Immer häufiger werden Polizisten, Beamte, Rettungskräfte und andere Helfer bei ihren Einsätzen von Anwesenden behindert, gestört oder gar angegriffen und verletzt. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) bereitet daher jetzt ein Gesetz vor, dass solche Taten mit Änderungen im Strafgesetzbuch schneller verfolgt und bestraft werden sollen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung fordert, auch die in Arztpraxen tätigen Menschen in dieses Gesetz einzubeziehen. Buschmann kündigte inzwischen an, das prüfen zu wollen.
Schon in der Stellungnahme zum Referentenentwurf des Gesetzes, die Ende Juli 2024 veröffentlicht wurde, forderte der KBV-Vorstand, die Regelungen auszuweiten. Jetzt ist KBV-Chef Dr. Andreas Gassen in Interviews mit diesem Thema nochmal an die Öffentlichkeit gegangen und viele Medien haben das Thema aufgegriffen. Im Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ) vom 13. August 2024 erklärte er, dass das Personal in Arztpraxen immer häufiger mit Beleidigungen, Sachbeschädigungen und auch tätlichen Angriffen konfrontiert werde. Die Mehrheit der Patientinnen und Patienten sei unproblematisch, aber die Gruppe der Patienten, die selbst oder deren Angehörige auffällig würden, werde größer. „Aggressives Verhalten, verbale Bedrohungen bis hin zu Tätlichkeiten sind ein wachsendes Problem in den Arztpraxen. Nicht nur in Notaufnahmen, auch bei den Niedergelassenen eskaliert die Lage immer öfter“, so Gassen.
Täter aus allen Gruppen
Dabei stammten die Täter aus allen Gruppen, so Gassen: „Dass sich Patienten nicht benehmen können und eine schräge Einschätzung der eigenen Behandlungsdringlichkeit haben, ist ein Nationen-übergreifendes Phänomen“, erklärte er. Bemerkenswert und „extrem unangenehm“ sei aber, dass immer häufiger ein Kranker mit vielen Begleitpersonen in die Praxis oder Notaufnahme komme, die dann Ärger machten.
„Deutliche und schnelle Strafen“
„Es braucht in solchen Fällen deutliche und schnelle Strafen. Sonst kommt die Botschaft bei einigen Menschen nicht an. Aber bislang hat so ein asoziales Verhalten null Konsequenzen. Deshalb muss das Gesetz von Marco Buschmann zum besseren Schutz von Einsatzkräften auf die Arztpraxen ausgeweitet werden. Es ist überfällig, das Strafgesetz an der Stelle zu verschärfen. Auch Praxen müssen sich nicht alles bieten lassen“, forderte Gassen im Interview.
„Die Praxen sind immer häufiger von Beschimpfungen, Beleidigungen und aggressivem Verhalten von Patientinnen und Patienten betroffen. Bundesjustizminister Marco Buschmann muss sie bei der geplanten Verschärfung des Strafrechts deshalb unbedingt berücksichtigen“, appellierte der KBV-Vorstand anlässlich der Stellungnahme zum Referentenentwurf Ende Juli 2024. „Die KBV unterstützt das Vorhaben des Gesetzgebers, mit dem Entwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches, den Schutz von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie sonstigen dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten zu stärken“, erklärte Gassen damals. Allerdings fehlten in dem Gesetzentwurf die Praxen.
Praxen explizit erwähnen
Die Vertragsärzte, -psychotherapeuten und deren Mitarbeitenden kümmerten sich tagtäglich um die Gesundheit der Menschen im Land und leisteten damit einen wichtigen Beitrag für das Gemeinwesen, fuhr Gassen fort. „Wir fordern daher Herrn Buschmann auf, in dem Gesetzentwurf die Praxen explizit zu erwähnen und ihnen damit ebenfalls strafrechtlichen Schutz bei der Ausübung ihrer Tätigkeit zukommen zu lassen."
„Die Praxen leisten für das Gemeinwohl einen essenziellen Beitrag. Der Staat sollte sie genauso stark schützen wie vergleichbare Berufsgruppen. Deshalb müssen die geplanten gesetzlichen Regelungen unbedingt nachgeschärft und um die Praxen erweitert werden“, fordern die drei KBV-Vorstände.
„Gewalt und aggressives Verhalten in der Gesellschaft nehmen zu“, konstatierte Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender. Dies spürten auch die Vertragsärztinnen und -ärzte – und nicht nur im Notdienst. Beschimpfungen und rüdes Verhalten, sei es verbal oder körperlich, würden in den Praxen mehr und mehr zur Belastung.
Negative Wirkung auf die Attraktivität der Berufe in der Praxis
„Diese Entwicklung wirkt sich inzwischen auch auf die Attraktivität des Berufes der Medinischen Fachangestellten (MFA) negativ aus“, sagte KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner. Dass der Ton und der Umgang miteinander in der Gesellschaft rauer und aggressiver würden, bekämen die MFA – ob am Telefon oder bei der Anmeldung – häufig als erste zu spüren. Dies ist auch immer wieder bei entsprechenden Umfragen zu hören und wird auch in Fachmedien thematisiert.
KBV startet eigene Online-Umfrage
So hatte die Ärztekammer Westfalen-Lippe im Frühjahr eine Befragung unter Ärztinnen und Ärzten durchgeführt, die einen hohen Rücklauf hatte und bei der mehr als die Hälfte der Teilnehmenden von Erfahrungen mit verbaler oder gar körperlicher Gewalt berichteten. Die KBV hat am 15. August 2024 zu diesem Thema auch eine eigene Online-Umfrage unter Ärzten, Psychotherapeuten und Praxismitarbeiterinnen/-mitarbeitern gestartet, die bis zum 2. September laufen soll.
Justizminister kündigt Gespräch mit Gassen an
Bundesjustizminister Marco Buschmann hat ebenfalls am 13. August 2024 gegenüber der „NOZ“ angekündigt, das Anliegen der Ärzteschaft prüfen zu wollen. „Wir wollen Rettungskräfte wie Feuerwehrleute, Polizisten oder auch das medizinische Personal in den Notfallambulanzen besser vor Anfeindungen und Gewalt schützen. Denn in ihrer Tätigkeit führt jede Art von Verzögerung oder Blockade zu besonderen Gefahren“, so Buschmann im Gespräch mit der „NOZ“. „Ob wir solche besonderen Situationen vergleichbar auch in den Arztpraxen haben und somit ein vergleichbares Rechtsgut betroffen ist, würde ich gerne mit Herrn Gassen persönlich besprechen. Wir werden uns zusammensetzen.“
Bedrohungen, Beleidigungen und Gewalt schon heute strafbar
Zur aktuellen Rechtslage erklärte er, selbstverständlich müssten niedergelassene Ärzte sich nicht alles bieten lassen: „Wer in eine Arztpraxis geht, dort Menschen bedroht, beleidigt, sie mit Gewalt angeht oder das Hausrecht verletzt, macht sich schon heute strafbar.“