Kassel war diesmal Treffpunkt für die Delegierten der Hauptversammlung des Freien Verbands Deutscher Zahnärzte (FVDZ) Mitte Oktober, und mit dem Fokusthema „Digitalisierung“ stand ein hochaktuelles Thema auf der Agenda der Eröffnungsdiskussion. Es war auch die erste Gelegenheit, die neue Bundesdatenschutzbeauftragte Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider zu erleben.
Die Delegierten verabschiedeten in Kassel einstimmig eine Resolution mit zehn Punkten zur Reformierung des Gesundheitswesens. Überbordende Bürokratie, dysfunktionale Digitalisierung und staatliche Eingriffe in die Selbstverwaltung – das seien nur einige der Punkte, von denen die Versorgung der Bevölkerung mit zahnmedizinischen Leistungen gekennzeichnet ist und die der Zahnärzteschaft zu schaffen machen. Das Ergebnis seien zahnarztlose Landstriche, früh aus der Versorgung aussteigende Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner, fehlender und mutloser Nachwuchs.
Politik unwillig, Lösungen anzunehmen
„Der FVDZ zeigt seit Jahren den Weg aus der Misere auf und macht der Politik Vorschläge zur Gegenreaktion. Die Politik ist aber bis heute unwillig, Lösungen anzunehmen, die die Versorgungskrise abwenden könnten“, mahnt der Bundesvorsitzende des FVDZ Dr. Christian Öttl.
Bürokratielast senken, freiberufliche Praxen stärken
Die Hauptversammlung des Freien Verbands Deutscher Zahnärzte fordert die Bundesregierung in ihrer Resolution vor allem auf, die freiberuflich inhabergeführten Praxen als Rückgrat der ambulanten zahnmedizinischen Versorgung anzuerkennen und zu fördern. Außerdem sollen Gesetze im Bereich der Gesundheitsversorgung nur noch nach dem Prinzip „one in – two out“ erlassen werden. Auch die Bürokratielast in den Praxen muss nachhaltig abgebaut werden. Die Bundesregierung wird weiter dazu angehalten, endlich versorgungsfremde Investoren im Gesundheitswesen einzudämmen. Zudem müssen Gesundheitsdaten besonders geschützt werden und deren Speicherung und Auswertung darf nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Patienten im jeweiligen Einzelfall zugelassen werden.
„Wir müssen das!“
„Wir erwarten, dass die Bundesregierung ernsthafte Reformen liefert. Wir, der Freie Verband Deutscher Zahnärzte, haben die Verantwortung, den Finger in die Wunde zu legen und die Missstände anzuprangern. Nur wir können das. Wir dürfen das. Wir müssen das!“, konstatierte Öttl.
Positive Nachrichten zum ZE-Punktwert
Bei den Grußworten waren die Ausführungen des KZBV-Vorstandsvorsitzenden Martin Hendges zur Neuregelung der Bema-Nummer 13 mit einem erhöhten Punktwert und den erfolgreichen Verhandlungen zum ZE-Punktwert mit einem Plus von 4,41 Prozent und 45 Millionen Euro Volumen im Bema als Richtwert für die Verhandlungen der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen zu den Honorarvolumina für 2025 erfreulich. und die klare Positionierung des Präsidenten der Bundeszahnärztekammer, Prof. Christoph Benz, gegen den aktuell diskutierten Vorschlag für die Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte als Blaupause für eine Novellierung der Gebührenordnung für Zahnärzte bemerkenswert.
DGZMK will Standespolitik beim wissenschaftlichen Fortschritt begleiten
Auch Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, wandte sich mit einem politischen Grußwort an die Delegierten. Er dankte der KZBV und der BZÄK für Zusammenarbeit, „weil wir die Probleme nur gemeinsam angehen und stemmen können“, so Wiltfang. Er sehe die Aufgabe der DGZMK auch in der engen Begleitung des wissenschaftlichen Fortschritts für die Standespolitik. Wiltfang thematisierte auch das immer noch nicht ausreichend enge Verhältnis zur Medizin: Es gebe viel Medizin in der Zahnmedizin, aber immer noch wenig Zahnmedizin in der Medizin. Daran wolle er weiter arbeiten. Die DGZMK sei politischer geworden und werde weiter politischer werden.
Für eine zuverlässige Digitalisierung mit Augenmaß
In der Diskussionsrunde zur Eröffnung der HV diskutierten Prof. Specht-Riemenschneider, der KZBV-Vorstandsvorsitzende Martin Hendges, Dr. Kai-Peter Zimmermann, Digitalvorstand des FVDZ, Dr. Markus Heckner, VDDS-Vorstandsmitglied, und Dr. Wassiliki Ionna Daskalaki, Vorstandsmitglied des FVDZ-Landesverbands Westfalen-Lippe, unter der Moderation von Dr. Christian Öttl, Bundesvorsitzender des FVDZ, über die Herausforderungen der Digitalisierung, nicht zuletzt mit der elektronischen Patientenakte (ePA).
Specht-Riemenschneider, zum damaligen Zeitpunkt seit vier Wochen Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, setzt auf den Dialog: „Aus meiner Perspektive ist der Austausch zwischen Datenschutz-Theorie und Datenschutz-Praxis in der Vergangenheit zu kurz gekommen. Ich bin auch angetreten mit dem Ziel, mehr zuzuhören, mehr zu verstehen, mehr nachzufragen, mehr zu erklären und mitzunehmen. Gebe es technische Lösungen, die Datenschutz von vornherein mitdenken, wären wir nicht an diesem Punkt des Akzeptanzdefizits.“ Manchmal würden alle Probleme der Digitalisierung dann auf den Datenschutz geschoben, so Specht-Riemenschneider.
Instrument der Informationspflichten entschlacken
Es gebe eine hohe Belastung mit Informationspflichten für Unternehmen und Freiberufler. Das Instrument der Informationspflichten könne man wahnsinnig entschlacken. Es helfe weder dem Patienten noch der Praxis noch den Kontrollbehörden. „Das wissen wir seit den 1960er-Jahren, und trotzdem wird auf jedes Problem wieder mit einer neuen Informationspflicht reagiert“, so die Professorin. Die Probleme lägen im politischen Bereich. „Nicht alles, was Ihnen Probleme macht, ist auf den Datenschutz zurückzuführen. Aber wir haben große Probleme, die wir gemeinsam lösen müssen, und das geht nur im Dialog. Dazu stehen wir gerne bereit.“ Der Gesundheitsbereich werde im Fokus ihrer Amtszeit stehen.
ePA noch nicht ausgereift
Dr. Markus Heckner, stellvertretender Vorsitzender des Verbands Deutscher Dental-Software Unternehmen (VDDS) und per Video zugeschaltet, wies darauf hin, dass das System der ePA noch nicht ausgereift sei, weil es noch keine konkreten Kriterien für die PVS-Systeme gibt. Dadurch werde es schwierig, die vorgegeben Fristen einzuhalten. Ziel sei es, komplizierte digitale oder noch analoge Vorgänge in einen einfacheren digitalen Vorgang umwandeln. Die aufgezwungenen Parallelstrukturen der Telematikinfrastruktur seien da nicht hilfreich.
Zu wenig Kontakt mit den Praktikern
Die personell weiter aufwachsende Gematik mache den Grundsatzfehler, zu wenig mit den Praktikern zu sprechen. Die ePA nütze aktuell mehr den Kassen, vielleicht den Patienten und der Weitergabe von Daten an die Forschung, nicht den Zahnärzten.
Die gesetzlichen Fristen seien viel zu kurz. Die alte ePA sei technologisch überholt, daher gebe es eine komplette Neuentwicklung mit neuer Plattform, neuem Backend und Technologie. Da sei viel Geld für etwas geflossen für etwas, das bisher kein Erfolg war.
Es brauche mehr Lösungen, die die Arbeit erleichtern und Bürokratieabbau bringen, nicht immer mehr Zwänge.
Mit viel Pragmatismus und Praxisnähe ausgestalten
Auch mit Blick auf den bevorstehenden Wahlkampf sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), Martin Hendges: „Die jetzigen Fristen zur Einführung der ePA im Frühjahr 2025 sind rein politisch motiviert. Der Bundesgesundheitsminister steht unter hohem Zeitdruck. Wir haben acht Monate Übergangsfrist. Ich wäre etwas gelassener, was die Fristen angeht. Wir werden trotzdem abrechnen“, so Hendges. „Meine Bitte wäre wirklich, den Blick darauf zu lenken, dass wir das mit viel Pragmatismus und Praxisnähe ausgestalten.“ Dazu gehöre auch, vonseiten der Praxen nur strukturierte Daten einzupflegen. Die Prämisse sei, dass die Zahnärztinnen und Zahnärzte das selbst gestalten. „Was ist sinnvoll? Was schon im PVS dokumentiert?“ Man müsse verhindern, dass der Gesetzgeber weitere Vorgaben macht. Es gelte, die gesetzlichen Vorgaben auch nur so und sinnhaft umsetzen.
Weg vom Datensammeln
„Es war immer davon die Rede, dass die Patienten von der ePA profitieren. Aber der Fokus richtet sich immer mehr auf das Datensammeln. Da hat das ganze System massiv Schlagseite bekommen. Datensammeln ist in manchen Punkten nachvollziehbar, aber für uns nicht mehr tragbar“, ergänzte Dr. Kai-Peter Zimmermann, Digitalvorstand des FVDZ. „Also Digitalisierung ja, aber nicht als Test in the Field mit Praxen als Erprobungsstation. Wir wollen und werden den Praxen helfen und müssen als Verband dafür den Finger weiter in die Wunde legen“, brachte Öttl es auf den Punkt.
Digitalisierung kann Abläufe vereinfachen
Dr. Wassiliki Ionna Daskalaki, Vorstandsmitglied des FVDZ-Landesverbands Westfalen-
Lippe, betreibt eine hochdigitalisierte Praxis in Dortmund. Sie betonte: „Wir wollen durch die Digitalisierung die Menschlichkeit auf keinen Fall ersetzen.“ Aber sie könne helfen, Abläufe zu vereinfachen, manches auch schneller machen und sei hilfreich bei Personalengpässen.
„Nicht alles, was ihnen Probleme macht, ist auf den Datenschutz zurückzuführen, aber wir haben große Probleme, die wir lösen müssen. Das geht nur im Dialog, für diesen Dialog stehe ich“, zog Specht-Riemenschneider ihr Resümee.
Die Hauptversammlung des Freien Verbands tagte vom 10. bis 12. Oktober 2024 in Kassel. Rund 130 Delegierte aus 17 Landesverbänden diskutierten die Aktivitäten des Verbands und gestalten seine Ausrichtung für die Zukunft. Kernthemen sind neben der Digitalisierung, Europa, Personal, GOZ und Berufsausübungsformen der Zukunft. (MM)
Mit Material des FVDZ.