Die Chancen und Grenzen der digitalen Zahnmedizin standen im Fokus des 59. 59. Bayerischen Zahnärztetags vom 18. bis 20. Oktober 2019 in München. Etwa 1.200 Teilnehmer – Zahnärzte und Mitarbeiter – besuchten den zweitägigen Fachkongress, der am 18. Oktober mit einem Festakt im Beisein der bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml und standespolitischer Prominenz eröffnet wurde.
Der Vorsitzende des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns (KZVB), Christian Berger, warnte in seiner Ansprache vor einem drohenden Ausverkauf der ambulanten Zahnmedizin durch Finanzinvestoren. „Aufgekaufte Praxen werden zum Renditeobjekt. Gesundheit droht zur Ware zu werden, die im Rahmen konzernartiger Versorgungsketten bestmöglich zu verkaufen ist. Wir wissen aus anderen europäischen Ländern, wohin diese Entwicklung führen kann. Am Ende beherrschen einige große Player den Markt“, sagte Berger, der in Personalunion auch Präsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer (BLZK) ist, vor mehr als 300 Ehrengästen aus Politik, Verbands- und Gesundheitswesen.
Kleine Einheiten und Praxisnetze und Verbünde
Weil die Bundespolitik Kapitalinvestoren auf dem Praxismarkt gewähren lasse, gehe es für die zahnärztlichen Körperschaften in Bayern jetzt darum, „unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen“. Berger: „Sei es in der Gründungsberatung, sei es im Bereich der Dienstleistungen für unsere Praxen – wir werden auch künftig alles dafür tun, bewährte Strukturen zu erhalten, und uns dem Wettbewerb stellen. Dabei denken wir sowohl an kleine Einheiten als auch an Praxisnetze und -verbünde, die helfen können, den wachsenden Bürokratieaufwand und die enorm hohen Anforderungen an Qualität und Hygiene in den zahnärztlichen Praxen überhaupt noch erfüllen zu können.“
Neue Landesarbeitsgemeinschaft für Pflegebedürftige
Dass die Selbstverwaltung – neben Digitalisierung und Industrialisierung – vor weiteren Herausforderungen steht, machte der Vizepräsident der BLZK, Dr. Rüdiger Schott, in seiner Rede deutlich. Laut der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V) seien bundesweit knapp 30 Prozent der Pflegebedürftigen auf Hilfe bei der Mundpflege angewiesen. „Wir wollen in Bayern eine möglichst flächendeckende präventive und therapeutische Versorgung für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen durch niedergelassene Zahnärzte koordinieren und die Mundgesundheitskompetenz weiter fördern. Unser Konzept einer Landesarbeitsgemeinschaft für Pflegebedürftige (LAGP) liegt auf dem Tisch. Erste Signale aus der Politik zeigen, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind“, betonte Schott, der gleichzeitig stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KZVB ist. Mit diesem ambitionierten Projekt würden die beiden zahnärztlichen Organisationen im Freistaat einmal mehr unter Beweis stellen: „Selbstverwaltung hat Zukunft, wenn wir die Herausforderungen gemeinsam in die Hand nehmen.“
„Koffer voller Wissen“ für Bayerns Gesundheitsministerin
Zum Start der Initiative „Mundpflege in der Pflege“ übergaben die beiden Präsidenten der BLZK, Christian Berger und Dr. Rüdiger Schott, beim Festakt des 59. Bayerischen Zahnärztetages den neuen Schulungskoffer von BLZK und KZVB an Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml. Konzipiert wurde der „Koffer voller Wissen“ für Zahnärzte, die Pflegepersonal zum Thema „Mundhygiene von pflegebedürftigen Menschen“ schulen. Er enthält unter anderem einen Mustervortrag, Mundhygieneprodukte und verschiedene Informationsmaterialien zur Mundgesundheit.
Die CSU-Politikerin bewertete die Aktion der bayerischen Zahnärzte positiv: „Die Aufrechterhaltung eines eigenverantwortlichen und selbstständigen Lebens ist eines meiner Hauptziele für Seniorinnen und Senioren. Daher freut es mich, dass sich die zahnärztlichen Organisationen verstärkt der Aufrechterhaltung der Mundgesundheit – gerade auch für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen – widmen. Initiativen wie das Angebot dieses Lehrkoffers können einen weiteren wichtigen Beitrag leisten.“
Bayerische Initiative zur Approbationsordnung
Die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml berichtete von einer erneuten Initiative der Staatsregierung bei der Approbationsordnung für Zahnärzte. „Bayern hat den Antrag gestellt, das Thema im Bundesrat zu behandeln. Die Länder müssen jetzt Farbe bekennen. Wir brauchen endlich eine Entscheidung“, forderte sie. (Die Entscheidung über die Approbationsordnung wurde am 19. Oktober im Bundesrat wegen fehlender Mehrheiten erneut vertagt, Anm. d. Red.)
Der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Peter Engel, warb ebenfalls um Unterstützung für die Reform der mittlerweile 63 Jahre alten Ausbildungsordnung. „Bildung kostet Geld, aber dieses Geld ist gut investiert“, sagte er. Bereits am heutigen Freitag wird der Bundesrat über die neue Approbationsordnung abstimmen.
Vertrauensbeziehung zwischen Patient und Zahnarzt erhalten
In seinem Grußwort wies Engel auf die Begleiterscheinungen der Digitalisierung hin. „Bei aller Erleichterung, die uns die Digitalisierung bereits gebracht hat, und bei allen Möglichkeiten und Potenzialen, auf die wir in Zukunft noch hoffen können, dürfen wir die Augen nicht vor den Gefahren und Problemen verschließen. Kritiker sehen durch die Digitalisierung erhebliche Risiken für die informationelle Selbstbestimmung von Patienten und Zahnärzten – und in der Folge für deren gemeinsames Vertrauensverhältnis“, gab er zu bedenken. Für die Bundeszahnärztekammer sei von zentraler Bedeutung, „dass auch in Zukunft die Vertrauensbeziehung zwischen Patient und Zahnarzt als Entscheidungsbasis für oder gegen eine medizinische Maßnahme erhalten bleibt“. Dieses Vertrauensverhältnis dürfe nicht durch digitale Entscheidungsprozesse ersetzt oder fremdgesteuert werden.
Wissenschaftliches Programm nahm Digitalisierung in den Fokus
Als Kooperationspartner fungierte in diesem Jahr die Deutsche Gesellschaft für Computergestützte Zahnheilkunde (DGCZ). Deren Vorsitzender Dr. Bernd Reiss hielt beim Festakt ein Plädoyer für die Anwendung digitaler Verfahren. Die computergestützte Zahnheilkunde könne „fachübergreifend einen Beitrag zur Entlastung der Praxen leisten“.
Festrednerin war in diesem Jahr Prof. Dr. Christiane Woopen, Vorsitzende des Europäischen Ethikrats und Co-Vorsitzende der Datenethikkommission der Bundesregierung. In ihrem Vortrag „Der autonome Mensch in einer automatisierten Gesellschaft“ richtete sie den Blick auf den Menschen vor dem Hintergrund des immer weiter voranschreitenden Einsatzes algorithmisch gesteuerter Systeme.
Thomas A. Seehuber, München
Ausführliche Berichte über das wissenschaftliche Programm und das Fortbildungsangebot für das Team lesen Sie auf der Internetseite der BLZK.