Der 60. Bayerische Zahnärztetag hat sich zum Auftakt von seiner „Schokoladenseite“ präsentiert. Eine XXXL-Schokoladentorte mit Schokofudgefüllung und Jubiläumsmotiv aus Marzipan erwartete die Ehrengäste beim offiziellen Festakt, mit dem die zentrale Fortbildungsveranstaltung der bayerischen Zahnärzte am Donnerstag, 17. Oktober, eröffnet wurde.
Prominenteste Besucherin des Geburtstagsfests war Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml. Ebenso wie die weiteren Gäste erhielt sie neben ihrem Kuchenstück auch ein Zahnputzset für die Mundpflege danach – passend zum Motto der Jubiläumsveranstaltung „60 Jahre Bayerischer Zahnärztetag – 60 Jahre Prophylaxe“.
In seiner Eröffnungsrede ging der Präsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer, Christian Berger (auch Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns – KZVB), auf die wichtigsten Kapitel der zahnmedizinischen Erfolgsgeschichte ein. „Lange vor der Medizin hat die Zahnmedizin den Paradigmenwechsel hin zur Prävention erkannt und ihn in den Praxisalltag integriert. Nur durch eine systematische Prophylaxe, die Patienten ein Leben lang begleitet, kann die Mundgesundheit unserer Patienten verbessert werden“, sagte er vor fast 400 Ehrengästen aus Politik, Standespolitik, Wissenschaft und Gesundheitswesen.
Prophylaxe trägt Früchte
Dass sich die Mundgesundheit im Freistaat auf einem konstant hohen Niveau befindet, beweisen nach Ansicht von Berger die Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V) und weitere wissenschaftliche Untersuchungen. So nehmen laut dem aktuellen „Barmer-Zahngesundheitsatlas“ 42,9 Prozent der Kinder in Bayern – gegenüber 35,9 Prozent bundesweit – die zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen vor dem sechsten Geburtstag in Anspruch. Einen großen Anteil an diesem Ergebnis habe auch die von der Bayerischen Landesarbeitsgemeinschaft Zahngesundheit (LAGZ) organisierte Gruppenprophylaxe. „Je früher die Prophylaxe einsetzt, desto nachhaltiger ist das Ergebnis“, resümierte der Präsident der BLZK.
Neue Herausforderungen im Pflegebereich
Trotz grundlegender Erfolge bei jungen Menschen stünden die bayerischen Zahnärzte jedoch weiterhin vor großen Herausforderungen – gerade im Pflegebereich. Mit der neu gegründeten Bayerischen Landesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Mundgesundheit in der Pflege (LAGP) will Berger „ein neues Kapitel zur Verbesserung der Mundgesundheit für Menschen in jedem Alter und in allen Lebenslagen aufschlagen“.
Dr. Rüdiger Schott, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der KZVB und Vizepräsident der BLZK, richtete den Blick ebenfalls auf die Senioren: „Vor allem die steigende Lebenserwartung misst dem Thema Alterszahnheilkunde einen ganz neuen Stellenwert bei. Die große Zukunftsfrage lautet, wie wir die zahnmedizinische Versorgung einer immer älter werdenden Bevölkerung finanzieren können.“ Die Zahnärzte hätten längst Antworten auf diese Frage gegeben. Bereits heute würden rund 20 Millionen Deutsche auf eine private Zahnzusatzversicherung vertrauen. Schott: „Dadurch kommt der medizinisch-technische Fortschritt immer mehr Menschen zugute. Für diejenigen, die sich eine GOZ-Behandlung nicht leisten können oder wollen, werden wir weiterhin die Regelversorgung sicherstellen.“
Gegen den gläsernen Patienten
Auch bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens vertrat der stellvertretende KZVB-Vorsitzende eine klare Position. „Die Datenhoheit muss beim Patienten bleiben. Eine Speicherung hochsensibler Gesundheitsdaten lehnen wir ab“, betonte er mit Blick auf weitere Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte. Dabei sei der zahnärztliche Berufsstand nicht gegen die Digitalisierung an sich – im Gegenteil. „Die allermeisten von uns setzen digitale Technik jeden Tag in der Praxis ein. Wir sprechen uns aber gegen den gläsernen Patienten aus“, erklärte Schott in seiner Ansprache.
Prävention überall angekommen
Dr. Lutz Laurisch, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM), die in diesem Jahr Kooperationspartner des Bayerischen Zahnärztetages ist, sah seine Organisation in einer „Schlüsselfunktion“. In sämtlichen Bereichen der Zahnheilkunde gehe es heute um „präventives Denken“, sagte er. Sowohl die Parodontal- als auch die Kariesprophylaxe hätten sich in den vergangenen 60 Jahren verändert. Die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden verlaufe ebenfalls rasant. Vor diesem Hintergrund wolle die DGPZM „eine Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis schlagen“.
Lob von der Ministerin
Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml lobte die bayerischen Zahnärzte für ihre Initiative, eine flächendeckende präventive Versorgung für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung auf den Weg zu bringen. Die Gründung der Bayerischen Landesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Mundgesundheit in der Pflege (LAGP) bezeichnete sie in ihrem Grußwort als „großartige Entscheidung“. Sie sei überzeugt davon, dass diese Einrichtung Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung enorm weiterhelfen könne.
Bei den Kindern stünde Deutschland ohnehin bereits an der Weltspitze, so die CSU-Politikerin in ihrem Grußwort. Huml: „Fast 75 Prozent der 12-jährigen Kinder hierzulande haben ein naturgesundes Gebiss. Die große Mehrheit der Buben und Mädchen kennt das sprichwörtliche ,Loch im Zahn‘ gar nicht mehr – für mich ist das eine wunderbare Vorstellung.“
GOZ-Punktwert bleibt Ärgernis
Dr. Peter Engel, Präsident der Bundeszahnärztekammer, warb erneut für eine Erhöhung des seit 1988 unveränderten Punktwerts in der Gebührenordnung für Zahnärzte. „Die Preise von vor 30 Jahren können nicht der Maßstab für die Preise von heute sein. In den letzten zehn Jahren sind Lohnkosten, Mieten und Sachkosten drastisch gestiegen. Das muss – auch von den jungen Kolleginnen und Kollegen – erst einmal finanziert werden. Deshalb muss die wirtschaftliche Entwicklung auch parallel in Bema und GOZ Niederschlag finden“, forderte er in seinem Grußwort. Angesichts der großen Präventionserfolge sei diese Nicht-Anerkennung zahnärztlicher Leistungen ein „gewaltiges Ärgernis“. Um endlich Bewegung in den jahrzehntelangen GOZ-Stillstand zu bringen, habe die Bundeszahnärztekammer eine breit angelegte Social Media-Kampagne unter dem Hashtag #11Pfennig gestartet.
Festredner beleuchtet „Umgang mit Risiken in unsicheren Zeiten
Wie trifft man gute Entscheidungen? Und wie geht man dabei mit möglichen Risiken um? Diese Fragen beantwortete Prof. Dr. Gerd Gigerenzer, Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. In seiner Festrede machte der Risikoforscher anhand mehrerer Beispiele deutlich, wie Menschen statistisches Denken erlernen und intelligent mit Risiken umgehen können. „Während absolute Berechnungen für Klarheit sorgen, machen relative Berechnungen häufig Angst“, sagte er in seinem Vortrag mit dem Titel „Umgang mit Risiken in unsicheren Zeiten“. Gerade bei Statistiken mit Prozentangaben sei es deshalb wichtig, die Referenzwerte zu hinterfragen. Für einen kompetenten Umgang mit Risiken empfahl der Festredner zudem Reformen im Bildungssystem.
Wissenschaftliches Programm ganz im Zeichen der Prävention
Der 60. Bayerische Zahnärztetag wurde am 18. und 19. Oktober mit rund 2.000 Teilnehmern in München fortgesetzt. Sowohl der wissenschaftliche Kongress für Zahnärzte als auch die zeitgleich stattfindende Fortbildungsveranstaltung für das Praxispersonal standen in diesem Jahr ganz im Zeichen der Prophylaxe– letztere unter dem Titel „Prophylaxe ≥ PZR“.
Für die Deutsche Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM) erläuterte deren Präsident Prof. Dr. Stefan Zimmer: „Die Deutsche Gesellschaft für Präventivzahnmedizin befasst sich mit der Förderung und Verbesserung der Mundgesundheit, der Verhütung oraler Erkrankungen und der Stärkung von Ressourcen zur Gesunderhaltung. Wir wollen den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen ein Partner sein, der sie bei der Umsetzung der Prävention unterstützt.“
Dementsprechend reichte das praxisorientierte Programm von der Diagnostik des Erkrankungsrisikos für Karies und Parodontitis über die Prävention bei älteren Senioren mit Pflegebedarf bis hin zur Vorbeugung von craniomandibulären Dysfunktionen (CMD). Weitere Referate behandelten die neuen Abrechnungspositionen zum Verhindern von frühkindlicher Karies und die Entwicklungen im Präventionsmanagement. Auch vertragszahnärztliche Aspekte wie Qualitätssicherung und Zahnärztliche Medizinische Versorgungszentren (Z-MVZ) wurden abgedeckt.
Prävention für Jung und Alt
In seinem Vortrag „Professionelle Prävention – Was gibt es Neues?” fasste Dr. Klaus-Dieter Bastendorf, Eislingen, die wissenschaftlichen und technischen Neuerungen bei der professionellen Prophylaxe zusammen. Laurisch untersuchte, ob Tests zur Bestimmung des Karies- und Parodontitisrisikos hilfreich oder verzichtbar sind. Prof. Dr. Anton Friedmann, Witten, belegte die Langzeitstabilität der Behandlungsergebnisse einer regelmäßigen strukturierten Unterstützenden Parodontitistherapie (UPT) durch zahlreiche klinischprospektive Studien.
„Ist Prävention altersspezifisch?” fragte Prof. Dr. Christoph Benz, München, und gab praxisgerechte Impulse für den lebenslangen Kampf um Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Initiative des Patienten. Dr. Elmar Ludwig, Ulm, präsentierte unter dem Titel „Prävention bei Menschen mit Pflegebedarf: Was, wo, wie und womit?” ein Konzept zur zahnärztlichen Begleitung älterer Patienten. Prof. Dr. Cornelia Frese, Heidelberg, richtete den Blick auf die Prävention der Zukunft und beschäftigte sich mit Strategien für den demographischen Wandel.
Putzerfolg und Fluoridierung
Prof. Dr. Ulrich Schiffner, Hamburg, erläuterte die neu im Bema verankerten frühkindlichen Untersuchungen und unterstrich die Wichtigkeit der Fluoridierung im präventiven Gesamtkonzept. Unter dem Titel „Fluorid in Zahnpasten – Noch aktuell oder out?” untermauerte Prof. Dr. Elmar Hellwig, Freiburg, die Bedeutung des Fluoridgehalts für eine effektive Kariesprävention – auch bei Kinderzahnpasten. Darüber hinausspielt beim Zähneputzen das „Wie” eine entscheidende Rolle. Deshalb formulierte Prof. Dr. Renate Deinzer, Gießen: „Was steht im Zentrum – Der Mensch oder die Bürste?”.
Konzepte aus der Praxis
Allein in Deutschland setzen Spezialisten jährlich rund eine Million Implantate ein. Dennoch lassen sich periimplantäre Entzündungen nicht mit vorhersagbarem Erfolg behandeln. Prof. Dr. Johannes Einwag, Stuttgart, diskutierte, welche präventiven Maßnahmen sich für diese Herausforderung eignen. Priv.-Doz. Dr. Florian Wegehaupt, Zürich, befasste sich in „Erosionen und Co.: Die neue Gefahr?” mit Zahnhartsubstanzverlusten. Prof. Dr. Dr. Johann Müller, München, brachte auf den Punkt, bei welchen „Kardinalsymptomen” einer craniomandibulären Dysfunktion (CMD) okklusale Maßnahmen als Prophylaxe sinnvoll sind. Prof. Dr. Dr. h. c. Anton Sculean, M. S., Bern, zeigte zum Schwerpunkt Rezessionsdeckung verschiedene Techniken und analysiert deren Erfolgsaussichten.
Praxisnahe Themen der KZVB
Rechtsanwalt Peter Knüpper, München, berichtete unter dem Titel „Prophylaxe lohnt sich – Auch für den Zahnarzt!” über eine Erfolgsstory, die vor mehr als 30 Jahren mit der Individual- und Gruppenprophylaxe in Kindergärten und Schulen begann. Nikolai Schediwy, Leiter des Geschäftsbereichs Qualität und der Prüfungsstelle sowie Geschäftsführer der KZVB, München, ging in seinem Update zur Qualitätssicherung auf neuartige Prüfungen des Gesetzgebers ein und erklärte, wie die KZVB den bayerischen Zahnärzten weiterhilft. Ein Beitrag zur Zukunft von Zahnärztlichen Medizinischen Versorgungszentren (Z-MVZ) rundete die Agenda ab. Dr. Ralf Schauer, Murnau, bewertete die Vor- und Nachteile einer Z-MVZ-Gründung.
Thomas A. Seehuber/BLZK/KZVB