Die Weiterentwicklung der fachlichen Grundlagen der Funktionsdiagnostik betrifft auch die Einbindung und das Verweben dieses Bereiches der Zahnheilkunde mit Fragestellungen aus anderen medizinischen Fachgebieten, wie beispielsweise die Psychosomatik oder die Orthopädie. Es existieren mittlerweile zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, in denen Tests zur Aufdeckung eventuell vorliegender Kofaktoren bei Patienten mit kraniomandibulären Dysfunktionen entsprechende Zusammenhänge mit diesen medizinischen Fachbereichen nachweisen.
Die im Gebührenverzeichnis der deutschen Gebührenordnung für Zahnärzte aufgeführten Leistungen sind 2012 bei der GOZ-Reform im Bereich der Funktionsdiagnostik gegenüber der Vorgängerversion von 1988 fast unverändert geblieben. Da andererseits Zahnärzte in Deutschland nach dem Zahnheilkundegesetz verpflichtet sind, die Zahnheilkunde nach aktuellem Stand der Wissenschaft auszuüben, wäre das allein mit den in dem mithin inhaltlich veralteten Gebührenverzeichnis der GOZ katalogisierten Leistungen nicht möglich. Der Gesetzgeber hat dafür in der neuen GOZ allerdings gezielt die Möglichkeit verankert, nicht im Leistungskatalog enthaltene selbstständige Leistungen entsprechend nach Art, Kosten- und Zeitaufwand sowie Schwierigkeit vergleichbarer Leistungen abzurechnen („Analogleistungen“). Der vorliegende Beitrag schildert am Beispiel der Tests zur Aufdeckung psychischer Kofaktoren einer Funktionsstörung des kraniomandibulären Systems die rechtlichen und fachlichen Hintergründe sowie die Konsequenzen für die Umsetzung in der Praxis.
Dieser Beitrag stammt aus der „Zeitschrift für Kraniomandibuläre Funktion“ der Quintessenz Verlags-GmbH. Die Zeitschrift berichtet bilingual in Deutsch und Englisch über neue Entwicklungen in Klinik und Forschung. Sie nimmt aktuelle Original- und Übersichtsarbeiten, klinische Fallberichte, interessante Studienergebnisse, Tipps für die Praxis, Tagungsberichte sowie Berichte aus der praktischen Arbeit aus der gesamten Funktionsdiagnostik und -therapie auf. Vierteljährlich informiert sie über Neuigkeiten aus den Fachgesellschaften und bringt aktuelle Kongressinformationen und Buchbesprechungen. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.
Die Reform der deutschen Gebührenordnung 2012 hat nur in wenigen Bereichen der Zahnheilkunde die neuen Entwicklungen der jeweiligen Fachgebiete wirklich berücksichtigt. In praktisch jedem Bereich der Zahnheilkunde finden sich neue Behandlungsmaßnahmen, die von den Gebührenziffern der GOZ 2012 nicht abgedeckt sind. Besonders auffällig ist die Diskrepanz zwischen der fachlichen Weiterentwicklung und deren Abbildung im Leistungsspiegel der Gebührenordnung im Bereich der zahnärztlichen Funktionsdiagnostik und Funktionstherapie; hier wurde der Fortschritt des Wissens und der resultierenden klinischen sowie apparativen Techniken fast komplett ignoriert. In einem früheren Beitrag der Artikelserie wurde dieser Umstand exemplarisch anhand der Analyse des dynamischen Bewegungsverhaltens des Unterkiefers erläutert. In diesem Beitrag nun werden die Tests zur Aufdeckung psychischer Kofaktoren und deren Berechnungsmodus gemäß § 6,1 GOZ analog erläutert, da auch diese Tests in den Leistungsbeschreibungen der Gebührennummern der GOZ 2012 fehlen.
Etablierte Tests zur Aufdeckung psychischer Kofaktoren
Tests zur Aufdeckung psychosomatischer Kofaktoren zielen darauf ab, im Rahmen der zahnärztlichen Untersuchung objektive Vergleichswerte für Faktoren zu schaffen, von denen bekannt ist, dass sie kraniomandibuläre Dysfunktionen auslösen oder beeinflussen können. Sie sollten allerdings nicht das Gespräch mit dem Zahnarzt ersetzen, sondern die Grundlage für ein Gespräch zur Erfassung nicht-somatischer Krankheitsfaktoren bilden1,2.
Den Hintergrund bildet die Erkenntnis, dass psychosomatische Kofaktoren an der Entstehung kraniomandibulärer Dysfunktionen beteiligt sind. Mittlerweile existiert hierfür eine große Anzahl von wissenschaftlichen Publikationen unterschiedlicher Evidenzstufen3.
Ein Mechanismus besteht dabei darin, dass es aufgrund mentaler Einflüsse zu einer verstärkten Aktivierung der Kaumuskulatur kommt. Der Volksmund spricht hier vom „Zähne zusammenbeißen“ oder von „sich durchbeißen“.
Für den Zahnarzt ist es daher wichtig, im Rahmen der Funktionsdiagnostik derartige Einflüsse mit zu erfassen, da andernfalls wesentliche ätiologische Faktoren, welche die Entstehung kraniomandibulärer Dysfunktionen verursachen, unberücksichtigt bleiben. Aufgrund der künstlichen Trennung zwischen Zahnmedizin und Medizin und der Entstehung des Zahnarztberufs in Nachfolge der handwerklich geprägten „Dentisten“ haftet der Zahnmedizin aber das Etikett einer „handwerklich“ geprägten medizinischen Profession an, die für nicht-somatische (nicht körperliche, psychische) Fragen vermeintlich nicht zuständig sei.
Der aktuelle Forschungsstand aus den letzten Dekaden zeigt jedoch, dass bio-psychosoziale Faktoren für die Auslösung oder Unterhaltung kraniomandibulärer Dysfunktionen in hohem Maße relevant sein können. Deswegen ist es sinnvoll, dass der Zahnarzt der Frage nach entsprechenden Zusammenhängen nachgeht. Allein aus der Erhebung der speziellen Anamnese zur Vorgeschichte werden entsprechende Zusammenhänge in der Regel nicht in interpersonell vergleichbarer Form erfasst. Deswegen haben sich auf der Grundlage der wissenschaftlichen Literatur Tests herausgebildet, die mittlerweile Praxisreife erlangt haben.
Die Deutsche Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) hat Beispiele derartiger Tests vorgestellt, die aus Sicht der DGFDT als der zuständigen Fachgesellschaft für die Beurteilung derartiger Einflüsse geeignet sind. Diese Beispiele sind auf der Website der DGFDT veröffentlicht4.