Die ambulante und stationäre Notfallversorgung soll reformiert werden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat Anfang Januar 2020 einen entsprechenden Gesetzentwurf für deren Neuordnung vorgelegt. Während die Kassenärzte dem Entwurf positiv gegenüberstehen, kommt von der Deutschen Krankenhausgesellschaft harsche Kritik.
„Die Fakten sprechen für die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen): Sie bauen konsequent den Patientenservice rund um die bundesweite Nummer 116117 aus. Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig, dass der aktuelle Referentenentwurf zur Notfallgesetzgebung auf diese Strukturen unter der Federführung der KVen aufsetzt“, erklärte Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV.
Gemeinsam mit seinen Vorstandskollegen Dr. Stephan Hofmeister und Dr. Thomas Kriedel attestierte er dem Referentenentwurf „viele Schritte in die richtige Richtung“. Positiv wertete der KBV-Vorstand, dass dem Gesetzgeber offenbar die wichtige Rolle des ärztlichen Bereitschaftsdienstes bewusst sei. Die KVen hätten gut funktionierende Strukturen aufgebaut. Unter der Nummer 116117 ist derzeit der ärztliche Bereitschaftsdienst erreichbar. Seit Beginn dieses Jahres können Patienten zusätzlich den Terminservice der KVen in Anspruch nehmen (Vermittlung von Terminen bei niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten). Zudem werden sie im Rahmen eines Ersteinschätzungsverfahrens unterstützt, um die richtige Anlaufstelle für ihre Behandlung zu finden.
Bestehende Strukturen nutzen
Der KBV-Vorstand begrüßte, dass der Entwurf „das Prinzip ambulant vor stationär“ aufgreife. „Damit wird die Versorgung der Patienten verbessert“, konstatierte Gassen. Folgerichtig sei es auch, dass die Idee eines „dritten eigenständigen Sektors“ bei der Notfallversorgung nicht mehr verfolgt werde.
Einige Details sind noch zu klären. „Das KV-System ist gut aufgestellt“, führte Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV aus. „Die KVen haben zahlreiche regional passende Angebote und Strukturen auch an Krankenhäusern bereits eingerichtet. Es muss immer darauf geachtet werden, dass bei der Notfallreform auf diese bestehenden Strukturen aufgebaut wird.“ Die KBV setze auf eine gute Kooperation mit den Krankenhäusern. „Insbesondere die kollegiale Zusammenarbeit mit den Ärztinnen und Ärzten an den Krankenhäusern ist uns wichtig“, sagte Gassen.
Gemeinsames Notfallleitsystem mit 112 und 116 117
Mit der Reform der Notfallversorgung will Spahn die vorhandenen Angebote enger verzahnen und eine integrierte medizinische Notfallversorgung etablieren. Neben den Integrierten Notfallzentren soll dazu ein Gemeinsames Notfallleitsystem (GNL) entstehen, das eine zentrale telefonische Lotsenfunktion übernehmen soll. Für lebensbedrohliche Notfälle ist weiterhin die 112 zuständig, für alle anderen Fälle die von den KVen betriebene 116117. Sowohl das GNL als auch die Notfallzentren sollen rund um die Uhr erreichbar sein.
Auch der Hartmannbund hatte Spahns Gesetzentwurf grundsätzlich begrüßt. Es sei positiv, dass die Sicherstellung in den Händen der Ärzte bleibe. „Es wäre schön, wenn sich das an dieser Stelle von der Politik gezeigte Vertrauen in die Selbstverwaltung auch an anderer Stelle widerspiegeln würde“, sagte Verbandssprecher Michael Rauscher.
DKG: Affront für die Krankenhäuser
Gerade in diesem Wechsel der Zuständigkeit für die Sicherstellung sieht die Deutsche Krankenhausgesellschaft einen Affront für die deutschen Krankenhäuser. Deren zentraler Beitrag zur Sicherstellung der Notfallversorgung werde mit diesem Konzept in geradezu diskriminierender Weise den Interessen von Kassen und KVen preisgegeben. „Statt, wie im ursprünglichen Konzept aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) noch vorgesehen, den Sicherstellungsauftrag den KVen, die ihn bislang nicht erfüllen konnten, wegzunehmen, sollen diese nun dominant die Leistungen, die die Krankenhäuser bislang im Rahmen ihrer ambulanten Notfalleinrichtungen erbracht haben, bestimmen. Zudem werden für die Patienten die Anlaufstellen im Notfall stark begrenzt“, erklärte Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Er sieht eine „krankenhausfeindliche Grundorientierung“ im Gesetzentwurf.
Zentraler Punkt der Kritik der DKG ist die Vorgabe, dass ambulante Notfallleistungen in Zukunft nur noch in Integrierten Notfallzentren (INZ) an ausgewählten Krankenhäusern erbracht werden dürfen. Bei der Entscheidung, welche Krankenhäuser das in den Regionen sind, haben nach dem Gesetzentwurf die Krankenkassen und die KVen die Mehrheit. Damit könnten Kassen und KVen über die Zukunft der Krankenhausstrukturen in Deutschland maßgebliche Entscheidungen treffen. Das stehe in absolutem Widerspruch zur verfassungsrechtlichen Zuordnung der Zuständigkeit für die Krankenhausplanung auf die Länder. Absolut unverständlich aus Sicht der DKG sei der Kniefall des BMG-Konzepts vor dem KV-System. Der ursprüngliche Referentenentwurf sah vor, dass der Sicherstellungsauftrag von den KVen auf die für die Krankenhausplanung zuständigen Länder übergehen sollte.
Benachteiligung von Krankenhäusern ohne INZ-Zulassung
Geradezu ein Affront für die Leistungen der Krankenhäuser zugunsten von Menschen, die medizinische Hilfe suchen, ist die neu vorgesehene Vorgabe, dass Krankenhäuser, die in Zukunft Leistungen für Notfallpatienten erbringen, ohne dass sie eine INZ-Zulassung haben, nur noch die Hälfte der Vergütung erhalten sollen. Demgegenüber sollen an Krankenhäusern fortbestehende Portalpraxen, auch wenn dies nicht in INZ-Strukturen erfolgt, weiter die volle Vergütung bekommen. „An dieser Stelle wird deutlich, dass im BMG mit einseitig krankenhausdiskriminierender Logik gearbeitet wird“, so die DKG.
Mit den Integrierten Notfallzentren würde den Krankenhäusern eine „von den KVen, die als Körperschaften öffentlichen Rechts keine medizinischen Kompetenzen haben“, medizinisch geleitete Notfalleinrichtung zwangseingegliedert werden, bei der das Krankenhaus am Ende dann auch noch wirtschaftliche Verantwortung übernehmen solle, so die DKG.