Digitaler Wandel ist für die Zahntechnik als Handwerk nichts Neues. Die Corona-Pandemie und die damit beschleunigte Digitalisierung weiter Gesellschaftsbereiche, nicht zuletzt in der Bildung, stellt die Frage aber neu auch für die Ausbildung: Auf welche Strukturen trifft dieser digitale Wandel in der Aus- und Fortbildung im Zahntechnikerhandwerk? Was kann und sollte sich ändern?
Diese und weitere damit verbundene Fragen diskutierte der 2. Dentale Berufsbildungsgipfel des VDZI am 2. Oktober 2020 – coronabedingt in einer Hybridveranstaltung mit Live-Panel in Berlin und virtueller Teilnahmemöglichkeit. Im Fokus standen die Möglichkeiten und Grenzen, neue, auch digitale Wege in der dualen Berufsausbildung zu gehen, und die Herausforderungen in der Meisterausbildung.
Erneut diskutierten, wie schon beim 1. Dentalen Berufsbildungsgipfel Ende 2019 in Berlin, Vertreter von Berufsschulen, Innungen, Meisterschulen, Verband Deutscher Zahntechniker-Innungen, Laboren und Auszubildende die aufgerufenen Themen – von digitalem Lernen in den Berufsschulen bis zum Blockunterricht und dem Einsatz von modernen Medien wie Videotutorials, Virtual Reality und Online-Veranstaltungen in den Meisterschulen. Die Moderation hatte ZTM Thomas Bartsch von der Zahntechniker-Innung Köln übernommen.
Länder vernachlässigen duale Ausbildung
VDZI-Präsident ZTM Dominik Kruchen verwies in seiner Eröffnung erneut darauf, dass Bund und vor allem Länder die duale Ausbildung in den vergangenen Jahren zugunsten von akademischen Bildungswegen vernachlässigt hätten. Digitalisierung in der Bildung brauche mehr als Laptops, sondern auch technische Fachkräfte und die Qualifikation des Lehrpersonals.
Für das Zahntechnikerhandwerk sei die Zahl der Ausbildungsplätze vor allem in den neuen Bundesländern durch die Belastungen aus der Corona-Pandemie erneut zurückgegangen. Dies werde den ohnehin schon gegebenen Fachkräftemangel noch verschärfen.
Doppelte Digitalisierung erzeugt großen Handlungsbedarf
ZTM Heinrich Wenzel, im VDZI-Vorstand für den Bereich Aus- und Weiterbildung zuständig, umriss in seinem Startvortrag die Problematik. Auch wenn Deutschland für sein duales System der Berufsausbildung oft beneidet werde, gebe es doch gerade im Zahntechnikerhandwerk durch die doppelte Digitalisierung sowohl im Berufsbild selbst als auch im Bildungsbereich großen Handlungsbedarf.
Zahl der Azubis und Ausbildungsstätten gesunken
Dies treffe auf eine Ausbildungsrealität, in der die Zahl der Berufsbildungseinrichtungen für die Zahntechnik weitgehend konstant sei, die Zahl der dort unterrichteten Auszubildenden aber seit Jahren sinke. Seien es 1997 noch mehr als 3.900 Ausbildungsverträge gewesen, waren es 2018 nur noch etwas mehr als 1.900. Die Zahl der betrieblichen Ausbildungsstätten sei von 5.200 auf 2.500 gesunken.
Immer kleinere Berufsschulklassen
Aktuell gebe es insgesamt noch etwas mehr als 5.000 Menschen in einer Ausbildung zum Zahntechniker. Das bedeute weniger Klassen in den Berufsschulen – diese hätten teilweise nur noch zehn Schüler pro Lehrjahr, so Wenzel – und häufig auch weniger Investitionen der Träger in die Ausstattung für notwendige Innovationen. Zudem fehle es an den Schulen vielfach an der erforderlichen Medienkompetenz. Die Novellierung der Ausbildungsordnung Zahntechnik laufe. Man müsse den Strukturwandel weiter angehen und gestalten, so Wenzel.
Viele Ausbildungsbetriebe unterstützen Azubis bei Distanzunterricht nicht
In die Tücken des digitalen Unterrichts, aber auch in die in digitalen Angeboten liegenden Möglichkeiten führte Markus Lensing, Lehrer an der Berufsschule Düsseldorf, ein. Neben den technischen Schwierigkeiten und der Frage, welchen digitalen Endgeräte den Auszubildenden zur Verfügung stehen, verwies er auf zwei Probleme, die in der Homeschooling-Phase sehr deutlich zutage getreten seien: Zum einen fehlten bei vielen Auszubildenden wichtige Kenntnisse und das Verständnis zur Nutzung digitaler Lernplattformen und Tools. Dies müsse eben auch vermittelt werden. Zum zweiten fehle es leider auch an der Bereitschaft bei den Ausbildungsbetrieben, den Auszubildenden die nötige Zeit für Erarbeitung der digitalen Lerninhalte und die Teilnahme zum Beispiel an Videokonferenzen und Online-Tutorials freizustellen. Er berichtete, dass nicht wenige Auszubildende in seinem Bereich an den bisherigen Schultagen in den Laboren arbeiten mussten und die Schulinhalte dann abends oder am Wochenende in ihrer Freizeit mehr oder weniger gut und intensiv bearbeiten konnten. „Die Bereitschaft der Azubis, am digitalen Unterricht teilzunehmen, war hoch. Sie wollten, aber sie durften oft nicht“, erklärte er.
Kompetenz auch bei den Lehrkräften aufbauen
Kompetenz im Umgang mit digitalen Tools und Distanzunterricht müssten aber auch die Lehrkräfte erst aufbauen, und nicht immer und überall stünde eine entsprechende Ausstattung, die Freigabe von Software unter Datenschutzaspekten und ausreichend Netzkapazität zur Verfügung. Am Beispiel der Berufsschule in Düsseldorf stellte er einige praktische Tools wie das von ihm ins Leben gerufene Wikidental vor. Sein Fazit: Die digitalen Tools, die Lernmanagementsysteme und Videokonferenzen vor allem für die Lehrkräfte werde man auch in Zukunft weiter nutzen, unabhängig davon, ob wieder Distanzunterricht nötig werde. Die Bereitschaft der Auszubildenden, diese Tools zu nutzen, sei hoch. Für eine erfolgreiche Umsetzung brauche es aber die Unterstützung aus den Ausbildungsbetrieben, an der es jetzt vielfach leider gemangelt habe.
Azubis berichten von Erfahrungen aus dem Alltag
Auch in diesem Jahr waren zwei Auszubildende vor Ort, die von ihren Erfahrungen und Wünschen berichteten. Beide waren von ihren Ausbildungsbetrieben beim Distanzunterricht gut unterstützt worden. Das habe insgesamt ganz gut geklappt, aber sie wünschen sich unbedingt auch Präsenzunterricht, weil das Lernen dort anders und konzentrierter sei. Für den Austausch in den Lerngruppen werde häufig WhatsApp genutzt. Bei YouTube-Videos seien sie allerdings vorsichtig, weil sie die Zuverlässigkeit und Korrektheit der Inhalte nicht prüfen könnten. Es sei aber schon so, dass man eher nach Videos als nach Texten suche, wenn man Informationen benötige.
Blockunterricht ja oder nein?
In der Diskussion ging es dann auch um die Frage wöchentlicher Unterricht oder Blockunterricht. Beides hat Vor- und Nachteile, lautete das Fazit. So biete der Blockunterricht eine bessere Konzentration und Aufarbeitung von Themen, die nicht in allen Ausbildungsbetrieben angeboten werden. Die Ausfallrisiken seien ähnlich, so Dr. Karl-Josef Löllgen, Leiter der Berufsschule Karthäuserwall in Köln. In Köln werde die Einführung des Blockunterrichts jetzt auf Wunsch der Betriebe vorbereitet.
Allerdings braucht der Blockunterricht ein angepasstes Ausbildungskonzept im Betrieb. Er erlaube eine bessere Auslastung und Nutzung für die vorhandenen Schullabore und die Azubis hätten im Betrieb die Möglichkeit, ohne Unterbrechung durch Schultage Arbeiten von Anfang bis Ende zu übernehmen. Damit Blockunterricht funktioniere, brauche es auch Transparenz von den Schulen und Abstimmung mit den Betrieben zu den Inhalten. Ein wichtiger Effekt: Blockunterricht führt die Azubis stärker zusammen, viele halten die Verbindung weit über die Ausbildung hinaus. Das sei bei wöchentlichem Unterricht eher selten der Fall.
Positive Erfahrungen, aber alle müssen mitspielen
ZTM Norbert Neuhaus, Obermeister der ZTI Arnsberg, berichtete, die Erfahrungen mit dem Blockangebot seien positiv gewesen, aber es müssten drei Parteien dabei sein: Lehrkörper, Azubis und Betriebsinhaber. Oft werde das Konzept durch die Betriebsinhaber abgelehnt. In seinem Innungsbezirk seien das vor allem Nicht-Innungsmitglieder gewesen, der Blockunterricht musste trotz der positiven Erfahrungen nach drei Jahren eingestellt werden.
Digitalisierung ist nicht Selbstzweck
Wie schon im vergangenen Jahr, schlugen vor allem beim Thema Meisterausbildung grundlegende Probleme durch – jenseits vom Thema Digitalisierung. Hier gibt es in der Meisterausbildung schon innovative und öffentlich geförderte Projekte, wie Sonja Weiss, Ausbildungsmeisterin und Projektleiterin Kompetenzzentrum Digitale Zahntechnik und Dental Drei 3 der Handwerkskammer Freiburg berichtete. Die positive Nebenwirkung der Corona-Pandemie seien starker Rückenwind und Druck auf die Digitalisierung, konstatierte sie. Man müsse die digitale Schiene mit allen Facetten vollständig abbilden, dürfe die handwerklichen Wurzeln aber nicht vergessen. Digitalisierung sei nicht Selbstzweck, sie müsse Vorteile haben, auch im Unterricht in den Meisterschulen. Adaptives Lernen sei gefragt.
Strukturen neu denken und zusammenarbeiten
Insgesamt gelte es, die Strukturen der Berufsbildung neu zu denken, neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu nutzen. Ihr Vorschlag: die Meisterschulen sollten sich abstimmen und überregionale digitale Angebote machen, um für eine breite Zielgruppe der Meisterschüler aktuelles Wissen auf einem gemeinsamen Stand vermitteln zu können. Rein digital sei aber nicht zielführend. Der Präsenzteil sei sehr wichtig für Teamgeist, Austausch, Vertiefung. Youtube und Co. seien eine gute Ergänzung auf dem Weg zur Meisterprüfung, „wenn wir die handwerklichen Grundlagen nicht vernachlässigen“, so Weiss.
Es fehlt die Praxiserfahrung
Und hier kam sie auf eines der grundlegenden Probleme der Meisterausbildung: Die Praxiserfahrung fehlt, weil oft ohne oder mit wenig Erfahrung aus der Gesellenprüfung in die Meisterausbildung gegangen wird. Dies zeige sich in den Defiziten der Meisterarbeiten. Gerade die digitalen Ergebnisse seien nicht so überzeugend. Die digitale Unterstützung müsste mindestens genauso gute Ergebnisse bringen wie die analoge Arbeit.
Deutlicher Abriss in der Praxis
Das spiegelte sich auch in der anschließenden Diskussionsrunde. Es gebe einen deutlichen Abriss in der Praxis. Die digitale Kompetenz sei bei den Meisterschülern da, aber die praktische Erfahrung fehle. Es wurden Forderungen laut, wieder ein Mindestmaß von Berufsjahren und Berufserfahrung für den Besuch der Meisterschule vorauszusetzen – etwas, das gesetzlich derzeit nicht möglich sei. Vielmehr stehe der Weg zur Meisterschule jedem Zahntechniker mit abgeschlossener Berufsausbildung direkt offen.
Wenzel betonte, es gelte, erst einmal einheitliche Bedingungen und ein gemeinsames Level in den Meisterschulen zu schaffen, auch mit der digitalen Umsetzung. Dieser Weg sei nur gemeinsam zu gehen.
Eine Meisterprüfungsverordnung, in der Qualität zählt, nicht Masse
Die Forderung lautete schon wie 2019: Wir brauchen eine Meisterprüfungsverordnung, in der Qualität zählt, nicht Masse. Dies sei eine Grundlage, „die wir schaffen müssen“. Es gehe um „Absolventen, die unseren Berufsstand bestens nach außen vertreten“. Ein Meister, eine Meisterin müsse mehr können als nur Zahntechnik, wurde immer wieder betont, auch Beratung, Kunden, Mitarbeiterführung, Ausbildung des Nachwuchses gehören dazu. Die kaufmännische Ausbildung werde immer wichtiger.
„Wir werden uns da anders aufstellen müssen als das, was wir bisher kannten am Markt“, so ZTM Thorsten Kordes von der Innung Niedersachen-Bremen. In der fehlenden kaufmännischen Ausbildung liege eine Gefahr für den gesamten Stand, schon heute seien Labore mit einer unrealistischen Preisbildung etc. am Markt. Der Konsens: Meisterschulen sollten nicht Schnellschmieden sein, die Qualität zähle. Sie sollten zusammenarbeiten und die besten Referenten und Konzepte gemeinsam nutzen.
VDZI-Präsident Kruchen sah in der Veranstaltung erneut wichtige Impulse. Man habe mit den Berufsbildungsgipfeln so etwas wie ein Basislager geschaffen, von dem aus man die verschiedenen Themen weiter angehen könne. Dies auch in einem weiteren, dann 3. Dentalen Berufsbildungsgipfel.
Dr. Marion Marschall, Quintessence News