Wie könnte eine europäische Strategie gegen Arzneimittel-Lieferengpässe aussehen? Diese Frage diskutierten Bundesärztekammer (BÄK) und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) am 23. Januar 2020 in Brüssel mit Vertretern von Europäischer Kommission, Europäischem Parlament und Ärzteschaft sowie Generikaherstellern und Krankenkassen.
Liefer- und Versorgungsengpässe von Arzneimitteln sind in Deutschland und in vielen anderen EU-Staaten zu einem zunehmenden Problem für Patienten, Ärzte und Apotheker geworden. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Sie beinhalten unter anderem die Verlagerung der Produktion von Rohstoffen und Arzneimitteln ins außereuropäische Ausland, eine Marktkonzentration auf wenige Hersteller, Qualitätsprobleme und unzureichende Transparenz hinsichtlich bestehender oder drohender Engpässe.
Bereits unterschiedliche nationale Maßnahmen
Verschiedene EU-Mitgliedstaaten haben Maßnahmen eingeführt oder erwägen diese. Hierzu zählen etwa eine verpflichtende Meldung von Lieferengpässen, erweiterte Lagerhaltungspflichten oder Exportverbote. Einseitige nationale Maßnahmen drohen jedoch die Versorgungslage in anderen europäischen Mitgliedstaaten zu verschlechtern, ohne die Verfügbarkeit insgesamt zu verbessern.
Produktion zurück nach Europa
BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt spricht sich dafür aus, die Produktion von Arzneimitteln und Wirkstoffen nach Europa zurückzuholen. „Dies würde die Lieferwege verkürzen und die Überwachung der Arzneimittelherstellung erleichtern“, erklärt er. Außerdem könne so sichergestellt werden, dass europäische Standards, etwa bei Umweltschutz, Produktionssicherheit und Arbeitsbedingungen, eingehalten werden.
Auch der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, fordert pragmatische Lösungen. Gegenseitige Schuldzuweisungen seien wenig hilfreich: „Die Lieferengpässe eröffnen der EU die Chance, ihre Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und gleichzeitig einen echten Mehrwert für die Mitgliedsstaaten zu schaffen.“
Mehr Hersteller für Wirkstoffe
Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, sowie der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Dr. Stephan Hofmeister schlagen vor, die Wirkstoffproduktion auf möglichst viele Hersteller zu verteilen. „Außerdem sollte für die Hersteller eine Meldeverpflichtung im Falle von Engpässen bestehen. Eine Task Force auf EU-Ebene könnte Vorschläge erarbeiten, wie eine solche Verpflichtung aussehen soll“, führt Dr. Hofmeister aus.
Koordiniertes Handeln auf EU-Ebene
Koordiniertes Handeln auf EU-Ebene ist notwendig, betonen die Ärztevertreter. Eine europäische Strategie sollte Vorschläge sowohl zur Vermeidung von Engpässen als auch zum Umgang mit solchen beinhalten. Hier ist die Europäische Kommission angesprochen, kurzfristig wirksame und realisierbare Maßnahmen vorzuschlagen.
Verpflichtungen für Hersteller konkretisieren
Die geltende EU-Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel enthält Meldepflichten für Hersteller bei Lieferengpässen sowie bei beabsichtigter Einstellung der Produktion. Diese Pflichten müssen jedoch konsequent umgesetzt und gegebenenfalls konkretisiert werden.
Europäisches Meldesystem für Engpässe
Basierend auf einer europäischen Liste versorgungsrelevanter Arzneimittel sollte im Falle bestehender oder absehbarer Engpässe eine Meldung an die zuständigen nationalen Stellen und die Europäische Arzneimittel-Agentur verpflichtend sein. Hierfür sollte ein einheitliches elektronisches Format geschaffen werden. Meldungen sollten an alle nationalen Stellen weitergeleitet werden, damit diese die geeigneten Maßnahmen ergreifen können.
Diese Meldungen müssen sinnvoll aufbereitet auch für Ärzte, Krankenhäuser und Apotheker zugänglich sein, damit diese sich rechtzeitig über drohende Engpässe informieren und darauf einstellen können.