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Reaktionen auf den Krisengipfel und die Ankündigung des Bundesgesundheitsministers, die Budgetierung bei den Hausärzten zu beenden

Kündigte weitere Proteste der Fachärzte an: Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbunds und Vorstandsvorsitzender des SpiFa.

(c) Virchowbund/Lopata

Der Krisengipfel des Bundesgesundheitsministers Prof. Dr. Karl Lauterbach mit den Vertretern der Ärzteschaft am 9. Januar 2024 hinterlässt in der Ärzte- und Zahnärzteschaft, aber auch bei den Krankenkassen ein deutlich geteiltes Echo. Während der Minister ankündigte, die bereits im Koalitionsvertrag der Ampel festgehaltene Entbudgetierung und weitere Maßnahmen wie den fast vollständigen Verzicht bei Arzneimittelregressen bei den Hausärzten jetzt zeitnah im Versorgungsstärkungsgesetz umsetzen zu wollen, gehen die anderen Arztgruppen leer aus. Und die Krankenkassen erwarten höhere Kosten und damit höhere Beiträge für die Versicherten – auch wenn Lauterbach beteuert, dass dies nicht zulasten der Beitragssätze gehen werde. Die Alternative Leistungskürzungen schließt der Minister bekanntlich grundsätzlich aus.

„Die Praxen, die Hausbesuche übernehmen und viele Patienten versorgen, sind besonders bedeutsam für die hausärztliche Versorgung. Sie erhalten in Zukunft Vorhaltepauschalen für die angebotenen Leistungen - ähnlich wie im Krankenhaussektor. Darüber hinaus verabschieden wir uns von der Quartalspauschaule zugunsten einer Jahrespauschale. Dadurch werden unnötige Arztbesuche von chronisch Kranken vermieden – Krankschreibungen und Konsultationen können dann telefonisch gemacht werden. Das ist eine große Reform: Viel weniger Menschen im Wartezimmer und dafür eine viel intensivere Versorgung in den Praxen“, so das offizielle Statement des Ministers. (Die gemeinsame Pressekonferenz ist als Video auf der BMG-Internetseite eingestellt.)

Jährliche Vorhaltepauschale und Digitalisierung

Zusammengestellt sind die Maßnahmen – von der Entbudgetierung bis zur Änderung der Quartalsabschläge, einer jährlichen Versorgungspauschale, Bagatellgrenzen bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung etc. in einem knapp dreiseitigen Maßnahmenpapier, in dem auf die seit fast einem Jahr angekündigten, aber immer noch nicht vorliegenden Versorgungsstärkungsgesetze I und II verwiesen wird. Als Entlastung der Hausärzte „verkauft“ werden auch Dinge wie die eAU, die Videosprechstunden, Erweiterungen beim E-Rezept und anderes, was bereits in den Digitalgesetzen enthalten ist. Der leichtere Wechsel des PVS soll im Gesetz zur Errichtung einer Digitalagentur folgen.

Der Vorsitzende des Hartmannbunds, Dr. Klaus Reinhardt (zugleich Präsident der Bundesärztekammer) erklärte zu Lauterbachs Maßnahmenpaket: „Das Paket enthält für die hausärztliche Versorgung zielführende und perspektivisch ausbaubare Maßnahmen. Neben der bereits im Koalitionsvertrag angekündigten Entbudgetierung stehen dafür auch strukturelle Veränderungen, die mit Blick auf die sinnvolle Reduzierung von Fallzahlen und die wirtschaftliche Ausstattung der Praxen in die richtige Richtung gehen. Im fachärztlichen Bereich greift das Paket deutlich zu kurz! Vergleichbare Maßnahmen wie im hausärztlichen Bereich müssen zwingend auch hier implementiert werden. Sie sind kurzfristig mit den Verbänden abzustimmen.“ Reinhardt begrüßt auch die angekündigte Entbürokratisierung, forderte hier aber ein „lernendes System“.

Lauterbach will jetzt doch über die GOÄ spreche

Lauterbach, der bislang der geforderten Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) immer aus dem Weg gegangen ist, weil sie auch nicht im Koalitionsvertrag steht, hatte öffentlich zugesagt, mit den Koalitionsfraktionen dazu nochmal in den Dialog zu gehen. Dies „wird von der Ärzteschaft dringend eingefordert. Es gilt unverändert, dass eine zügige Novellierung zwingende Voraussetzung für Rechtssicherheit und die Abbildung einer modernen Medizin ist“, so Reinhardt.

Virchowbund kündigt weitere Proteste an

Enttäuscht zeigten sich der Spitzenverband der Fachärzte (SpiFa) und der Virchowbund, der bei den Protestaktionen der Ärzteschaft in den vergangenen Wochen federführend war. Der Verband kündigte weitere Protestaktionen an. „Mit dem heutigen Gesprächsergebnis sind wir jedenfalls völlig unzufrieden. Wir beobachten, dass die Wut an der Basis weiter steigt. Daher ist für uns klar, dass die Proteste weitergehen müssen, wenn nicht die gesamte ambulante Versorgung durch Haus- und Fachärzte in den Blick genommen wird“, so der Virchowbund-Vorsitzende Dr. Dirk Heinrich nach dem Gespräch in Berlin.

Spaltung der Ärzteschaft, Komplettumbau des Systems

Der Krisengipfel der ärztlichen Verbände mit Bundesgesundheitsminister Lauterbach zur Zukunft der ambulanten Versorgung sei auf halbem Weg stehen geblieben: „Sein Versuch, einseitig die hausärztliche Versorgung zu fördern und die Fachärzte weiterhin zu ignorieren, ist ein Versuch die Ärzteschaft zu spalten und das Gesundheitssystem komplett umzubauen“, so Heinrich. Die vorgelegten Vorschläge seien daher unvollständig und viel zu vage.

„Vater des Endes der freien Arztwahl“

Es liege jetzt auf der Hand, dass der Minister die Fachärzte auf mittlere Sicht in den Krankenhäusern statt in deren Praxen sieht. Eine fachärztliche Grundversorgung werde es dann im bisherigen Umfang nicht mehr geben. „Damit wird Lauterbach zum Vater der Wartelistenmedizin und des Endes der freien Arztwahl in Deutschland. Und er wird damit auch zum Vater der Zwei-Klassen-Medizin, weil sich Patienten aus dieser Wartelistenmedizin herauskaufen werden“, heißt es in der Pressemeldung des Verbands.

„Nicht der große Durchbruch“

Heinrich ist zugleich Vorsitzender des SpiFa, der in seiner Stellungnahme erklärte, eine Kursänderung des Ministers sei nicht zu erkennen, von Maßnahmen für eine nachhaltige Stärkung der fachärztlichen ambulanten Versorgungsstrukturen könne weiterhin keine Rede sein. „Der Krisengipfel war nicht der große Durchbruch", so Heinrichs Fazit. „Als Konsequenz müssen Deutschlands Fachärztinnen und Fachärzte im Interesse ihrer Patientinnen und Patienten auch weiterhin im Protestmodus bleiben." Die Interessen der Fachärzteschaft wurden zwar zur Kenntnis genommen, die Probleme in der ambulanten Versorgung würden bearbeitet, jedoch gab es keine zusagen, sondern nur Ankündigungen des Ministers. So drohten weiterhin eine Verschärfung der Versorgungsengpässe, noch längere Wartezeiten auf Facharzttermine, Wartelisten und weitere Leistungskürzungen für Patientinnen und Patienten.

KBV: „Das kann und darf aber nicht alles sein“

Enttäuscht waren auch die drei Vorstandsmitglieder der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Andreas Gassen, Dr. Sibylle Steiner und Dr. Stephan Hofmeister: „Das war leider viel zu wenig und trotz erster Lichtblicke insgesamt enttäuschend. Vor dem Hintergrund der drängenden Probleme der ambulanten Versorgung hätten wir uns mehr und deutlich konkretere Lösungs- und Umsetzungsschritte gewünscht. Zu vieles ist unverbindlich und offen geblieben. Immerhin: Die hausärztliche Entbudgetierung soll in diesem Jahr kommen. Das begrüßen wir! Das kann und darf aber nun nicht alles sein.“

Ihre Forderung: „Im nächsten Schritt muss nun die Entbudgetierung der Fachärzte rasch folgen. Auch die Entbürokratisierung, gilt es schnell und entschlossen anzugehen. Der Minister hat erneut zugesagt, die Regresse weitgehend abzuschaffen. Beim Thema Digitalisierung blieb eigentlich außer vagen Ankündigungen alles offen. Wie der Wechsel zu leistungsfähigen Praxisverwaltungssystemen erleichtert und finanzierbar werden soll, ist heute jedenfalls unklar geblieben.“

Zahnärzte fordern sofortiges Ende der Budgetierung

Bereits im Vorfeld des Krisengipfels hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung ihre Forderung nach einer umgehenden Aufhebung des für 2024 geltenden Budgets für die vertragszahnärztliche Versorgung gefordert – auch unter Verweis auf die gravierenden Folgen für die Patienten und auf die Folgekosten der nun unterbleibenden Parodontitisbehandlungen.

Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Bayerns (KZVB) begrüßte im Nachgang zum Termin die Verbesserungen, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach den Hausärzten in Aussicht gestellt hat. Sie stellt aber auch klar: Budgets müssen in allen Bereichen des Gesundheitswesens abgeschafft werden. Dr. Rüdiger Schott, Vorstandsvorsitzender der KZVB: „Dieses leistungsfeindliche und planwirtschaftliche Steuerungsinstrument wurde vor 30 Jahren vom damaligen Gesundheitsminister Horst Seehofer eingeführt und seitdem immer wieder aus der politischen Mottenkiste geholt. Jedem Politiker muss einleuchten, dass es für begrenzte Mittel nur begrenzte Leistungen geben kann. Die Rationierung von Leistungen für gesetzlich Versicherte ist im deutschen Gesundheitswesen längst traurige Realität, auch wenn Karl Lauterbach das nicht wahrhaben will.“

Für junge Praxen existenzgefährdende Budgetierung

Seine Stellvertreterin Dr. Marion Teichmann verwies auf den anstehenden Generationenwechsel in der Zahnärzteschaft: „Niederlassungswilliger Nachwuchs ist kaum in Sicht. Die Budgetierung ist dafür mitverantwortlich. Für das Jahr 2023 muss die KZVB einen zweistelligen Millionenbetrag an eine große Krankenkasse zurückzahlen. Dieses Geld wird den Zahnärzten für Leistungen abgezogen, die sie bereits erbracht haben. Für viele jüngere Kollegen, die ihre Praxen noch nicht abbezahlt haben, ist das existenzgefährdend.“

Leidtragende sind ältere und immobile Patienten

Ihr Vorstandskollege Dr. Jens Kober verwies auf ein drohendes Praxissterben im ländlichen Raum, wenn die Budgetierung bleibe. Das führe zu weiten Wegen und langen Wartezeiten auf Zahnarzttermine. „Hauptleidtragende dieser Entwicklung sind ältere und immobile Patienten, die sich nicht einfach ins Auto setzen können, wenn sie Zahnschmerzen haben.“ (MM)

Quelle: Quintessence News Politik Nachrichten

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