Dass Zucker aufgrund seiner Kariogenität schädlich für die Zähne ist, ist nicht neu. Auch nicht, dass Zucker zu Diabetes führen kann und mitverantwortlich ist für Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Atherosklerose. Aber das Ausmaß der Schädlichkeit von Zucker wurde wohl bisher wohlweislich verschwiegen.
Darüber hinaus wurde vonseiten der Zuckerindustrie – nach dem Vorbild der Zigarettenindustrie – mit eigenen oder geförderten Studien eine passende Datenlage geschaffen, die sich eher auf die Fette als Wurzel allen Übels stürzten.
Hochgradig verarbeitete, hochkalorische Produkte im Übermaß
Die Organisation Food Watch erklärt die Lage folgendermaßen: „Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor einer globalen Fettleibigkeitsepidemie. In Deutschland gelten 15 Prozent der Kinder und etwa 60 Prozent der Erwachsenen als zu dick. Sie haben ein höheres Risiko für Diabetes Typ 2 und andere chronische Erkrankungen beispielsweise des Herzens. Das verursacht neben dem individuellen Leid erhebliche gesamtgesellschaftliche Kosten: Allein die Folgekosten durch Adipositas betragen in Deutschland Schätzungen zufolge etwa 63 Milliarden Euro – pro Jahr!
Der wesentliche Grund für diese Entwicklung: Das Lebensmittelangebot hat sich in den vergangenen Jahrzehnten massiv gewandelt. Jederzeit und überall sind hochkalorische, hochgradig verarbeitete und zuckerreiche Lebensmittel im Übermaß verfügbar. Die Hersteller verstärken durch ihre Marketingaktivitäten das Problem: So enthalten 90 Prozent aller Lebensmittel und Getränke, die an Kinder vermarktet werden, zu viel Fett, Salz und Zucker.“
Dieses Übermaß hat Folgen: Die Zunahme von Fettsucht bei Kindern übertrifft alle früheren Annahmen und ist zu einer dramatischen Bedrohung ihrer Gesundheit geworden, so die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme.
Verbindliche gesetzliche Vorgaben gefordert
Foodwatch fordert statt freiwilliger Selbstverpflichtung der Industrie verbindliche gesetzliche Vorgaben und schlägt folgende vor:
- Mehrwertsteuer für Obst und Gemüse abschaffen
- Verbindliche Ampelkennzeichnung vorschreiben
- Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel beschränken
- Sonderabgabe auf Zuckergetränke einführen
- Mindeststandards für Kita- und Schulessen festlegen
Viele Maßnahmen nötig
Es werden wohl verschiedene Maßnahmen notwendig sein, um ein tatsächliches Umdenken der Menschen zu bewirken – und auf der Gegenseite stehen starke Gegner: Neben der zuckererzeugenden und -verarbeitenden Industrie ist es das eigene Verlangen, gegen das jeder Einzelne ankämpfen muss. Denn der ständigen Verfügbarkeit von Zucker und Süßigkeiten kann man sich kaum entziehen – eine ebenso präsente Aufklärung von öffentlicher Seite über die Schädlichkeit von Zucker, in ihrer Deutlichkeit vergleichbar mit der Zigarettenkennzeichnung, findet nicht statt.
Rolle der Zahnmedizin(er)
Gerade bei der Gesundheitsaufklärung können Zahnärzte auch hierzulande einen wichtigen Beitrag leisten. Sie wissen um die schädliche Wirkung von Zucker auf die Zahn- und Mundgesundheit, sie kennen die Folgen von Zucker für die Entzündungsbereitschaft des Körpers einerseits und die Folgen entzündungsbedingter Erkrankungen wie Parodontitis auf den gesamten Organismus. Die Kariesprophylaxe gilt noch heute als das Erfolgsmodell für medizinische Vorsorge. Deren Erfolg hat auch das Vertrauen in den Berufsstand erhöht – mit diesem Pfund kann nicht jeder Arzt wuchern. Hinzu kommt die Etablierung jährlicher Kontrollen durch das Bonusheft – auch diesen regelmäßigen Kontakt zum Patienten haben die meisten Ärzte so nicht.
Zahnmedizinische Argumente neben der Karies
Die Relevanz der Zuckerdiskussion für die zahnmedizinische Ernährungsberatung erklärt Parodontologe und Ernährungsmediziner Dr. Johan Wölber von der Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie der Universität Freiburg. Er begrüßt den Coca-Cola-Report von Foodwatch als längst überfällige Maßnahme. Die Schädlichkeit von Zucker auf die Mund- und Allgemeingesundheit ist seit langem Gegenstand seiner Forschungen. „Zucker ist ein Genussmittel, kein Lebensmittel und sollte auch diesen Status bekommen.“ Zucker sei demnach gleichzusetzen mit Alkohol und Tabak, entsprechend zu besteuern und über die schädlichen Folgen des Zuckerkonsums müsse analog zu anderen Genussmitteln aufgeklärt werden.
„Schon randomisierte Studien in den 1950er-Jahren zeigten die Schädlichkeit von Zucker unmissverständlich auf. Manche Länder haben offiziell reagiert, in Schweden wurde zum Beispiel ,Lördagsgodis‘, die Samstagssüßigkeit eingeführt.“ Dort war die staatliche Vorgabe, dass Kinder höchstens einmal pro Woche naschen durften. Allerdings wird diese Vorgabe heute nicht mehr so konsequent wie damals befolgt.
Wölbers eigene randomisierten, kontrollierten Studien zeigten zum Beispiel, dass eine kohlenhydratarme Ernährung, die reich an Omega-3-Fettsäuren, Vitamin C und D sowie Ballaststoffen ist, gingivale und parodontale Entzündungen reduzieren kann. Dass explizit Zucker diese Entzündungen fördert, zeigte eine andere Studie von 2009. Eine zuckerfreie Steinzeit-Diät und keine Mundhygiene führten demnach bei einer Versuchsgruppe zwar zu hohem Plaqueaufkommen, aber zugleich zu gesunkenen Entzündungsparametern.
Aufklären, motivieren und emphatisch begleiten
Was können Zahnärzte und Teams für ihre Patienten tun? „Erstes Ziel: Zucker weg!“, so Wölber. Hier ist eine empathische therapeutische Begleitung gefragt, denn die Entwöhnung von Zucker ist nicht einfach. „Die Dopaminausschüttung von Zucker kann von keinem Kohlrabi getoppt werden, das ist das Gemeine,“ beschreibt Wölber einen Knackpunkt.
Seine Empfehlung: Eine zuckerfreie, kohlenhydratarme Kost mit viel Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten, wenig Vollkorngetreideprodukten, ungesalzenen Samen und Nüssen, zuckerfreie Getränke, am besten Wasser. Milch und Milchprodukte sollte man bei Erwachsenen ebenfalls sparsam einsetzen.
In einem Video gibt PD Dr. Johan Wölber Ernährungstipps für die parodontale Gesundheit und erklärt wichtige Zusammenhänge.
Karen Nathan, Quintessence News