwierig werden dürfte“. Bei den Verhandlungen hätten nur zwei Länder einen Aufschub gefordert. Neben Tschechien sollte dies Slowenien gewesen sein, so Schulze unter Verweis auf die Erklärung von Berichterstatterin Marlene Mortler (CSU).
Deutsche Zahnärzteschaft kritisiert die EU-Entscheidung
Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) kritisiert die Entscheidung für das Amalgam-Aus scharf und hat dazu eine aktuelle Stellungnahme auf ihrer Homepage eingestellt. „Ein allgemeines Verbot von Dentalamalgam sowie das Verbot für dessen Herstellung ab dem 1. Januar 2025 haben gravierende Auswirkungen auf die zahnmedizinische Versorgung in Deutschland. Ein Wegfall von Dentalamalgam wird die Versorgung insbesondere von vulnerablen Patientengruppen deutlich erschweren.“
KZBV: Keine Alternativmaterialien
„Entgegen der Behauptung der EU-Kommission stehen derzeit keine mit ausreichender Evidenz hinterlegten Alternativmaterialien für alle Versorgungsformen zur Verfügung“, so die KZBV. „Um diese Wissenslücke zu schließen, sind weitere Forschungsaktivitäten unumgänglich, deren Ergebnisse erst in einigen Jahren vorliegen können. Hierzu steht die KZBV schon seit Längerem im engen Austausch mit der Wissenschaft, unter Berücksichtigung der Behandlungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses. Nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird ein Material allein Amalgam nicht ersetzen können, sondern der Einsatz von Alternativmaterialien wird indikationsbezogen erfolgen müssen“, heißt es.
BMG unterstützt Multicenter-Studie nicht
Die KZBV hatte dazu im November 2022 eine qualitativ hochwertige Multicenter-Studie angeregt und sich laut Beschluss der Vertreterversammlung an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) wegen der erforderlichen finanziellen Unterstützung für dieses Projekt gewandt. Das BMG habe diese Studie zwar sehr begrüßt, einer finanziellen Beteiligung/Unterstützung aber eine Absage erteilt, hieß es dazu vonseiten der KZBV auf Nachfrage der QN-Redaktion. Daher habe man in der „Task Force Amalgam“ mit Unterstützung aus der Wissenschaft die verfügbaren Daten gesammelt, die Auswertung laufe noch. Es zeichne sich aber auch hier bereits ab, was auch die befragten Wissenschaftler schon konstatiert hätten: Es gibt nur indikationsbezogen jeweils mögliche Alternativen nach klinischer Bewährung und Wirtschaftlichkeit, nicht jedoch einen Werkstoff, der alle Indikationen so wie Amalgam abdecken könne.
Frankenberger: Bislang kein geeignetes Ersatzmaterial für Amalgam verfügbar
Das erklärte auch Prof. Dr. Roland Frankenberger in einem Beitrag des Magazins „Focus“. Dort heißt es: „Auch wenn viele ob des Verbots jubilieren dürften, ist Frankenberger kein Befürworter davon. ‚Dieses Verbot ist rein umwelttechnischer Natur, weil der Eintrag von Quecksilber in die Umwelt reduziert werden soll‘, sagt er. ‚Es steht aber nicht im Zusammenhang mit zahnmedizinischen Belangen, deshalb hätten wir uns einen Phase Down bis 2030 oder noch besser bis 2035 gewünscht, um ein wie Amalgam geeignetes und klinisch getestetes Ersatzmaterial verfügbar zu haben‘, so der Mediziner.
Was die Alternativen angeht, heißt es im „Focus“-Beitrag weiter: „Derzeit mangele es an Alternativen zu Amalgam. ‚Eine klassische Amalgamalternative gibt es bislang nicht, alle potenziellen Ersatzmaterialien sind entweder sehr aufwändig (z.B. die Komposite) und damit wesentlich teurer, oder sie sind ähnlich günstig wie Amalgam, aber nur bis zu einer gewissen Kavitätengröße geeignet (Glasionomerzemente)“, mahnt Frankenberger.“
Der KZBV-Vorstandsvorsitzende Martin Hendges hatte sich auch im Interview mit den Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) für den Erhalt von Amalgam stark gemacht und die bereits bestehenden Sicherheitsmaßnahmen herausgestellt: „‚Bei fachgerechtem Einsatz gehen von Dentalamalgam keine Gesundheitsgefahren aus.‘ Zudem sei eine Umweltgefährdung in Deutschland nahezu ausgeschlossen, da sich die Sicherungsmaßnahmen etabliert hätten und umfänglich seien. ‚Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Amalgam der älteste, besterforschte zahnärztliche Werkstoff ist und in den allermeisten Fällen problemlos vertragen wird‘, so Hendges“.
Alternativen: Umweltverband verweist auf Untersuchungen der Kommission
Was mögliche Alternativen angeht, sieht Schulze die von KZBV und Bundeszahnärztekammer vorgebrachten Argumente für den Erhalt von Amalgam unter Verweis auf fehlende Alternativen als nicht stichhaltig an. Die Verfügbarkeit von kostengünstigen Alternativen sei von der Europäischen Kommission ausgiebig untersucht worden. Sie sei zu dem Schluss gekommen, dass auch die Verwendung von Komposit nicht deutlich aufwendiger und kostspieliger sei, als die Verwendung von Amalgam, „insbesondere wenn man berücksichtigt, dass der Patient für die Politur einer Amalgamfüllung ein zweiten Termin benötigt, da diese erst 24 Stunden nach dem Legen vollständig aushärten“, so Schulze.
Valide Aussagen über konkrete Auswirkungen noch nicht möglich
Aktuell lassen sich laut KZBV keine validen Aussagen über die konkreten Auswirkungen eines Amalgam-Verbots in Deutschland treffen. „Die Sachlage ist noch vollkommen ungeklärt. Es werden auf allen Ebenen Gespräche geführt“, heißt es. Das betreffe auch die Frage, ob von Deutschland ein Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung gestellt werden wird oder nicht, hieß es auf Nachfrage der QN-Redaktion.
Gespräche mit Kassen und Wissenschaft
Ungeklärt sei aktuell auch noch, wie der Leistungsanspruch der Versicherten in der Gesetzlichen Krankenversicherung ab 2025 ausgestaltet sein wird. Derzeit sind in den Füllungspositionen im Bundesmanteltarifvertrag-Zahnärzte unter Bema-Nummer 13 auch Alternativen zur Kassenleistung mit und ohne (Kinder, Schwangere) Selbstbeteiligung der Patienten abgebildet. „Selbstverständlich wird sich die KZBV auch unter den nun folgenden Rahmenbedingungen dafür einsetzen, die Patientenversorgung gemeinsam mit den Partnern der Selbstverwaltung und Wissenschaft sicherzustellen“, so die KZBV in ihrem Statement.
Herstellung und Einfuhr von Amalgam noch bis Juni 2026, Evaluierung bis Ende 2029
Kolportiert wird aus der Standespolitik, dass es aktuell in Deutschland kein Amalgam mehr auf dem Markt zu kaufen gibt. Offensichtlich hätten sich einige Praxen noch schnell mit dem Werkstoff eingedeckt. Allerdings werden Herstellung und Vertrieb von Amalgam laut Einigung auf EU-Ebene noch einige Zeit möglich sein: „Während der Rat und das Parlament an dem von der Kommission vorgeschlagenen Verbot der Ausfuhr von Dentalamalgam ab dem 1. Januar 2025 festhielten, einigten sie sich auf die Einführung eines Verbots, das für die Herstellung von Dentalamalgam in der EU beziehungsweise dessen Einfuhr in die EU ab dem 30. Juni 2026 gilt. Im Rahmen der Änderungen wird eine Ausnahme vorgesehen, nach der die Einfuhr und die Herstellung von Dentalamalgam erlaubt ist, wenn es für Patientinnen und Patienten mit spezifischen medizinischen Erfordernissen verwendet wird. Die Kommission wird bis zum 31. Dezember 2029 eine allgemeine Überprüfung der Ausnahmen für die Verwendung von Dentalamalgam vornehmen, wobei sie die Verfügbarkeit quecksilberfreier Alternativen berücksichtigen wird“, heißt es in der aktualisierten Meldung des Rats. (MM)