Bei einem Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch ist es für Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten oft nicht leicht, über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Der Leiter der Berliner Kinderschutzambulanz der DRK Kliniken Westend, Oliver Berthold, gibt im Video-Interview für die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hilfreiche Hinweise zu diesem sensiblen Thema.
Laut Bundeskinderschutzgesetz besteht eine Handlungspflicht, wenn auch nur eine Vermutung auf Gefährdung des Kindeswohls besteht. „Allerdings ist hier wie immer in der Medizin eine Diagnostik notwendig“, erläutert Berthold. Denn überstürzte Interventionen könnten durchaus kontraproduktiv sein.
„Die Zeitnot hängt von der Information ab, die ich habe“, fährt Berthold fort. Bei älteren Kindern könnte beispielsweise eine Kontrazeption nötig sein oder wenn es um Spurensicherung gehe, müsse dies innerhalb der ersten 24 bis 72 Stunden nach dem Übergriff erfolgen. In diesen Verdachtsfällen sollte dringlich an ein spezialisiertes Zentrum verwiesen werden.
Schutz des Kindes steht für Mediziner im Fokus
Zugleich warnt der Experte davor, Unüberlegtes zu tun. Denn der Verdacht sei oftmals vage und unspezifisch. Im Zweifel müsse man sich beraten lassen – zum Beispiel durch die medizinische Kinderschutzhotline (0800/19 210 00), die eigens für Angehörige der Heilberufe etabliert wurde.
Mediziner soll sich um Wohl des Kindes sorgen
Mediziner können bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch das Jugendamt informieren. Seit 2012 liegt hier kein Bruch der Schweigepflicht mehr vor, sondern es handele sich um eine erlaubte Informationsweitergabe. Die Rolle der Mediziner sei es, betont Berthold, für das Wohl des Kindes zu sorgen und nicht, einen Verdächtigen oder Täter zu ermitteln. Der Schutz des Kindes stehe im Fokus.
Kind braucht nicht Betroffenheit des Arztes
Wenn ein Kind sich dem Arzt gegenüber offenbart, sei es wichtig „dem Raum zu geben“. So dürfe das Thema nicht ignoriert werden, indem der Arzt nicht nachfrage. Andererseits müsse unbedingt die Autonomie des Kindes gewahrt bleiben, betont Berthold eindringlich. Das heiße, Untersuchungen gegen den Willen des Kindes seien absolut tabu.
Wichtig sei, empathisch mit dem Kind zu sprechen und offene Fragen zu stellen. Dabei sollte man die eigene Betroffenheit zurückhalten. Denn das Kind brauche niemanden, „der es erschüttert in den Arm nimmt, sondern jemanden, der weiß, wo es langgeht und der die richtigen Schritte unternimmt“.
Informationen für Praxen
Die KBV stellt zu den Themen Intervention bei häuslicher Gewalt und Kindesmissbrauch ein vielfältiges Informationsangebot für Ärzte und Psychotherapeuten auf ihrer Themenseite im Internet bereit. Dazu zählen unter anderem Online-Fortbildungen, ein Qualitätszirkelmodul sowie Arbeitsmaterialien. Auch die Bundeszahnärztekammer hat für die Themen häusliche Gewalt und Kindesmisshandlung Informationen für Zahnärzte und Praxisteams auf ihrer Internetseite zusammengestellt.