Der Fallbericht stellt die Langzeitergebnisse der Behandlung zweier oberer Schneidezähne mit Wurzelquerfraktur bei einer 19-jährigen Patientin mit aggressiver Parodontitis vor. Aufgrund eines ausgedehnten marginalen Knochenverlustes und der Nähe der Frakturlinien zu den Taschenböden war die Prognose beider Zähne zum Zeitpunkt des Unfalls ungewiss. Dennoch wurde eine konservative Behandlung mit Schienung und nicht chirurgischer Parodontitistherapie eingeleitet. Die Nachuntersuchung 12,5 Jahre nach Behandlungsbeginn ergab eine aus klinischer und radiologischer Sicht stabile Situation. Eine dauerhafte Schienung an den Nachbarzähnen und eine regelmäßige unterstützende Parodontitistherapie waren die Basis für eine günstige Langzeitprognose.
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Einleitung
Eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst den Erhalt und die Prognose wurzelquerfrakturierter Zähne. Dazu zählen Patientenalter, Stadium des Wurzelwachstums, Lokalisation der Fraktur, Mobilität des koronalen Fragments, Dislokation und Diastase5. Viele Studien belegen, dass Zähne mit horizontalen Wurzelfrakturen eine gute Prognose haben, sofern eine adäquate Behandlung erfolgt4,9,17. Als Therapie der Wahl gilt die Reposition des dislozierten Fragments und seine Schienung. Der Schienungszeitraum beträgt 4 Wochen. Frakturen im zervikalen Bereich können allerdings eine längere Schienungszeit von bis zu 3 Monaten erforderlich machen, insbesondere dann, wenn das koronale Fragment sehr beweglich ist6.
Wurzelquerfrakturen sind mit 0,5 bis 7 Prozent aller dentalen Traumata eher selten3 und heilen entweder bindegewebig (48 bis 66 Prozent) oder mit einem Hartgewebskallus (18 bis 30 Prozent) aus. Bei 16 bis 22 Prozent der betroffenen Zähne kommt es zu keiner Heilung, und bei 20 bis 44 Prozent tritt eine Pulpanekrose ein, welche eine Wurzelkanalbehandlung des koronalen Segments erforderlich macht8.
Nachfolgend wird über den langfristigen Erhalt zweier oberer Inzisivi mit ungünstiger, weit zervikaler Wurzelfraktur über einen Zeitraum von 12 Jahren berichtet. Ausgangsbefunde, Therapie und die Nachuntersuchung 3,5 Jahre nach Trauma waren bereits Gegenstand eines 2007 publizierten Fallberichts16.
Fallbericht
Behandlung nach Trauma
Einen Tag nach einem Sturz auf die Oberkieferfrontzähne wurde die damals 19-jährige Patientin 2002 in die Poliklinik für Zahnerhaltung des Universitätsklinikums Tübingen überwiesen (Abb. 1). Bei der klinischen und radiologischen Untersuchung wurden Wurzelquerfrakturen der Zähne 11 und 21 in Kombination mit einer ausgeprägten Parodontitis festgestellt (Abb. 2 und 3). Die medizinische Anamnese war unauffällig.
Die beiden koronalen Fragmente zeigten eine auffallend hohe Mobilität. Zusätzlich wiesen die Zähne erhöhte Sondierungstiefen und einen horizontalen Knochenabbau auf. Eine mögliche Kommunikation des Bruchspaltes mit der Mundhöhle konnte nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden.
Aufgrund des ungünstigen Frakturverlaufs, des durch die unbehandelte Parodontitis bedingten Knochenverlustes und der hohen Zahnbeweglichkeit erschien ein langfristiger Zahnerhalt fraglich, was die Entscheidungsfindung bezüglich der bei der jungen Patientin zu wählenden Therapie erschwerte. Trotz der unsicheren Prognose wurde der Versuch zur Erhaltung der betroffenen Zähne in Betracht gezogen, da alternative, invasivere Behandlungsoptionen wie eine Extrusion der apikalen Fragmente oder eine Implantatinsertion mit anderen Risikofaktoren verbunden waren.
Es erfolgte eine umfassende Aufklärung der Patientin über die Behandlungsmöglichkeiten und die vorliegende Parodontitis. Der Entschluss zugunsten des Zahnerhalts fiel auch deswegen, weil die zuvor genannten Therapiealternativen bei eventuell auftretenden Komplikationen weiterhin zur Verfügung gestanden hätten.
Mittels systematischer Parodontitistherapie sollte ein weiterer Attachmentverlust verhindert und die Zahnbeweglichkeit minimiert werden, um so einer möglichen Infektion des Bruchspalts über die Kommunikation mit der Mundhöhle vorzubeugen. Zur Unterstützung des Heilungsprozesses der Wurzelquerfrakturen wurden die Zähne mit Hilfe einer Titan-Ringschiene (Mondeal Medical Systems) für 3 1/2 Monate fixiert.
Aufgrund der vorliegenden Befunde erschien die Diagnose einer aggressiven Parodontitis nach damaliger Klassifikation am zutreffendsten. (Gemäß der neuen Klassifikation der Parodontalerkrankungen entspricht dies einer Parodontitis generalisiert Stadium II, lokalisiert Stadium III, Grad C.) Dafür sprachen der altersuntypische erhöhte Attachmentverlust insbesondere an den Molaren und Inzisivi (Abb. 4a), der auf eine schnelle Progression der Parodontalerkrankung schließen ließ, sowie die Familienanamnese väterlicherseits der klinisch gesunden Patientin.
Vor der Behandlung erfolgte eine mikrobiologische Untersuchung der subgingivalen Plaque mittels Gensondentest (PadoTest 4.5, Institut für Angewandte Immunologie IAI, Zuchwil, Schweiz). Das Testergebnis (Typ 3) wies auf eine moderate Parodontalerkrankung hin. Die daraus abgeleitete Therapieempfehlung einer subgingivalen Reinigung wurde umgesetzt. Da Aggregatibacter actinomycetemcomitans nicht nachgewiesen wurde und die Zahl parodontopathogener Keime (Porphyromonas gingivalis, Treponema denticola, Tannerella forsythensis) verhältnismäßig niedrig war, konnte auf eine adjuvante Antibiotikagabe verzichtet werden.
Bei der 8 Wochen später vorgenommenen parodontalen Reevaluation ergaben sich weiterhin erhöhte Sondierungstiefen (Abb. 4b). Daraufhin wurden alle Parodontien erneut gereinigt (Piezon Master 400, EMS; Spülflüssigkeit Betaisodona 1:4 verdünnt, Mundipharma). Nach weiteren 2 Monaten konnte eine deutliche Reduktion der Sondierungstiefen festgestellt werden (Abb. 4c).
Im Rahmen der initial durchgeführten Kontrollen bei den Zähnen 11 und 21 zeigten sich keine klinisch und radiologisch sichtbaren pathologischen Veränderungen im Sinne eines Sensibilitätsverlustes, einer Infektion des Bruchspalts oder einer Verschlechterung der parodontalen Situation. Während der ersten beiden Jahre nach dem Trauma erschien die Patientin alle 4 bis 6 Monate zur unterstützenden Nachsorge (Abb. 4d). Aufgrund des weiten Anfahrtsweges wurden die weiteren klinischen und röntgenologischen Kontrollen sowie die unterstützende Parodontitistherapie von ihrem Hauszahnarzt durchgeführt.
12 Jahre nach dem Trauma und der Behandlung stellte die Patientin sich wieder zu einer Kontrolluntersuchung in der Poliklinik für Zahnerhaltung des Universitätsklinikums Tübingen vor.
Kontrolluntersuchung 12 Jahre nach Trauma
Die in der Frontzahnregion erhobenen Befunde (Abb. 5) wie Sensibilitätstest, Zahnfarbe, Perkussion, Zahnmobilität und Sulkussondierungstiefen zeigten im Vergleich mit den Befunden vor 12 Jahren wenig Veränderungen. Die Zähne 11 und 21 reagierten auf den CO2-Kältetest, der Perkussionstest verlief unauffällig und Zahnverfärbungen lagen nicht vor. In der Oberkieferfront wurde an Zahn 21 eine singuläre Sondierungstiefe von 4 mm ohne Blutung festgestellt, alle anderen Werte im oberen Frontzahnbereich waren unauffällig (Abb. 4e). Das 12 Jahre nach dem Trauma angefertigte Röntgenbild der betroffenen Zähne ließ auf eine Heilung über die Interposition von Bindegewebe schließen (Abb. 6). Die Frakturkanten erschienen abgerundet, und das Endodont zeigte sowohl im apikalen als auch im koronalen Fragment Obliterationszeichen. Die Distanz zwischen Limbus alveolaris und Frakturlinien erschien im Vergleich mit den Ausgangsröntgenbildern unverändert oder sogar leicht vergrößert. Als Ergebnis einer erfolgreichen Parodontalbehandlung wurde der gut kortikalisierte Alveolarknochen im oberen Frontzahnbereich gewertet. Es fanden sich keine Hinweise auf endodontisch bedingte entzündliche Veränderungen. Der durchgeführte IAI-PadoTest ergab einen unauffälligen mikrobiologischen Befund (Typ 1), was eine Verbesserung gegenüber dem initialen Resultat (Typ 3) darstellt.
Die vier Oberkieferschneidezähne waren palatinal mit einem runden verseilten kieferorthopädischen Draht (0,45 mm) adhäsiv geschient. Den Retainer hatte der Hauszahnarzt 1 Jahr zuvor wegen einer anscheinend zunehmenden Lockerung der Zähne eingegliedert. Trotz der verbliebenen Beweglichkeit der betroffenen Zähne, die möglicherweise auf den recht flexiblen Retainer zurückzuführen war, erklärte die Patientin, dass sie sich an die Situation gewöhnt habe und weder aus ästhetischen noch aus funktionellen Gründen Handlungsbedarf sehe. Sie war über die Jahre hoch motiviert geblieben. 2011 führte der Hauszahnarzt erneut eine nicht chirurgische Parodontitistherapie durch. Möglicherweise hatten zwei Schwangerschaften (2008 und 2011) und die damit verbundenen hormonellen Veränderungen sich ungünstig auf die parodontale Situation ausgewirkt. Durch die im Jahr 2011 erfolgten Maßnahmen, die frühere Parodontalbehandlung und die konsequent fortgesetzte unterstützende Parodontitistherapie konnte ein weiterer Attachmentverlust gering gehalten werden. Dies wirkte sich positiv auf den Erhalt der beiden Inzisivi aus.
Nach Angaben der Patientin waren 2011 bei ihr auch zwei Implantate zum Ersatz der nicht angelegten Prämolaren 35 und 45 inseriert worden (Abb. 7). Darüber hinaus unterzog sie sich nach wie vor einer regelmäßigen unterstützenden Parodontitistherapie bei ihrem Hauszahnarzt.
Diskussion
Die Therapie von wurzelquerfrakturierten Zähnen ist in der Literatur gut untersucht4-9,17 und wird durch internationale Behandlungsrichtlinien abgesichert10. Im vorliegenden Fall korrelierte der Versuch zur Erhaltung der Zähne 11 und 21 mit einer ungünstigen und schwierigen Ausgangssituation. Diese ergab sich aus der Lage des Frakturspaltes in Relation zum Taschenfundus, einer nicht unerheblichen Beweglichkeit und Dislokation sowie einer Diastase der Fragmente in Kombination mit einer aggressiven Parodontitis. Daher mussten verschiedene Behandlungsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden.
Als Therapiealternative zur vollständigen Entfernung der Zähne für den Fall, dass sich doch eine Kommunikation des Bruchspalts mit der Mundhöhle ergibt, gilt die orthodontische Extrusion der apikalen Fragmente zum Erhalt und zur Stabilisierung des Knochenniveaus für eine spätere Implantation14. Bei der hier vorgestellten Patientin waren die kurzen Fragmente nicht als Pfeiler für die Versorgung mit festsitzenden Restaurationen geeignet.
Vollkeramische Adhäsivbrücken stellen eine minimalinvasive Behandlungsmöglichkeit zum Ersatz von Frontzähnen18 dar und weisen eine hervorragende klinische Langlebigkeit auf, insbesondere wenn ein einflügeliges Design gewählt wird12. Im vorliegenden Fall wäre für den Ersatz beider mittlerer Frontzähne eine zweiflügelige Variante mit Verankerung an den seitlichen Schneidezähnen notwendig gewesen. Diese hat sich im Vergleich zur einflügeligen Variante als nachteilig erwiesen und scheint mit einer höheren Misserfolgsquote verbunden zu sein13. Darüber hinaus muss bei Einbeziehen der seitlichen Schneidezähne mit reduziertem Parodontalgewebe als Pfeilerzähne von einem größeren Misserfolgsrisiko ausgegangen werden.
Eine Versorgung mit Implantaten wurde aufgrund der längerfristig zu erwartenden Infraposition der Implantatkronen, welche insbesondere bei jungen Frauen im Oberkieferfrontzahnbereich auftreten kann, nicht in Erwägung gezogen11. Außerdem wäre die Insertion von zwei benachbarten Implantaten in der parodontal geschädigten ästhetischen Zone eine Herausforderung gewesen, zumal bei einer bestehenden aggressiven Parodontitis mit einem signifikant höheren Verlustrisiko als bei parodontal gesunden Patienten gerechnet werden muss15.
Unter Berücksichtigung all dieser Überlegungen erschien ein Versuch zur Erhaltung der betroffenen Zähne gerechtfertigt. Die zum damaligen Zeitpunkt verwendete starre Schiene steht im Widerspruch zu neueren Richtlinien, welche bei Wurzelquerfrakturen die Eingliederung flexibler Schienen empfehlen10. Allerdings war aufgrund des Knochenabbaus in der Oberkieferfront und des damit verbundenen erhöhten Lockerungsgrades der nicht traumatisierten Zähne trotz des Einsatzes der starren Schiene eine absolute Immobilisierung ohnehin unwahrscheinlich. Daher kann davon ausgegangen werden, dass die Schiene die natürlichen Heilungsvorgänge nicht beeinträchtigt hat.
Wurzelkanalbehandlungen der betroffenen Zähne wurden nicht eingeleitet, da diese während des gesamten Beobachtungszeitraumes auf den Kältetest reagierten. Es ist jedoch bekannt, dass das Testen der neuralen Versorgung der Pulpa nicht notwendigerweise ihren tatsächlichen Vitalitätszustand widerspiegelt. Ein falsch negatives Ergebnis kann möglich sein, wenn das gegenüber Entzündungen hoch resistente pulpale Nervensystem trotz Nekrose oder Funktionsverlust der umliegenden Gewebe reaktiv bleibt1.
Die radiologische Untersuchung nach 12 Jahren ergab eine Obliteration des Pulpenkavums sowohl im apikalen als auch im koronalen Fragment. Dies kann als indirektes Zeichen für Vitalität gedeutet werden. Darüber hinaus wurde gezeigt, dass eine beide Fragmente betreffende Obliteration einen Indikator für eine bindegewebige Heilung darstellt2.
Zweifelsohne darf die Erhaltung der stark traumatisierten Zähne 11 und 21 über einen Zeitraum von 12 Jahren als Erfolg eingestuft werden, auch wenn es nicht zur optimalen Art der Frakturheilung kam, welche in der Verbindung der Fragmente über eine Hartgewebsbrücke bestanden hätte. Entsprechend blieb aufgrund der ungünstigen Kronen-Wurzel-Verhältnisse und der flexiblen Schienung eine Restmobilität der betroffenen Zähne bestehen, wodurch sich die Patientin allerdings nicht beeinträchtigt fühlte.
Die im Rahmen der Kontrolluntersuchung nach 12 Jahren erhobenen klinischen und radiologischen Befunde sowie die Durchführung eines mikrobiologischen Testes bestätigten den stabilen Parodontalzustand der oberen Frontzähne. Als glücklicher Umstand ist zu werten, dass das dentale Trauma letztlich den Anlass gab, eine schon bestehende Parodontitis zu diagnostizieren und zu therapieren.
Fazit
Die trotz ungünstiger Rahmenbedingungen erfolgreiche Langzeiterhaltung der wurzelfrakturierten Zähne bei der hier vorgestellten Patientin sollte dazu ermutigen, in ähnlichen Fällen einen Zahnerhalt anzustreben.
Hinweis
Die englischsprachige Originalfassung dieses Beitrags ist unter dem Titel „12 years’ preservation of maxillary permanent incisors with cervical root fractures adjacent to aggressive periodontitis: Report of a case“ in der „Quintessence International“ erschienen (Quintessence Int 2018;49:543-548).
Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de
Ein Beitrag von Dr. Sandra Tobiska, Tübingen, und Prof. Dr. Gabriel Krastl, Würzburg