Die flächendeckende Mundgesundheit von Kindern und Jugendlichen – damit befasst sich die Landesarbeitsgemeinschaft für Zahngesundheit Baden-Württemberg (LAGZ). Die gemeinnützige Einrichtung feiert dieses Jahr ihr 70-jähriges Jubiläum. Doch wie genau wird diese Aufgabenstellung umgesetzt? Ein wesentlicher Bestandteil ist die Gruppenprophylaxe in Kindertagesstätten, Grund-, Haupt- und Förderschulen sowie an weiterführenden Schulen. Wie läuft das ab? Was passiert da eigentlich? Ein Blick hinter die Kulissen zeigt die tägliche Arbeit der Prophylaxe-Fachkräfte und den Umgang mit der jungen Generation.
Kuscheltier Felix gehören zum Equipment
Felix – der Hase – spickt durch die Türe. Das Kuscheltier will wissen, ob die Kinder schon bereit sind für seinen Auftritt. „Jaaaa!“, schallt es gemeinschaftlich aus dem Gruppenraum der Frösche. Später wird er auch noch das Team Tiger besuchen, um ihnen allerhand zur Mundhygiene zu erzählen. Mit im Schlepptau hat der kleine Geselle aus Fell einen riesigen Koffer. Was da wohl drin ist? Vesperbrötchen oder Gummistiefel? „Zahnsachen!“, behauptet der kleine Jonas ganz selbstbewusst.
Sowohl das Kuscheltier als auch der Koffer gehören zum Equipment von Petra Wulff. Die Prophylaxe-Fachkraft der LAGZ absolviert heute in einem Esslinger Kinderhaus ihre Termine. Bereits seit 1995 ist sie täglich im Dienst der Zahngesundheit unterwegs. Als Fachfrau für Zahngesundheit und Zahnmedizinische Fachangestellte arbeitete sie viele Jahre in einer Zahnarztpraxis, befasst sich mit der Individualprophylaxe der Patienten. Nach der Elternzeit entschied sie sich für die Tätigkeit bei der LAGZ.
Im Kindergarten hängen bunte Luftballons aus Papier an der Wand. Am Fenster kleben kreative Zeichnungen von Bäumen. Und an der Seite gluckert ein Aquarium. Die 15 Kinder sitzen im Stuhlkreis, freuen sich schon auf den angekündigten Besuch. Lukas im rot-weißen Ringelshirt ist total konzentriert, bohrt sich nervös in der Nase. Die Spannung ist groß, alle halten sich die Augen zu – dann zaubert Petra Wulff plötzlich eine große rote Zahnbürste aus dem Koffer.
Gruppenprophylaxe: breitenwirksam und flächendeckend
Wer weiß etwas über Milchzähne? Die Kleinen sprudeln vor Begeisterung: „Bei Ben hat der Zahn schon mit vier gewackelt und mit fünf ist er dann rausgefallen“, weiß sein Nebensitzer zu berichten. „Ich habe hier einen Wackelzahn“, freut sich Mohammed und reißt den Mund weit auf, um mit dem Zeigefinger ganz tief hinein zu zeigen. „Hier hinten habe ich schon neue Zähne!“, sagt die sechsjährige Sana stolz. Und Jounes hat mitbekommen, dass die Leute im Altersheim nur noch zwei Zähne vorne unten haben.
Ob Karies- oder Parodontalprophylaxe, ob Ernährungsaufklärung oder -beratung, ob Früherkennung oder Zahnschmelzhärtung: Die qualifizierten Prophylaxe-Fachkräfte der LAGZ sind täglich im gesamten Bundesland unterwegs. Die Aufgabe besteht darin, Gruppenprophylaxe breitenwirksam und flächendeckend durchzuführen. Mehr als 200 Prophylaxe-Fachkräfte sowie Zahnärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes sind in Baden-Württemberg im Einsatz. Unterstützt werden sie von mehr als 700 niedergelassenen Zahnärzten, die als Patenzahnärzte agieren.
Fehlende Aufmerksamkeit im Elternhaus
Valentino weiß, dass beim Hai die Zähne immer wieder nachwachsen. „Bei uns Menschen ist das nicht so, daher müssen wir auf unsere Zähne gut aufpassen und sie pflegen“, mahnt Wulff. Jeder darf jetzt die XL-Zahnbürste in die Hand nehmen und hoch in die Luft strecken – aber nur, wer heute früh die Zähne auch geputzt hat. Das klappt bei allen gut – bis auf Jonas: „Meine Mama macht das auch nie, also ich auch nicht.“ Mohammed verrät, dass er morgens nur putzt, wenn er bei der Oma zu Besuch ist. Kira hingegen ist morgens und abends mit der Zahnbürste beschäftigt. Leticia hat manchmal keine Lust, vor allem wenn sie müde ist. „Ich putze nur morgens“, erwidert die kleine Mullai.
Kariesrisikogruppen werden immer größer
Mit viel Einfühlungsvermögen, pädagogischem Fingerspitzengefühl und kindgerechter Ausdrucksweise erklärt Wulff, dass Zähneputzen mindestens zwei Mal am Tag wichtig ist, völlig unabhängig von Herkunft oder Nationalität. Neben den gruppenprophylaktischen Maßnahmen geht es der LAGZ auch darum, Erziehungsberechtigte rund um Mundhygiene, Fluoridierungsmaßnahmen und gesunde Ernährung zu informieren.
Wulff merkt an: „Die Kariesrisikogruppen werden immer größer, nicht in jedem Elternhaus ist Aufmerksamkeit für das Thema vorhanden. Was vor 20 Jahren noch wichtig war, verliert an Bedeutung, wird vielen Kindern nicht mehr vorgelebt.“ Dabei ist der Beitrag der Eltern ganz entscheidend für den langfristigen Erfolg, wie Wulff betont: „In der Kita wird geübt – Eltern putzen Kinderzähne sauber.“
Styroporzahn Moritz hat Zahnweh
Inzwischen hat sich Max, der blitzblank saubere und lächelnde Styroporzahn, zu den Kindern gesellt. Sein Bruder Moritz hingegen hat Zahnweh – kein Wunder, mit so einem großen schwarzen Loch. Sana zieht ihr Blümchenkleid zurecht und weiß sofort: das heißt Karies. Nikolas, der seinen Stoff-Dinosaurier nicht aus den Fingern lässt, ergänzt: „Der muss zum Zahnarzt!“ Wer isst Süßigkeiten zum Frühstück? Und wer hat gesunde Sachen dabei? Meryen mag den Apfel, wenn er hart ist und Ron die italienische Wurst. Benedikt zuckt erst die Schultern, dann fallen ihm die Reiswaffeln ein. Dass sich Zähne überhaupt nicht über Gummibärchen und andere Süßies freuen, da ist sich Ben sicher. Die anderen füllen die Liste auf mit Lollis, Zuckerwatte und Kakao.
Durch Bewegung die Aufmerksamkeit zurückerobern
Apropos Bakterien: „Die sind kleiner als Ameisen, kann man gar nicht sehen!“, stellt Jonas fest. Alle klatschen im Takt und sagen dabei im Chor die wichtigen Begriffe auf: Karies, Säure, Bakterien. Mit viel Interaktion, abwechslungsreicher Didaktik und Wiederholungen hält Wulff die Kinder bei der Stange. Immer wieder baut sie Bewegung ein, um die Aufmerksamkeit zurückzuerobern. Inzwischen ist auch Matteo im Sitzkreis auf dem Boden angekommen, anfangs wollte er weder seinen Namen nennen noch mitmachen.
Die LAGZ bietet viele Aktionen und Aktivitäten. So gibt es Hörspiele für Kindergarten und Grundschule, moderne Lehrfilme stehen seit 2023 als Material sowohl Eltern, pädagogischen Fachkräften als auch Kindern zur Verfügung. Während anfangs die unermüdlichen Fachkräfte noch mit Gebiss und Zahnbürste unterwegs waren, nutzen sie längst Maskottchen in Form von Handpuppen und zeitgemäße Videos.
Motorische Entwicklung bei Kindern
„Habt ihr Lust auf Zähneputzen? Nehmen wir jetzt alle die große Zahnbürste nacheinander in den Mund?“, will Wulff provokant wissen. Sie erntet ein lautstarkes „Neeeeee!“ aus der Runde. Stattdessen trifft sich die Gruppe im Waschraum, jedes Kind darf sich aus der großen Tüte eine eigene neue Zahnbürste aussuchen. Wo muss der Daumen hin? Wie viel Zahnpasta braucht es? Wie riecht die? Beim gemeinsamen Putzen geht es erst hin und her an den Backenzähnen, dann wird der Mund geschlossen, damit sich die Bürste rundherum im Kreis bewegt und anschließend in die Backenseite rutscht. Dass der dreijährige Benedikt das besonders gut kann, fällt Wulff gleich auf. Und auch, welche Kinder in ihrer motorischen Entwicklung wie weit sind – erst recht, wenn daheim nur elektrisch geputzt wird.
Gesundheitserziehung durch Stärkung von Kompetenz und Selbstverantwortung
1,5 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter bis 16 Jahren in etwa 7.000 Kindertagesstätten und rund 4.100 Schulen werden in Baden-Württemberg von der LAGZ begleitet. Hinzu kommt die frühkindliche Betreuung der unter Dreijährigen in Kindertagesstätten sowie die Betreuung von Menschen mit Behinderung.
Die Gesundheitserziehung durch Stärkung von Kompetenz und Selbstverantwortung ist ein wesentlicher Aspekt. „Die Arbeit gibt mir viel, ich betreue Kinder zwischen einem Jahr und 15 Jahren. Jeder Tag ist anders und ich weiß nie, was mich in einer Einrichtung so erwartet“, reflektiert Wulff. Was ihr auffällt: dass viele Kinder nicht regelmäßig zum Zahnarzt gehen. Für die zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen zu sensibilisieren, gehört ebenfalls zu den Aufgaben der LAGZ. Hinzu kommt die Reizüberflutung an Lebensmitteln: „Gerade Emigranteneltern sehen, was es hier alles zu kaufen gibt. Auch wenn es Eltern gut meinen: Zucker gehört zumindest nicht morgens auf den Speiseplan.“