„Quo vadis Zahntechnik?“, „Künstliche Intelligenz – Herausforderungen und Chancen?“ und „Auf der Suche nach neuen Arbeitnehmern – sind Sie der richtige Arbeitgeber?“ – drei aktuelle Themen wurden Ende August beim 22. Berliner Tisch diskutiert. Zum Ende des Sommers lädt der Quintessenz Verlag traditionell Vertreter von Unternehmen und Agenturen zu einem Treffen mit hochkarätigen Referentinnen und Referenten.
Quintessenz-Geschäftsführer und Verleger Christian W. Haase freute sich, dass erneut so viele Gäste der Einladung des Verlags zu einer Präsenzveranstaltung gefolgt waren. Freuen konnten sich die rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf Prof. Dr. Falk Schwendicke, der als Direktor der Klinik für Orale Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde und Versorgungsforschung die einzige Professur in diesem Bereich innehat. Gerade das Maschinenlernen, aber auch das sogenannte Deep Learning für echte Anwendungen Künstlicher Intelligenz, habe in den vergangenen Jahren gewaltige Fortschritte gemacht.
„Wir sind alle kostenlose Arbeitssklaven für Google.“ Denn über die gigantischen Datenmengen, die Nutzer weltweit täglich über die verschiedenen Portale und Suchmaschinen des Datenriesen schicken, „lernen“ die Systeme und werden die Algorithmen immer besser.
Es braucht immer den Experten
„Die Alltagsprobleme lassen sich mit Künstlicher Intelligenz heute schon gut lösen“, so Schwendicke. Für die Medizin treffe dies nicht zu – die Datenmengen seien viel kleiner, die Aufgaben komplexer und vielschichtiger. Um KI in der Medizin wirklich sinnvoll einsetzen zu können, brauche es immer den menschlichen Experten – sowohl in der Entwicklung als auch in der klinischen Anwendung. Die Erwartung, dass die KI besser sein müsse als der Mensch, sei überzogen. Es reiche aus, wenn sie genauso gut ist wie der Mensch.
Im Bereich Kariesdiagnostik funktioniere der Einsatz von KI in der Zahnmedizin schon recht gut, so Schwendicke, der an der Entwicklung der Anwendung DentalXray beteiligt war. Hier ist die KI ungefähr genauso spezifisch wie der Mensch. Aber in der Sensitivität sei der Mensch schlechter – „wir Zahnärzte übersehen viel, aber halluzinieren selten“.
Einsatz von KI noch am Anfang
Der Einsatz von KI-Systemen in der Zahnmedizin stehe noch am Anfang, und in Deutschland fehle es zudem an Geldern für die Forschung und Entwicklung. Prof. Schwendicke machte auf die Probleme aufmerksam: So müssten KI-Anwendungen auch mit anderen Datensätzen funktionieren als mit denen, an denen sie trainiert werden, also generalisierbar sein. Da zahnärztliche Behandlungen international sehr unterschiedlich sind, sei das oft schwierig. Die zugrundeliegenden Modelle müssten überprüfbar sein, da KI-Systeme auch manipulationsanfällig seien.
Zum Scan zum Zahnarzt
Und alle diese Anwendungen seien Medizinprodukte, die entsprechende Zulassungen benötigen – dafür fehlt es aber noch an Kriterien und Kompetenz der dafür zuständigen Benannten Stellen. Trotzdem werden, so Schwendicke, KI-Anwendungen in zehn Jahren in vielen Praxen im Einsatz sein, zum Beispiel über den Intraoralscanner, der dann Teil der Basisdiagnostik wird. Dann gehe man alle sechs Monate eben zum Scan beim Zahnarzt.
Wohin geht die Reise für die Zahntechnik?
Macht die technische Entwicklung den Zahntechniker in Zukunft nur noch zum Handlanger oder gar überflüssig? Wohin geht die Reise für die Zahntechnik? Prof. Dr. Irena Sailer und ZTM Vincent Fehmer, Klinik für Festsitzende Prothetik und Biomaterialien der Universität Genf, begleiten seit vielen Jahren intensiv die rasante Entwicklung in der Prothetik und sind dem Quintessenz-Verlag vielfältig verbunden. Prof. Irena Sailer ist Chefredakteurin des International Journal of Prosthodontics, Vincent Fehmer Mitglied des Editorial Boards des International Journal of Esthetic Dentistry und des internationalen Zahntechnik-Jahrbuchs, „QDT“, beide als Co-Autoren des neuen Standardwerks „Festsitzende Prothetik“ und als Leitung des International Symposium on Ceramics in San Diego. Sie zeigten in ihrem gemeinsamen spannenden Vortrag, wie sich die prothetische Versorgung durch neue technische Entwicklungen wie CAD/CAM, Patientenvisualisierung und neue Materialien verändert hat.
Reproduzierbare Planungen
Heute sei es möglich, Patienten mit genau der Prothetik zu versorgen, die man auch geplant habe und die der Patient virtuell und mithilfe eines CAD/CAM-gefertigten Prototypen schon habe „probieren können“, so Sailer. Was früher viele Stunden Arbeit des Zahntechnikers für das Wax-up/Mock-up gekostet habe und dann doch wegen Limitierungen bei Material und Technik nicht eins zu eins habe umgesetzt werden können, sei jetzt dank moderner Technologie und neuer Materialien schnell zu designen und sicher reproduzierbar. Nicht zuletzt reduzierten sich damit die Kosten für die Patienten.
Technik und Material erfordern hohes Fachwissen
Doch wird damit der Zahntechniker überflüssig? Definitiv nicht, so Sailer und Fehmer. Es brauche weiterhin das fachliche Know-how des Zahntechnikers, sowohl in der Bedienung der Systeme für Gestaltung und Fertigung (digitaler Designer) als auch und vor allem in der Materialauswahl. Gerade die Auswahl des für die jeweiligen klinischen Anforderungen geeigneten Materials sei angesichts der vielen neuen Materialien mit unterschiedlichen Eigenschaften, Verarbeitungsanforderungen und Indikationen eine Herausforderung und erfordere aktuelles Fachwissen. Und auch das klassische Wissen sei längst nicht obsolet.
Zahn der Zeit nagt an allen Restaurationen
„Wir brauchen auch in Zukunft den Zahntechniker als Fachmann“, zeigten sich beide überzeugt. Die neuen Anforderungen werden auch die Art der Kommunikation zwischen Dentallabor und Kunden verändern. Die Arbeit werde Zahnärzten und Zahntechnikern auch so schnell nicht ausgehen: „Der Zahn der Zeit nagt an allen Restaurationen“, so Sailer.
Fachkräfte können sich Arbeitgeber aussuchen
Fachkräftemangel – es gibt kaum ein Gespräch im geschäftlichen Umfeld, in dem dieses Thema nicht zumindest gestreift wird. Sabine Nemec, Management- und Kommunikationsexpertin und dem Verlag seit vielen Jahren als Autorin verbunden, machte in ihrer Analyse aktueller Daten und Trends schnell deutlich, dass sich qualifizierte Fachkräfte heute ihre Arbeitgeber aussuchen können. Die Knappheit hat durch Corona noch zugenommen, viele Menschen haben ihre Jobs gewechselt, und die Wechselbereitschaft sei hoch – ebenso wie die Zahl der offenen Stellen. Aber wo findet man überhaupt noch wechselwillige Kräfte? Nur ca. 17 Prozent sind laut Gallup-Studie engagiert in ihrem Job. Ein viel höherer Anteil (68 Prozent) hat „innerlich gekündigt“ und macht „Dienst nach Vorschrift“, ein weiterer Teil arbeitet gar gegen das Unternehmen (ca. 15 Prozent) – das ist ein Risiko, das oft unterschätzt wird. Und gut 25 Prozent der Beschäftigten überlegen aktuellen Zahlen zufolge, innerhalb der nächsten zwölf Monate ihren Arbeitsplatz zu wechseln, weil sie an ihrem Arbeitsplatz unzufrieden sind oder sich weiterentwickeln wollen.
Neue Wege für den Kontakt Unternehmen/Fachkräfte
Gute Bezahlung allein ist heute vielfach kein Grund zum Wechseln, es geht vielmehr um Wertschätzung, Gestaltungsmöglichkeiten, Entwicklungschancen. Gerade für die jungen Generationen (Y/Z) kommt es auf diese Punkte an, sie wollen Arbeit und Leben verbinden oder sehen Arbeit als einen Teil des Lebens.
Das sind Themen, die sich in klassischen Stellenanzeigen kaum vermitteln lassen, und die oft einen Wechsel in der Unternehmens- und Führungskultur verlangen. Eine starke Arbeitgebermarke mit flexiblen Arbeitsmodellen sei heute attraktiv. Und es lohne sich, ungewöhnliche Wege zu gehen, um potenzielle Arbeitskräfte auf sich aufmerksam zu machen. Nemec verwies zum Beispiel auf „Xeem“, ein Online-Portal, in dem sich Arbeitgeber mit Challenges für potenzielle Fachkräfte vorstellen und netzwerken können.
Wann haben Sie das letzte Mal gelobt?
Unternehmen, die neues, engagiertes Personal dauerhaft für sich gewinnen wollen, sollten sich drei Fragen stellen – und beantworten: Warum sollten Menschen genau in ihrem Unternehmen arbeiten? Wann haben Sie das letzte Mal Menschen im Team gelobt? In welcher Arbeitsumgebung können sie die beste Version von sich sein?
Ihr Vortrag war nicht nur sehr spannend, sondern zugleich auch ein kleines Englisch-Training: Als Podcasterin für den erfolgreichen Quintessenz-Podcast „Dental English to go“ präsentierte sie ihn in englischer Sprache.
Neues aus dem Verlag
Neben den Vorträgen gibt es auf dem Berliner Tisch immer einen kleinen Überblick über Neues aus dem Verlag. So wird ab 2023 die „pip – Praktische Implantologie und Implantatprothetik“ bei Quintessenz erscheinen – mit dem bekannten Redaktionsteam. Die Redaktionsleitung übernimmt dann Sven Skupin, der zum 1. September 2022 zum Berliner Quintessenz Verlag gewechselt ist.
Traditionell stellt sich eine der internationalen Quintessenz-Niederlassungen oder einer der Partner des Verlags vor – in diesem Jahr vermittelte Dr. Maria Grazia Monzeglio, Geschäftsführerin von Quintessence Italy mit Sitz in Mailand, einen Einblick in den anspruchsvollen italienischen Zahnärztemarkt und das Angebot des Verlags. Mehr als 62.500 registrierte Zahnärztinnen und Zahnärzte, rund 36.100 Zahnarztpraxen und 7.550 Dentallabore arbeiten im Land für rund 59 Millionen Menschen. Wie in vielen europäischen Ländern ist auch hier die Mehrheit der Zahnärztinnen und Zahnärzte (60 Prozent) zwischen 50 und 70 Jahre alt, allein 21 Prozent zwischen 60 und 64 Jahre alt. Die italienische Dentalindustrie arbeitet zu 60 Prozent für den Export, im Gesamtmarkt werden 63 Prozent des 1,637 Millionen Euro schweren Markts importiert.
Quintessence Italy hat Bücher, Zeitschriften und Veranstaltungen im Portfolio und bietet Industriepartnern neben Mediadienstleistungen in den klassischen Medien auch ein breites Portfolio von Online-Dienstleistungen. Neu ist die Zusammenarbeit mit dem Anbieter Ideandum für das gezielte Webmarketing im Dentalmarkt. Grundlage ist eine breite Nutzerbasis von Quintessence Italy für Sponsored Posts, Facebook- und Instagram-Followern, hohe Newsletter-Öffnungsraten und Klickraten, wie Dr. Monzeglio erläuterte. Der Verlag hat die Corona-Pandemie genutzt, um besonders die digitale Präsenz auszubauen.
Markus Queitsch, Head of Media Sales und Mitglied der Geschäftsleitung, umriss die aktuelle Situation, die durch immer schnellere Entwicklungen und Digitalisierung bestimmt werde. Zugleich zeige die aktuelle Facharzt Leseranalyse Medizin (LA-Med), dass gerade für die Medizinerinnen und Mediziner (und ähnlich für die Zahnmedizin, zu der es aktuell keine Erhebung gibt) die Fachzeitschriften als seriöse Informationsquelle nach wie vor mit fast 70 Prozent intensiver Nutzung ganz oben stehen. Internet und Online-Dienst folgen erst auf Platz vier mit gut 47 Prozent intensiver Nutzung, nach Gesprächen mit Kollegen und Tagungen/Kongressen. Gerade bei den hochwertigen Fachzeitschriften könne der Quintessenz Verlag mit Impact-Faktoren für neun internationale und ein deutschsprachiges Journal punkten.
„Karma on Tour“
Queitsch informierte außerdem über das neue, ungewöhnliche Format „Karma on Tour“ für Zahnmedizinstudierende: Das junge niederländische Team kommt mit seinem Tourbus im Oktober 2022 auch nach Deutschland an die Universitäten nach Köln und Berlin, der Quintessenz Verlag ist einer der Partner.
Weitere Themen waren Updates zu Quintessence News, zu den Podcasts „Dental Lab Inside“ und „Dental English to go“ sowie zum Projekt „Die Grüne Praxis“. Hier unterstützen inzwischen zwölf Founding Partner die Idee und die Arbeit des Projekts, im Oktober gibt es zudem im GreenLab auf der Fachdental Südwest in Stuttgart eine Präsentation. (MM)