Die gesetzlichen Krankenkassen kritisieren immer schärfer die Politik, die mit ihren Gesetzen und Gesetzesplänen die Finanzsituation der solidarisch finanzierten Krankenkassen zunehmend verschlechtert und mit steigenden Beiträgen Mitglieder und Arbeitgeber belastet. So startete der Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKK) Ende Juli eine eigene Sommer-Kampagne. Der Verwaltungsrat der größten deutschen gesetzlichen Krankenkasse, der Techniker Krankenkasse (TK), forderte Mitte Juli eine nachhaltige GKV-Finanzierung. ZTM Dominik Kruchen, im Verwaltungsrat der Kasse Mitglied für die Arbeitgeberseite, erklärte „es kann nicht sein, dass Beiträge für Mitglieder und Arbeitgeber immer weiter steigen“. Nötig seien eine faire Finanzierung versicherungsfremder Leistungen und eine echte Reform.
Auch der BKK Dachverband wird in seiner Meldung zur neuen Sommer-Kampagne „#wasfehltzahlstdu“ deutlich: „Hier ein paar Milliarden, weil der Staat bei den Krankenkassenbeiträgen für Bürgergeldbeziehende den Sparfuchs gibt, dort ein paar Milliarden, weil die Versichertengemeinschaft für Arzneimittel den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent zahlen muss, während für Monatshygieneartikel der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent gilt. Und 50 Milliarden Euro für eine Krankenhaustrukturreform, die laut Grundgesetz von Bund und Länder getragen werden müssten, stattdessen aber zur Hälfte den Beitragszahlern aufgebürdet werden.“ Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK Dachverbands: „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihre Arbeitgeber zahlen einen hohen Preis für Karl Lauterbachs Untätigkeit bei der Stabilisierung der GKV-Finanzen. Dabei könnte ein großer Teil des Kostendrucks genommen werden, wenn die Bundesregierung endlich an den richtigen Stellschrauben drehen würde.“
Koalition löst Versprechen nicht ein
Die zunehmende Finanznot in der GKV sei der Politik seit langem bekannt. „Noch im Koalitionsvertrag versprach man sich in der Ampelregierung, die staatlichen Zuschüsse an die Entwicklungen anzupassen und zu erhöhen. Passiert ist bis heute nichts. Noch düsterer sieht es bei der Krankenhausfinanzierung aus, die eigentlich Ländersache ist. Hier zahlen die Länder – an die Kaufkraftänderung angepasst – ganze 44 Prozent weniger als noch vor 20 Jahren, während die Krankenhausausgaben der gesetzlichen Krankenkassen inflationsbereinigt im gleichen Zeitraum um 70 Prozent gestiegen sind. Der politische Reflex bislang: Was fehlt, zahlen die Beitragszahler. Damit stiehlt sich der Staat aus seiner Verantwortung“, so Klemm. „So geht das nicht mehr lange gut!“
90 Prozent der Bevölkerung betroffen
Ab 30. Juli erläuterten die Betriebskrankenkassen daher unter dem Hashtag #WasFehltZahlstDU, wie ernst es um die Finanzen der GKV bestellt ist. Klemm: „Die finanzielle Notlage der GKV betrifft fast 90 Prozent der Bevölkerung. Und die Lage spitzt sich weiter zu“, so Klemm. „Es ist an der Zeit, den Menschen in Deutschland transparent und laienverständlich aufzuzeigen, wo und wie die gesetzliche Krankenversicherung und damit die Beitragszahler entlastet werden könnten. Das Thema geht alle an!“
Kritisiert wird in der Kampagne dabei auch die geplante Entbudgetierung für Ärzte. Man wolle keine Mehrausgaben für neue Regelungen, die die Versorgung nicht verbessern (Entbudgetierung Hausärzte, Bagatellgrenze, vertraulicher Erstattungsbetrag bei Arzneimitteln) und keine Mehrausgaben für neue versicherungsfremde Leistungen (Medizinstudienplätze, Gesundheitskioske, Strukturreform Krankenhauslandschaft).
Hohe Belastung für die Arbeitgeber setzt Wirtschaft unter Druck
Aber nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch die Arbeitgeber müssten die Mehrbelastungen tragen – ein Argument, das auch der Verwaltungsrat der TK betont. BKK-Dachverbands-Vorständin Klemm: „Mit jedem Prozentpunkt, um den der Beitragssatz steigt, müssen die Arbeitgeber hierzulande derzeit rund 15 Cent pro Arbeitsstunde mehr an die Krankenkasse des Arbeitnehmers abführen. Bei rund 62 Milliarden geleisteten Arbeitsstunden in Deutschland im Jahr 2023 kommt da einiges zusammen: insgesamt etwa 9,3 Milliarden Euro. Das ist ein weiteres Puzzlestück, warum die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Vergleich zu anderen großen Exportnationen weiter unter Druck gerät.“
Selbstverwaltung der TK fordert nachhaltige Finanzierung
Bei der TK hat der Verwaltungsrat als Gremium der Selbstverwaltung Mitte Juli 2024 die Jahresrechnungen für das Jahr 2023 abgenommen und appelliere erneut an die Politik, eine nachhaltige Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sicherzustellen. Bei der TK standen im vergangenen Jahr Einnahmen von rund 39,2 Milliarden Euro Ausgaben in Höhe von rund 40 Milliarden Euro gegenüber, im Ergebnis ein Minus von 800 Millionen Euro. Dies resultiert insbesondere daraus, dass die TK aufgrund politischer Vorgaben rund 717 Millionen Euro ihrer Reserven an den Gesundheitsfonds abführen musste. Die Ausgaben für die medizinische Versorgung stiegen auf insgesamt rund 37,5 Milliarden Euro und damit um 5 Prozent je Versicherte/Versicherten.
Krankenhausbehandlung größter Posten
Größter Ausgabenposten waren die Krankenhausbehandlungen mit rund elf Milliarden Euro - ein Plus von 7 Prozent je Versicherte/Versicherten. „Alle Appelle an die Politik, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zu stabilisieren und damit den Koalitionsvertrag einzuhalten, haben bisher nichts genützt. Im Gegenteil: Die Ausgaben steigen weiter und neue politische Vorhaben werden die Beitragszahlenden zusätzlich belasten“, sagte Dieter F. Märtens, alternierender Vorsitzender des Verwaltungsrats und Versichertenvertreter.
ZTM Dominik Kruchen, alternierender Vorsitzender des Verwaltungsrats und Arbeitgebervertreter (auch Präsident des Verbands Deutscher Zahntechniker-Innungen), ergänzte: „Dies kritisieren wir als Selbstverwaltung scharf. Es kann nicht sein, dass Beiträge für Mitglieder und Arbeitgeber immer weiter steigen. Wir brauchen eine faire Finanzierung von versicherungsfremden Leistungen und echte Reformen im Gesundheitswesen, die die Strukturen nachhaltig verbessern."
Deutliche Worte von TK-Chef Jens Baas
Deutlich wurde auch der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, im Interview mit dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) am 1. August 2024. „Wir werden Anfang 2025 auf breiter Front deutliche Beitragssatzsteigerungen in der gesamten gesetzlichen Krankenversicherung sehen. Die aktuelle Schätzung von bis zu 0,6 Prozentpunkten mehr halte ich für absolut realistisch, wodurch dann im Schnitt ein Beitrag von fast 17 Prozent erreicht wird. Das galt noch vor ein paar Jahren als eine völlig abstruse Größenordnung. Damit ist aber nicht Schluss. Wir bewegen uns bis zum Ende des Jahrzehntes ungebremst auf einen Beitragssatz von 20 Prozent zu – wenn es keine Gegenmaßnahmen gibt. Die Politik kann nicht immer nur Gesetze machen, die zu höheren Ausgaben führen. Es muss endlich auch darum gehen, wie wir die steigenden Kosten in den Griff bekommen.“
Kritik an Lauterbachs Vorgehen
Er beschrieb auch die von fast allen Seiten kritisierte Vorgehensweise und Gesprächskultur von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach. Man sei zwar häufig im Gespräch und Lauterbach habe mit seiner Grundaussage, „dass viele Dinge im Gesundheitswesen grundlegend erneuert werden müssten, leider Recht“. Das Problem sei aber, „dass Karl Lauterbach oft nicht so agiert, dass politische Mehrheiten auf allen notwendigen Ebenen zustande kommen.“ Das politische Handwerk sollte besser sein, so Baas, sich nur mit Wissenschaftlern zu unterhalten, greife zu kurz, so Baas, und wird deutlich: „Natürlich sprechen wir regelmäßig miteinander. Aber ich habe oft das Gefühl, dass Gespräche erst stattfinden, wenn der Minister für sich bereits eine Entscheidung getroffen hat, um seine Ideen dann zu begründen. Das ist aus meiner Sicht die falsche Reihenfolge“.
Aktualisiert am 5. August 2024, 9 Uhr, um die Zitate aus dem Interveiw von Jens Baas. -Red.