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Das neue Expertengremium steht auch vor der Aufgabe, wichtige Forschungsfragen und eine Strategie zu entwickeln

(c) nepool/Shutterstock.com

Mit der Besetzung des Amts des Bundesgesundheitsministers durch Prof. Karl Lauterbach – dem „Gesundheitsminister der Herzen“ – soll nach Aussagen der neuen Bundesregierung mehr Wissenschaftlichkeit bei den gesundheitspolitischen Entscheidungen im Rahmen der Pandemie Eingang finden. Eine Forderung, die seit Monaten bereits von verschiedenen Wissenschaftlern erhoben wurde und nur zu begrüßen ist1.

Die neue Ampelkoalition hat dazu richtigerweise einen Expertenbeirat, das „Expertengremium zur wissenschaftlichen Begleitung der Covid-19-Pandemie“, eingerichtet. Inwieweit dieser Beirat nur für operative Umsetzungsprozesse von politischen Entscheidungen oder zur echten wissenschaftlichen Beratung der Bundesregierung bei zu treffenden Entscheidungen fungieren soll, ist derzeit noch unklar. Sinnvoll ist es jedoch, nicht allein den Bundesgesundheitsminister unter Einbindung seines Ministeriums die wissenschaftliche Literatur bewerten zu lassen.

Die Mitglieder des wissenschaftlichen Expertengremiums

  • Prof. Reinhard Berner (Uni Dresden)
  • Prof. Cornelia Betsch (Uni Erfurt)
  • Prof. Melanie Brinkmann (TU Braunschweig)
  • Prof. Alena Buyx (TU München, Deutscher Ethikrat)
  • Prof. Jörg Dötsch (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und  Jugendmedizin)
  • Prof. Christian Drosten (Charité)
  • Prof. Christine Falk (Medizinische Hochschule Hannover)
  • Prof. Ralph Hertwig (MPI für Bildungsforschung, Risikokommunikation)
  • Prof. Lars Kaderali (Uni Greifswald)
  • Prof. Christian Karagiannidis (Leiter ARDS und ECMO Zentrum Köln-Merheim)
  • Prof. Heyo Kroemer (Charité)
  • Prof. Thomas Mertens (STIKO)
  • Prof. Michael Meyer-Hermann (Uni Braunschweig)
  • Dr. Johannes Niessen (Gesundheitsamt Köln)
  • Dr. Viola Priesemann (MPI)
  • Prof. Leif Erik Sander (Charité)
  • Stefan Sternberg (Landrat Ludwigslust-Parchim)
  • Prof Hendrik Streeck (UK Bonn)
  • Prof. Lothar Wieler (RKI)


Ein gutes Beispiel dafür ist, dass Karl Lauterbach es gegenüber der „Welt“ am 31. Oktober 2021 noch ablehnte, Boosterimpfungen für die gesamte Bevölkerung (sondern nur für die über 70-Jährigen) zu empfehlen. In der Fernsehsendung „Markus Lanz“ am 17. November 2021 wies Lauterbach dann darauf hin, dass bereits seit Monaten einheitlich die Wissenschaftler empfehlen, Boosterimpfungen für die gesamte Bevölkerung durchzuführen2,3. Selbst der Herrn Lauterbach durchaus zugetane Moderator Lanz konnte sich bei der Aussage „seit Monaten“ eines fast verzweifelnden Kopfschüttelns nicht erwehren.

Gut, nun sind Versuch und Irrtum die Triebfeder der Wissenschaft. Allerdings fördern solche Aussagen eines Wissenschaftlers, nun im politischen Amt als Bundesgesundheitsminister, weder das Vertrauen in die Wissenschaft noch in politische Handlungsfähigkeit.

Es fehlt immer noch an wissenschaftlichen Grundlagen für politische Entscheidungen

Ein weiteres Beispiel, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage politische Entscheidungen getroffen werden, bietet das am 10. Dezember 2021 verabschiedete Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen Covid-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit Covid-19 Patienten. Darin wird eine Impfpflicht für Pflegekräfte und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen eingeführt. Schaut man sich das Gesetz näher an und sucht nach Daten oder Forschungsergebnissen, die relevante Impflücken in diesen Berufsgruppen aufzeigen, so wird sich auf Schätzungen bei medizinischem Personal und Pflegepersonal aus dem Impfquotenmonitoring des Robert Koch Instituts (RKI) vom 15. September bis 18. Oktober 2021 bezogen.

Niemand der verantwortlichen Pflegekräfte und Heilberufler wird die Notwendigkeit von Impfungen und Boosterungen bestreiten (auch ich bin bereits seit dem 10. Dezember geboostert). Aber reichen Schätzungen als Grundlage für so weitreichende Eingriffe aus? Vielmehr haben alle betroffenen Berufsgruppen ein hohes Interesse an Datenlagen hinsichtlich möglicher Übertragungsrisiken von Infektionen vom Gesundheitspersonal auf die vulnerablen Bevölkerungsgruppen.

Fazit: Man sucht nach wie vor nach den Übertragungsorten und möglichen Übertragungswegen. Dies immer noch – nach 1,5 Jahren der Pandemie. Dies zeugt weder von einer Forschungsstrategie noch von einem echten Einbeziehen aller notwendigen Forschungsdisziplinen für solche Fragestellungen. Das Expertengremium steht damit nicht nur vor der Aufgabe der Beratung der Politik, sondern auch vor dem Problem, die richtigen Forschungsfragen zu stellen und eine Forschungsstrategie zu entwickeln.

Will man wirklich eine fünfte Welle verhindern, so gilt es mit allem Nachdruck die Impfpflicht für alle Erwachsenen zu diskutieren. Vor dem Hintergrund der starken Polarisierung der Meinungen und des bereits beschriebenen Kommunikationsdesaster ein sehr komplexer Abwägungsprozess.

Impfen auch durch Zahnärzte ist eine richtige Entscheidung

Das oben genannte Gesetz führt ebenso die Möglichkeit der Impfung durch uns Zahnärztinnen und Zahnärzte ein. Eine richtige und gute Entscheidung, denn angesichts der übervollen Arztpraxen und der erst wieder im Aufbau befindlichen Impfzentren eröffnet das eine Möglichkeit, um unsere ärztlichen Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen. Erklärungen von ärztlichen Bundesorganisationen (siehe die gegenüber dem Impfen durch andere Berufsgruppen kritische Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Gesetzentwurf) sehen dies allerdings nicht als Lösungsweg an.

Wäre es da nicht eine Möglichkeit, dass die Berufsorganisationen in den Bundesländern (Ärztekammern, Zahnärztekammern, Kassenärztliche Vereinigungen, Kassenzahnärztliche Vereinigungen) sich an einen Tisch setzen und dies konkret vor Ort besprechen und angehen? Dies insbesondere orientiert an den lokalen Bedürfnissen und Möglichkeiten. Es wäre wirklich an der Zeit, pragmatische Lösungen zu finden, und ich weiß, dass zahlreiche Kolleginnen und Kollegen dafür zur Verfügung stehen.

Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Reuterstadt Stavenhagen

Prof. Dr. Dietmar Oesterreich
Prof. Dr. Dietmar Oesterreich
Foto: BZÄK/Lopata
Prof. Dr. Dietmar Oesterreich (Jahrgang 1956) studierte Zahnmedizin in Rostock und war von 1981 bis 1990 in der Poliklinik für Stomatologie des Kreiskrankenhauses Malchin tätig. Nach der Wiedervereinigung ließ er sich am 1. Februar 1991 in eigener Praxis in Stavenhagen nieder, in der er bis heute als Zahnarzt tätig ist. Schon seit dem 29. April 1990 bis zum Oktober 2021 war er Präsident der neu gegründeten Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, seit November 2000 bis Juni 2021 auch Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer.

Oesterreich befasste und befasst sich intensiv mit soziologischen und gesundheitspolitischen Fragestellungen und Themen der Prävention und Gesundheitskommunikation, unter anderem im Vorstand der Initiative proDente, aber auch wissenschaftlich. Im September 2011 wurde er zum Honorarprofessor an der Universität Greifswald ernannt. Kontakt zum Autor per E-Mail an dr.dietmar.oesterreich@t-online.de.

Literatur
1.    Die Pandemie – ein kommunikatives und präventives Desaster, Quintessence News 6.12.2021
2.    Youtube, Die Welt vom 31.10.2021
3.    Markus Lanz, ZDF vom 17.11.2021

 

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