Prof. Dr. Gabriele Lutz ist auf die Professur für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Witten/Herdecke (UW/H) berufen worden. Sie behandelt als leitende Ärztin am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke täglich Patientinnen und Patienten. Als Forscherin ist ihr Thema in der medizinischen Ausbildung: Was müssen gute Ärztinnen und Ärzte heute können? „Das Studium ist immer noch davon geprägt, dass sie – wie häufig kritisiert wird – Telefonbücher auswendig lernen müssen. Also sich viel Sachwissen aneignen sollen, das aber längst auf jedem Handy an jedem Ort und zu jeder Zeit abrufbar ist. Was zählt also wirklich?“, fragt sie provokant in Richtung Approbationsordnung.
Statt reinem Wissen geht es um personale Kompetenzen
Wenn reines Wissen nicht mehr im Vordergrund steht, was sollte im Rahmen der Kompetenzentwicklung von jungen Ärztinnen und Ärzte dann gefördert werden? Zunehmend wichtig werden personale Kompetenzen: Wie arbeite ich sinnvoll im Team? Wie gehe ich mit Emotionen und Konflikten um? Wie kann ich auf Patientinnen und Patienten empathisch zugehen? Das sind die Fähigkeiten, die heute wichtig sind und zunehmend noch wichtiger werden. Das sagt nicht nur Prof. Lutz, das ist das Ergebnis einer amerikanischen Studie zu den sogenannten 21st century skills. Für die Medizin hat Prof. Lutz Elemente zur Förderung der personalen Kompetenz in den Lehrplan gebracht und die Umsetzung an der UW/H erforscht: „Wir haben ein Ausbildungsformat im Studium eingeführt, das die berufliche Persönlichkeitsentwicklung in den Blick nimmt: In kleinen Gruppen besprechen die Studierenden mit zwei Mentorinnen oder MentorenFragen, Themen, Zweifel, die ihnen in ihrem Studienalltag begegnen.“ So thematisieren sie zum Beispiel die möglichen Differenzen zwischen dem Anspruch an sich selbst und ihren Beruf gegenüber der täglich erlebten Realität oder den Umgang mit dem Sterben.
Reflexion in der Praxis
Ein zweiter Teil ihrer Forschung ist im letzten Studienabschnitt der Studierenden, im praktischen Jahr (PJ) angesiedelt. In einem klinischen Reflexionstraining geht es um praxisorientierte Probleme aus dem klinischen Alltag, zum Beispiel den Umgang mit möglichen Behandlungsfehlern, Konflikte mit Mitarbeitenden oder Patientinnen und Patienten. „Bei diesem Training versetzen wir uns in der Gruppe zusätzlich zur inhaltlichen Klärung in die jeweiligen emotionalen und mentalen Perspektiven der Beteiligten, sodass ein differenzierteres Bild der Situation entsteht, aus dem kreative Ideen für das weitere Vorgehen abgeleitet werden können“, erklärt Lutz. „Wir haben die Hoffnung, dass die Studierenden das in ihr berufliches Leben mitnehmen, es an ihren späteren Stationen umsetzen und alle davon profitieren.“
Die meisten Universitäten, auch die UW/H, bieten in den ersten Semestern eines Medizinstudiums Kurse für die Patientenkommunikation an. Viele Probleme und Fragestellungen entstehen jedoch erst in der Praxis und müssen immer wieder im Alltag reflektiert und mit professionellem Feedback begleitet werden, um die notwendige personale Kompetenz zu erwerben. „Da hat die UW/H nun als ein Ergebnis meiner Arbeit ein Angebot geschaffen.“
Erleben von Sinn zur Gesundheitsförderung
Ein drittes Feld ihrer Forschung eröffnet Lutz aktuell: Wie kann der Umgang mit Sinn im ärztlichen und (psycho)therapeutischen Kontext genutzt werden, um zu einer besseren Heilung beizutragen? „Sinn findet sich für die meisten Menschen in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. Das kann zum Beispiel Sport sein, Natur, Religion, Familie und/oder der Beruf. Es gibt umfangreiche Studien dazu, dass Menschen häufig gesünder sind und schneller gesund werden, wenn sie in einem oder mehreren dieser Felder für sich selbst Sinn erleben können.“ An diesem Thema möchte Lutz in Zukunft mit eigener Forschung anknüpfen und daraus neue Ansätze für die Psychotherapie, aber auch die ärztliche Versorgung entwickeln.