Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Diese Erkenntnis findet in dem historischen Gruppenbild des Central-Vereins Deutscher Zahnärzte zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts ihren ausdrucksstarken Beleg. Es entstand während der 45. Jahrestagung 1906 in Dresden, die vom 4. bis 6. August stattfand.
Der Central-Verein als Vorläufer der heutigen Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde e.V. (DGZMK) gilt mit dem Gründungsjahr 1859 als älteste nationale zahnmedizinische Vereinigung.
Diese Fotografie, zu der es leider keine Bildlegende gibt, offenbart nicht nur detaillierte Einblicke in die modischen Gewohnheiten der damaligen Zeit (man beachte hier besonders die aufwendige Staffage der Damen oder die gepflegten Bärte der Herren und den allgegenwärtigen „Vatermörder“). Es zeugt auch von Frohsinn und gewisser Heiterkeit, speziell wenn man auf den Bildrand oben links schaut. Dort halten zwei enthusiastisch wirkende Herren das Schild „Einlage“ hoch, man könnte dahinter auch die noch junge Endo-Fraktion vermuten?
Und auch den Damen auf dem Foto kommt vielleicht eine besondere Rolle zu. Es müssen nicht alle Abgebildeten die Begleitung eines Herrn gewesen sein, denn ab dem Jahr 1900 war auch Frauen das Medizinstudium gestattet. Vielleicht sehen wir hier also einige der ersten Zahnärztinnen Deutschlands?
Prof. Miller beendete 1906 seine Amtszeit
Die Eleganz, mit der sich zwei der Protagonisten leger zu Füßen des in jenem Jahr aus dem Amt geschiedenen Präsidenten platzierten, des Amerikaners Prof. Dr. mult. Willoughby D. Miller (Präsident von 1900 bis 1906, Mitte der vorderen Reihe, mit dem Kreissägen-Hut und dem nach vorn gepflegten Bart) hat etwas von schierem Sommer-Idyll. Neben dem Präsidenten dürfte seine Gattin abgelichtet sein, sie trägt eine Kopfbedeckung mit schwer identifizierbarer Flora. Der aus Sicht des Betrachtenden rechts daneben sitzende Herr könnte Millers Nachfolger, Prof. Dr. Dr. Otto Walkhoff (1906-1926), sein.
30 Jahre in Deutschland tätig
Miller wirkte übrigens 30 Jahre lang in Deutschland, sammelte sportliche Meriten als Deutscher Meister im Golfsport, und verstarb ein Jahr nach dieser Aufnahme in seiner Heimat USA an den Folgen einer Appendizitis. Miller hatte zunächst Chemie, Naturphilosophie und Angewandte Mathematik studiert, ehe er sich der Zahnmedizin und der Medizin widmete. Laut Wikipedia erhielt er 1884 als erster Ausländer eine Professur an einer deutschen Universität, und zwar für operative Zahnheilkunde an der Charité. Er studierte zudem Bakteriologie bei Robert Koch und erwarb den Doktorgrad in Allgemeinmedizin.
Miller legte Grundstein für Kariesprophylaxe
Sein Hauptwerk „The Microorganisms of the Human Mouth“ erschien 1890 und stellte die bahnbrechende und bis heute gültige Theorie auf, wonach Bakterien der Mundflora Kohlenhydrate zu Säuren abbauen, die ihrerseits den Zahnschmelz entkalken. Anschließend können Bakterien in den Zahn eindringen und das Dentin zerstören. Damit stellte er die zahnmedizinische Forschung auf eine solide biologische Basis. Alle wissenschaftlichen Arbeiten im Bereich der Kariesprophylaxe seither stützen sich bekanntlich auf Millers Forschungsarbeit.
Narkoseverfahren Thema der Tagung
Inhaltlich beschäftigte die Jahrestagung sich unter anderem mit den damals gängigen Narkoseverfahren und der daraus resultierenden Mortalität. Aus heutiger Sicht höchst interessant dürfte dabei die Feststellung sein, dass im Jahr 1905 weniger Narkotika eingesetzt wurden, weil Kokain und Novokain mit Nebennierenextrakt häufiger angewendet wurden und diese Form der Lokalanästhesie die allgemeine Betäubung in hohem Maß überflüssig machte. Außerdem stellte Zahnarzt Kunert Brückenarbeiten nach dem Gussverfahren mit Schraubenbefestigung vor. Wer mehr über die Historie des Central-Vereins erfahren möchte, dem sei die als eBook erhältliche „Geschichte des Centralvereins Deutscher Zahnärzte 1859-1909“ von Julius Parreidt empfohlen, die 1909 im Springer-Verlag erschienen ist.
Bild auf einem Antikmarkt gefunden
Dieses Foto hat eine Antikliebhaberin aus Bonn der DGZMK zur Verfügung gestellt. Sie hatte einen Fotorahmen vor Jahren auf einem Antikmarkt in Linz erworben, die historische Aufnahme bildete die Rückwand zu einer Christusszene von Ludwig Max Roth (Düsseldorf). Die Gesamtgröße des Blattes beträgt 45 mal 61 Zentimeter, es besticht durch seine Detailtreue. Das Foto wird künftig in der DGZMK-Geschäftsstelle in Düsseldorf zu bewundern sein.
Markus Brakel, Pressesprecher der DGZMK, Mettmann