Vor knapp drei Jahren, kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie, begann ich nach sechs Jahren Berufserfahrung mit dem postgradualen dreijährigen Master-of-Science-Studiengang Parodontologie und Implantattherapie an der Zahnklinik der Universität Freiburg im Breisgau unter der Leitung von Prof. Dr. Petra Ratka-Krüger. Ich entschied mich zur Spezialisierung in Parodontologie, da ich mich auf einen Bereich konzentrieren wollte, wo meine zukünftigen Fertigkeiten häufig hilfreich sein würden. Angesichts der hohen Prävalenz von Parodontitis in der Bevölkerung, den prophylaktischen, nicht-chirurgischen und chirurgischen Aspekten der Parodontitisbehandlung und dem kombiniert ästhetisch/plastischen und resektiv beziehungsweise regenerativen Behandlungsspektrum, erschien mir die Fachrichtung der Parodontologie am spannendsten.
Der Studiengang in Freiburg versprach dank „Blended Learning“, also der Kombination aus E-Learning und Präsenzphasen, ein für Privatpraktiker – ich bin Schweizer und praktiziere in der Schweiz – zeitoptimiertes Lernen. E-Learning war damals wenig verbreitet und etwa so bekannt wie das Wort Lockdown. So war ich zu Beginn noch etwas skeptisch: Konnte das mit E-Learning etwas wirklich Lehrreiches sein?
Die theoretischen Aspekte zuhause erarbeiten
Mein Semester besteht aus elf Teilnehmern zwischen 28 und 55 Jahren. Der Lehrgang beginnt immer mit einer Präsenzphase in Freiburg, wo einem das Konzept, Ablauf und alle notwendigen Fertigkeiten für das E-Learning zu Hause erklärt und beigebracht werden. Sinn des E-Learnings ist es, den Hauptteil der theoretischen Aspekte von zu Hause zu erarbeiten und nur für praktische Aspekte und Hands-on-Kurse nach Freiburg zu reisen, wodurch die Abwesenheit von der eigenen Praxis auf ein Minimum reduziert werden kann.
Montagstreff im virtuellen Klassenzimmer
Man trifft sich während der drei Jahre alle zwei Wochen am Montagabend um 20 Uhr auf „Zoom“ im „virtuellen Klassenzimmer“. Dort werden modulspezifisch während 1,5 bis zwei Stunden unterschiedliche Themen besprochen. In erster Linie Vorlesungen, aber auch Fallbesprechungen, Fragerunden oder Vor- und Nachbereitungen der Präsenzphasen in Freiburg gehören dazu. Referenten sind abwechselnd Professorinnen und Professoren verschiedener Unis, aber auch Praktikerinnen und Praktiker. IT-Spezialisten im Hintergrund sorgen dabei für einen reibungslosen Ablauf.
Zwei Tutoren begleiten über die drei Jahre
Die Online-Klassen werden von jeweils zwei Tutoren moderiert. Beide Tutoren begleiten den Jahrgang während der drei Jahre sowohl online als auch an den Präsenztagen. Anstatt die Vorlesung vor Ort auf der Beamerleinwand zu sehen, wird sie einem auf den heimischen Bildschirm projiziert. Zwischenfragen kann man per Mausklick ankünden und sich anschließend per Headset mit dem Referenten oder den Mitstudentinnen und -studenten austauschen. Da jede Sitzung aufgezeichnet wird, kann man sich diese im Nachhinein auf dem Studienportal online nochmal anschauen. So ist das Nachbearbeiten oder die Abwesenheit eines Teilnehmers kein Problem.
Studienportal mit Skripten, Übungsvideos und mehr
Neben dem „virtuellen Klassenzimmer“ gibt es auf dem Studienportal aufgeschaltete Skripte, Übungsvideos von Operationen, vertonte Lehrmedien, Übungspüfungen und vieles mehr, das man sich im Selbststudium anschaut. Echte Zwischenprüfungen an den Präsenztagen in Freiburg und Deadlines für Hausaufgaben garantieren, dass man immer am Ball bleibt.
Direkte Fortsetzung im Lockdown
Da es den Masterstudiengang in dieser Form bereits seit 2007 gibt, änderte sich für uns 2020 während des Lockdowns kaum etwas, denn wir alle waren entsprechend ausgerüstet. Folglich gab es keine Umstellung, wodurch der Zeitplan problemlos eingehalten werden konnte. Es war in dieser komplizierten Zeit eine wohltuende Erleichterung, dass zumindest der Master dank des Blended Learning sozusagen der Zeit voraus war.
Präsenztage mit vielen praktischen Übungen
Präsenzphasen finden zirka dreimal pro Jahr statt – immer kombiniert mit dem Wochenende. Sie dauern meistens zwei bis drei Tage (maximal sechs Tage). Neben einem theoretischen Anteil im Vorlesungssaal ist man immer manuell aktiv. Hierzu gehören zum Beispiel Operationstechniken am Schweinekiefer, wobei Naht- und Schnitttechniken, Lappendesigns, Rezessionsdeckungen, Schleimhaut- und Bindegewebstransplantate, Verschiebe- und Rolllappen, Implantationen oder Gingiva-Verdickungen geübt werden. Es gehören aber auch nichtchirurgische Aspekte wie korrektes Scaling, Diagnoseübungen an Mitstudenten oder ästhetische Korrekturen von parodontal geschädigten Zähnen mit Komposit am Kunststoffmodell zum Programm.
Anatomiekurs am Humanpräparat besonders wertvoll
Eine schöne Überraschung war die Anatomiepräsenz in der Anfangsphase des Studiengangs, wobei für zwei Studierende jeweils ein halber Kopf eines Humanpräparats zur Verfügung stand. Hier konnten wir die heiklen Strukturen, die manch einen Chirurgen nervös machen, wie die Arteria palatina major oder der Nervus lingualis, freipräparieren, um zu verstehen, wie man sie beim lebenden Menschen natürlich möglichst vermeidet.
Im Gegensatz zum Grundstudium, wo wir ebenfalls an Humanpräparaten die Anatomie studieren konnten, wurde dank der praktischen Erfahrung der vergangenen Jahre die Bedeutung einer freipräparierten Struktur deutlich, was mir bei zukünftigen Operationen oder Weisheitszahnextraktionen helfen wird. Neben dem Präparieren von heiklen Strukturen konnte die Zeit genutzt werden, um am Humanpräparat unter Anleitung zum Beispiel ein Schleimhauttransplantat zu präparieren, ein Bindegewebstransplantat zu entnehmen oder ein Sinuslift zu üben.
Gerade für Zahnärztinnen und Zahnärzte mit wenig chirurgischer Erfahrung hilft es, die tatsächliche Konsistenz von menschlichem Gewebe unter dem Skalpell zu spüren, anstatt nur am Kunststoffmodell oder am Schweinekiefer zu üben. Da die Betreuung durch genügend ausgebildete Spezialisten vor Ort gewährleistet ist, konnte so auch auf individuelle Bedürfnisse Rücksicht genommen werden.
Live und betreut vom Spezialisten einen Patienten operieren
Das Highlight jedoch war die Präsenzeinheit des Chirurgie-Moduls. Hier wurde jedem Studierenden ein Patient zugeteilt, bei dem plastische oder korrektive Parodontalchirurgie notwendig war. Die Vorbehandlung wurde an der Klinik bereits durchgeführt. Die Patientenfälle wurden einem im Vorfeld zur Vorbereitung der OP online zugeschickt. Während der Präsenz operierte man selbst unter Betreuung eines Spezialisten, wobei ein Mitstudent assistierte. Am Tag danach wechselte man die Plätze und assistierte seinem Mitstudenten, wieder unter Anleitung eines Spezialisten. So profitiert man doppelt.
Ich konnte dadurch in Freiburg meine erste Rezessionsdeckung mittels palatinal entnommenen Bindegewebstransplantat vornehmen und dadurch folglich das Gleiche in der eigenen Praxis mit mehr Selbstvertrauen und ohne Betreuung erfolgreich wiederholen.
Modularer Aufbau der Fortbildung
Die dreijährige Ausbildung ist in verschiedene Module unterteilt. So beginnt man klassischerweise mit der Wiederaufarbeitung der Grundlagen, also der Anatomie, Diagnostik, Mikrobiologie, Pathogenese und der Pharmakologie. Dann jedoch wird es bereits sehr praxisbezogen und man erarbeitet intensiv das Prophylaxe- und Behandlungskonzept und geht anschließend über in die chirurgische PA-Therapie, die einen Großteil der Ausbildung einnimmt.
Zum Schluss wird der Fokus auf die Wiederherstellung des parodontal geschädigten Gebisses gelegt, wobei die Implantologie ausführlich besprochen und erlernt wird und hierbei auch intensiv das Weichgewebsmanagment beleuchtet wird. Abgerundet wird das Ganze mit funktionellen und ästhetischen Aspekten der Restbezahnung. Wer nicht den kompletten dreijährigen Studiengang belegen will, kann auch nur einzelne Module besuchen. So kam es öfters vor, dass für einzelne Module neue Gesichter kurzzeitig dabei waren, online und vor Ort in Freiburg.
Sechs eigene Patientenfälle dokumentieren
Durch die logische und aufbauende Gliederung des Studiengangs konnte man alle Aspekte kontinuierlich in die eigene Praxis implementieren. Hierbei hilft, dass zum erfolgreichen Abschluss des Studiengangs nebst der Masterarbeit auch sechs eigene Patientenfälle aus der Praxis schriftlich und fotografisch dokumentiert werden müssen. Die Dokumentationen sind zwar zeitintensiv und aufwendig, jedoch wird man dadurch kontinuierlich zum Selbststudium der Lernunterlagen animiert.
Tauchen während des Prozesses Fragen auf, bleibt im „virtuellen Klassenzimmer“ Zeit, um Zweifel oder Fragen zu besprechen, oder man schreibt es in den Semesterchat des Studienportals. Bleibt man von Beginn an am Ball und startet mit den Falldokumentationen frühzeitig, reichen die drei Jahre aus, um rechtzeitig alle Fälle abzuschließen.
Da unsere Praxis in Lenzburg im Kanton Aargau der Schweiz vom Behandlungsspektrum her seit 30 Jahren eine allgemeinzahnärztliche Praxis mit Schwerpunkt Parodontologie ist, war es für mich einfach, sechs geeignete Fälle zur Dokumentation im Patientenstamm zu finden, da bei uns ein parodontologisches Konzept bereits etabliert war. Aber auch die Kolleginnen und Kollegen im Studiengang konnten dank des Masterstudiengangs ihr Praxiskonzept während der drei Jahre kontinuierlich dem erlernten Konzept anpassen und so ihre sechs Fälle rechtzeitig beenden.
Kontinuierlicher Wissensaustausch wird fehlen
Nun schließe ich im Herbst 2022 die Spezialisierung ab und kann sagen, dass meine anfänglichen Zweifel bezüglich des E-Learnings absolut unbegründet waren. Das „Blended Learning“ ist für engagierte Privatpraktiker das ideale Konzept, um ohne große Einbußen in der eigenen Praxis eine seriöse und lehrreiche Spezialisierung in Angriff zu nehmen, die dem Behandler, dem Team und vor allem den Patienten zugutekommt. Dank diesem Master und der vertieften Auseinandersetzung mit dem Thema und den chirurgischen Methoden fühle ich mich für die berufliche Zukunft nun optimal gewappnet.
Der kontinuierliche Wissensaustausch alle zwei Wochen am Montagabend wird mir in Zukunft fehlen. Ich danke allen Beteiligten, die dieses Lehrkonzept erarbeitet haben und uns die Spezialisierung auf diesem Weg ermöglichen.
Dr. med. dent. Mathias von Sparr, Lenzburg
Dr. med. dent. Mathias von Sparr (Jahrgang 1986) wurde in Stans im Schweizer Kanton Nidwalden geboren. Er absolvierte sein Studium der Zahnmedizin von 2008 bis 2013 an der Universität Bern und legte dort 2013 auch sein Staatsexamen der Zahnmedizin zum eidgenössisch diplomierten Zahnarzt ab. Im Jahr 2014 erfolgte die Promotion zum Doktor der Zahnmedizin (Dr. med. dent) ebenfalls an der Universität Bern.
Von 2013 bis 2016 war er als Assistenzzahnarzt in der von der Schweizerischen Zahnärztegesellschaft SSO zertifizierten Weiterbildungspraxis von Dr. med. dent. Christoph Eichenberger in Reinach, Kanton Aargau, tätig. 2017 erlangte er den Weiterbildungsausweis SSO für allgemeine Zahnmedizin und schloss bis 2019 eine weitere Tätigkeit als Assistenzzahnarzt in der SSO-zertifizierten Weiterbildungspraxis von Dr. Hubert Meier in Hergiswil im Kanton Nidwalden an.
Seit Juli 2019 ist Dr. von Sparr als Zahnarzt in der Praxis Dr. Lamezan & von Sparr in Lenzburg im Kanton Aargau niedergelassen. Im Oktober 2019 begann er das postgraduale Universitätsstudium zum Master of Science (M.Sc) für Parodontologie und Implantattherapie an der Zahnklinik der Universität Freiburg im Breisgau unter der Leitung von Prof. Dr. Petra Ratka-Krüger.