Das Erleben oder Beobachten eines traumatischen Ereignisses wie etwa ein schwerer Unfall, eine Naturkatastrophe, der Verlust eines geliebten Menschen oder Krieg und Gewalt kann der Seele eine große Verletzung zufügen. Die Symptome dieser sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS, können unmittelbar nach dem traumatischen Ereignis auftreten oder erst Monate oder sogar Jahre später beginnen und das tägliche Leben erheblich beeinträchtigen.
Im Lauf ihres Lebens erkranken knapp acht Prozent aller Menschen an einer PTBS, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Es gibt jedoch gute Aussichten auf Heilung. „Je eher eine PTBS professionell psychotherapeutisch behandelt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, den Alltag wieder normal gestalten zu können“, sagt Prof. Dr. Jürgen Deckert, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Uniklinikum Würzburg (UKW), die einen ihrer Schwerpunkte auf die Erforschung und Behandlung von PTBS gelegt hat. Erst kürzlich war Deckerts Team an der Veröffentlichung neuer Erkenntnisse beteiligt, die das Verständnis der biologischen Grundlagen von PTBS verbessern und neue Wege für zukünftige Forschungsprojekte und neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen.
Veranlagung entscheidet über Entwicklung
In der im Journal Nature Genetics veröffentlichten Studie analysierte die Mitglieder des Würzburger Zentrums für Psychische Gesundheit (ZEP) mit Kooperationspartnern aus dem ehemaligen Jugoslawien die genetischen Merkmale von PTBS. „Veranlagungsfaktoren können die Menschen resilienter oder vulnerabler gegenüber Extremerfahrungen machen“, erläutert Deckert. „Nicht alle entwickeln nach einem traumatischen Ereignis eine Posttraumatische Belastungsstörung.“
Insgesamt wurden die Daten von mehr als 1,2 Millionen Menschen unterschiedlicher Herkunft analysiert. „Wir haben 43 Gene identifiziert, die das Risiko erhöhen, nach einem Trauma eine Posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln“, berichtet PD Dr. Heike Weber. Die Biologin hatte in einer Kohorte aus Kriegsgebieten in Südosteuropa (SEE-PTBS-Kohorte) den relativen Beitrag genetischer Faktoren im Vergleich zur Schwere des Traumas und Bewältigungsstrategien untersucht. Demnach sind diese 43 Gene hauptsächlich für die Regulation von Nervenzellen und Synapsen, die Entwicklung des Gehirns, die Struktur und Funktion von Synapsen sowie für hormonelle und immunologische Prozesse zuständig. Weitere wichtige Gene beeinflussen Stress- und Angst- und Bedrohungsprozesse, von denen man annimmt, dass sie der Neurobiologie der PTBS zugrunde liegen.
Originalveröffentlichung:
Nikolaos P. Daskalakis et al. Systems biology dissection of PTSD and MDD across brain regions, cell types, and blood. Science 384,eadh 3707 (2024). DOI: 10.1126/science.adh3707
In einer weiteren Studie wurden die molekularen Ursachen von PTBS und Depressionen untersucht. Beide stressbedingten Störungen entstehen durch das Zusammenspiel von genetischer Anfälligkeit und Stressbelastung, die nach und nach zu Veränderungen im menschlichen Genom führen, die die Expression von Genen und Proteinen beeinflussen. Die Forschenden fanden die meisten Krankheitssignale im medialen präfrontalen Kortex (mPFC). Sie betreffen das Immunsystem, die Regulierung von Nervenzellen und von Stresshormonen.
Fazit: Die Ergebnisse zeigen gemeinsame und unterschiedliche molekulare Störungen im Gehirn bei PTBS und Depression, sie klären die Beteiligung spezifischer Zelltypen auf, ebnen den Weg für die Entwicklung blutbasierter Biomarker und unterscheiden zwischen Risiko- und Krankheitsprozessen. Das heißt: Die Erkenntnisse weisen auf stressbedingte Signalwege hin und liefern Hinweise auf neue therapeutische Ansätze in Ergänzung der bisherigen psychotherapeutischen Interventionen.